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Aufstieg und eines Zentrums
Niederösterreich, Österreichs wichtigstes Agrarland, ist gleichzeitig Österreichs größtes Industrieland. Es hat nach Beschäftigten und Produktionswert immer noch den höchsten Industrialisierungsgrad aller Bundesländer. Viele konventionelle Industrieerzeugnisse stammen oft zu weit mehr als der Hälfte von hier Erdöl, Schmieröle, Kautschuk, Klebstoffe, Temperguß, Kaltwalzprofile, Flachglas, Verbandsmittel, Teppiche, Klopa- pier, Zucker…
Betrachtet man die Wirtschaftsgeschichte Niederösterreichs, so hat man von der vor 1918 bestehenden Einbindung in den wirtschaftlichen Großraum der Habsburgermonarchie auszugehen, die im großen und ganzen eine agrarische, industriell wenig entwickelte Struktur auf wies, darf aber nicht übersehen, daß das Gebiet des heutigen Österreich schon damals zu den f ortgeschritte-
neren Regionen Kontinentaleuropas zu rechnen war. Vor allem Niederösterreich fand nicht nur früh Anschluß an das moderne Industriesystem, sondern lag in den Wachstumsraten der Produktion und im erreichten Produktionsvolumen mit den westeuropäischen Industriezentren auf durchaus vergleichbarem Niveau.
Wenn der vormärzliche Geograph W. W. Blumenbach in manchen Teilen des Viertels unter dem Wienerwald eine “fast Zusammenhängen-
de Reihe von Fabriken, ungef ähr so, wie man es in manchen Gegenden Englands findet“, beschrieb, so mag dieses Urteil wie auch das des Schriftstellers Heinrich Gottlob Heinse, der in den “Vaterländischen Blättern“ des Jahres 1812 im patriotischen Überschwang der Befreiungskriege das Land den dichtesten Industriezonen des europäischen Festlandes zurechnete, etwas zu optimistisch ausgefallen sein. In der Grundtendenz aber stimmen die wirtschaftshistorischen und statistischen Daten damit voll überein.
Eine Reihe von Faktoren hatten beim Aufstieg der niederösterreichischen Industrie zusammengewirkt: AnBodenschätzen, Erzen und Kohlevorkommen, die für die frühe Industrialisierung maßgeblich gewesen wären, ist Niederösterreich nicht allzu reich. In viel stärkerem Maße spielte der Waldbestand eine Rolle, als Rohstoffquelle und Energiebasis. Dazu kamen die für die frühe Mechanisierung hervorragend geeigneten Wasserkräfte des südlichen Wiener Beckens, des Voralpengebietes und auch des Waldviertels. Die im 18. Jahrhundert einsetzende und im 19. Jahrhundert sich verschärfende Krise des Weinbaus sorgte für ein entsprechendes Angebot an Arbeitskräften. Daneben war auch die Nähe zu Ungarn als Absatzmarkt wie auch für die Rekrutierung von Arbeitskräften und die Versorgung mit billigen Agrarprodukten interessant.
Schon am Ausgang des Mittelalters hatten der enorme Holz- und Wasserkraftbedarf der Eisenindustrie die Dezentralisierung der um den steirischen Erzberg sich entwickelnden Eisen-und Metallverarbeitung erzwungen.: im Ybbs- und Erlauf tal, später auch im Traisental und in den Tälern des Viertels unter dem Wienerwald siedelten sich zahlreiche Hämmer und Eisengewerbe an. Die zahlreichen Mühlen und Glashütten nutzten ebenfalls die
Energiebasis des Landes.
Neben dem Energiereichtum in Form von Holz und Wasserkraft und den Arbeitsmarktverhältnissen hatte Niederösterreich die frühe industrielle Blüte vor allem der Verkehrslage und der Nähe zu Wien als Zentrum eines Großreiches und Residenz des Kaisers zu verdanken. Wien stellte einerseits den kaufkräftigsten Markt für Industriewaren dar und konnte andererseits technische Fachkräfte und finanzkräftige Kapitalisten bereitstellen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts profitierte Niederösterreich zusätzlich von der aus Revolutionsfurcht und physiokratischen Überlegungen geleiteten Verlagerung von Indu-, striebetrieben von Wien auf das flache Land.
Im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert kam es erstmals zu einer gezielten Indus trieansiedlungspoli- tik in Niederösterreich. Der industrielle Aufschwung des Landes verlief parallel mit dem technischen Fortschritt in der Baumwollindustrie. Mit der Einführung der mechanischen Spinnmaschinen wurde eine neue Epoche der Industrialisierung eingeleitet, mit englischem Know how und mit dem Kapital von Wiener Großhändlern und Aristokraten.
Die Textilindustrie war zwar der Vorreiter der Industriellen Revolution. Die niederösterreichische Industrielandschaft war aber sehr viel vielseitiger: Die Papierfabrikation profitierte vom zunehmenden Papierbedarf der Wiener Verwaltungsstellen, aber auch von der Zunahme der Bücher- und Zeitungsproduktion seit den josephinischen Liberalisierungsansätzen; andererseits nutzte sie auch das reiche Angebot an Hadem, das in Wien anfiel, und konnte nach dem Übergang zum Holzschliff im Waldreichtum des Landes weiter eine solide Standortbasis finden. Bierbrauereien, Mühlen und Kolonialzuckerxaffinerien
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