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Auftritt eines Ganoven

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Ich werde das Gesicht des jungen, nicht mehr blutjungen, aber immerhin jugendlich salopp wirkenden Experten, der mir aus dem Fernsehgerät entgegenblickte, nie vergessen. Es war weniger ein Gesicht als eine Visage: das Antlitz eines naiven und zugleich verschlagenen Menschen, der seinen etwas unbeholfenen Zynismus offenbar für charmant hielt, und zu einem fein gekünsteltem

Lächeln anhebend erklärte, daß in seinem Fach alles erlaubt sei, was die Kasse klingeln ließe, ohne Rücksicht auf Anstand, Diskretion, Geschmack und dergleichen mehr. Da saß er, der Luftikus, erläuterte die Kunstgriffe seines Handwerks, und sah teils vor sich hin, teils seinen ernsthaft argumentierenden Kollegen in die Gesichter, ein wenig spöttisch und ein wenig kokett, wie ein Taschendieb, der vor einem erstaunlich desinteressiertem Publikum die Feinheiten seines Berufes erläutert.

Ich habe selten die Möglichkeit, solche Gesichter in den eigenen vier Wänden zu sehen; die zwischen schlichter Charakterlosigkeit und handfestem Verbrechen schwankenden Typen haben mich bisher mit ihren Besuchen verschont; das Fernsehen läßt uns zuweilen in der Tat das Ferne sehen.

Auf der Straße oder am Schanktisch des einen oder anderen Lokals war ich dem Typus freilich oft begegnet. Salopp da-hinschreitend gingen diese Exemplare der Gattung homo labilus an mir vorbei, oder sie lümmelten geschmeidig auf einem Barhok-ker, der offenbar nicht nur ihre Körper, sondern auch ihr Bewußtsein in eine Höhe beförderte, die solche kleine Glücksjäger anstreben, um sich aller Welt als selbstbewußte Männer zu zeigen und, wie nebenbei, nach neuen Opfern Ausschau zu halten. Ihre Eitelkeit strahlte nicht hemmungslos; sie war durch Argwohn und Ratlosigkeit gedämpft. Sie waren offenbar furchtsam, fuhren zusammen, sobald in ihrer Nähe ein lautes Wort fiel, doch gaben sie dem Zucken, während es ihre Körper überlief, eine höchst anmutige Form, so als wäre alles beabsichtigt gewesen, ausgeklügelt, eingeübt, vor dem Spiegel tausendmal probiert: ein Kunststück. Gleich darauf erschien in den dünnhäutigen Gesichtern jenes ahnungslos ganymedische, zugleich wissende, von mannhaft begangenen Sünden kündende, zur neuen Sündhaftigkeit bereite Lächeln, das der französische Schauspieler Alain Delon nun bereits seit Jahrzehnten zu Höchstpreisen vermarktet. Man war offenbar ein wenig stolz darauf, in jenem Zwischenbereich dahinzuleben, der nicht mehr als fester Boden, aber noch nicht als Sumpf bezeichnet werden kann.

Oswald Spenglers Theorie des „versunkenen Kulturgutes“ fand an unerwarteter Stelle neue Bestätigung: der Typus des Dandy, einst vom schönen Mr. Brummel vorgelebt und dann von Lord Byron dichterisch sublimiert, war heruntergekommen, hinabgesunken zur Erscheinungsform der kleinen Taschendiebe und mutlosen Gangster.

Sie waren ja nicht weiter störend, solange sie sich, dem Gebot ihres Handwerks gemäß, der Öffentlichkeit vorenthielten. Irritierend wurden sie erst, sobald sie sich bereit fanden, uns im TV als Gestalter der öffentlichen Meinung, als Kämpfer für schrankenlose Freiheit der Frechheit, als neue Immoralapostel Entgegenzutreten. In dieser für sie neuen Rolle machten sie die Ausnahme zur Regel, die Schwäche zur Tugend, die moralische Gesetzlosigkeit zum Gesetz.

Und niemand schrie auf. Die Vertreter der demokratischen permissiven Gesellschaft nahmen ihr demokratisches Recht nicht in Anspruch, den kleinen Ganoven, der die Tricks seiner armseligen Verderbtheit unschuldig lächelnd zum besten gab, zwar nicht gleich in den durch den Polstersessel geschützten Hintern, aber wenigstens verbal, mit den angemessenen Worten, entgegenzutreten. Er wurde von den wirklichen Experten vielmehr als ein wunderlicher Vertreter der eigenen Zunft betrachtet, als ein anstößiges, aber interessantes Exemplar der eigenen Gattung, ja, zuweilen hatte man das Gefühl, brave und gehemmte Spießbürger betrachteten mit verheimlichter Hochachtung einen Mutigen, der stark -oder schwach — genug ist, die Grenzen des Anstands zu überschreiten. Die Neugier mancher Rechtschaffenen findet in der Begegnung mit der Halbwelt einen kitzelnden Reiz.

Der kleine Ganove spürte freilich den Strom der ihm entgegenflutenden Gefühle. Sein Lächeln weitete sich zu einem Grinsen, sein Selbstbewußtsein stieg, in seinen Augen leuchtete ein Glanz der Genugtuung, kurz, er hatte seinen großen Auftritt. Er verließ dann auch die Wallstatt selbstsicher, ein wenig angegriffen, aber im wesentlichen unangefochten. Sein Streich hatte ihm unbezahlte Werbeminuten, Werbestunden eingebracht; sein Ansehen stieg; seine Kasse klingelte; selbst Julius Cäsar war der Ansicht gewesen, daß Geld nicht stinken könne.

Das alles wäre nicht der Rede wert, wäre nicht manchen—vielen — das Unterscheidungsvermögen zwischen dem Typ des geschickten Taschendiebes und des erfolgreichen Managers abhanden gekommen. Wo Erfolg alles ist, heiligt der Zweck die Mittel. Man wundere sich also nicht, von den Besessenen irgendeiner Ideologie umgebracht, enteignet, geknechtet zu werden. Auch diese glauben nur an den Zweck. Es könnte sein, daß den großen Terroristen der Geschichte die kleinen amoralischen Dandys, die lächelnden Ganoven, die feinen Taschendiebe vorangehen: als leichte Kavallerie, die das Schlachtfeld frei macht für den Auftritt der gepanzerten Mörder.

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