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Aufwind in Rauns

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Die Marktgemeinde Rauris liegt im Pinzgau, tausend Meter hoch im Gebiet der Hohen Tauern, wo vor vier Jahrhunderten Gold abgebaut wurde. Der Reich- tum des Ortes läßt sich noch heute an den schönen alten Gewerken- häusern ablesen. Anfang der sieb- ziger Jahre hatte der Salzburger Journalist und Schriftsteller Er- win Gimmelsberger die Idee, zeit- genössische Literatur aufs Land zu bringen. Mit Hilfe des ortsansässi- gen Kulturvereins, hier muß der Name Dorothea Granegger erwähnt werden, des Landes und der Stadt Salzburg wurden im Februar 1971 die ersten Rauriser Literaturtage veranstaltet.

„Das erste Mal ist es Experiment" sagte Hans Weigel bei den ersten Rauriser Literaturtagen und fügte hinzu: „Das zweite Mal ist es Wie- derholung, und das dritte Mal ist es schon Tradition". Geplant war, die Bevölkerung mit zeitgenössischer Literatur bekannt zu machen, jun- gen Schriftstellern die Chance zu geben, sich der Öffentlichkeit vor- zustellen und arrivierte Autoren zu Lesungen einzuladen. Zum Expe- riment gehört das Risiko, zum Risi- ko gehören Fehlschläge. Die gab es.

Zu den Besonderheiten gehörten in Rauris von Anfang an die „Le- sungen auf der Stör", also solche, zu denen die Bauern einen Autor in ihr Haus luden. Wenn nun einer im Herrgottswinkel unter dem Kruzi- fix etwas las, was die Rauriser schlicht als unpassend oder ge- schmacklos empfanden, dann war das Experiment mißlungen. Es gab und gibt aber durchaus rühmliche Ausnahmen - Alois Brandstetter, beispielsweise, gehört dazu.

Als die zweiten Literaturtage anliefen, waren sie im deutschspra- chigen Raum schon bekannt. Auto- ren aus den beiden Deutschland, Österreich und der Schweiz war es eine Ehre, in Rauris lesen zu dür- fen, für die jungen Autoren war Rauris oft der Ausgangspunkt zu einer steilen Karriere. Über zwei- hundert Autoren haben in den letz- ten zwanzig Jahren in Rauris gele- sen, darunter - um nur ein paar zu nennen - Ilse Aichinger, Günter Eich, Thomas Bernhard, Peter Handke, Adolf Muschg, Uwe John- son, Peter Härtling, Wolf gang Hil- desheimer, Martin Walser.

Für die deutschsprachige Erstver- öffentlichung eines Autors wurde mit Hilfe von Stadt und Land Salz- burg der „Rauriser Literaturpreis" in Höhe von 50.000 Schilling gestif- tet, ferner ein Förderungsstipen- dium in Höhe von 30.000 Schilling. Im Jahre 1984 wurde vom Raiffei- sen verband der „Günter Eich- Preis" in Höhe von 50.000 Schilling gestiftet als Auszeichnung für das Gesamtwerk eines älteren Autors. Ilse Aichinger erhielt ihn 1984.

Auch die Literaturtage hatten durch die Jahre ihr Gefälle. Gute Jahre gaben berechtigten Anlaß zu Euphorie, magere wurden zum Zwang, sich wieder etwas Neues einfallen zu lassen. Mit der neuen Leiterin Brita Steinwendtner ha- ben die Rauriser das große Los gezogen.

In der literarischen Szene bewan- dert wie kaum eine zweite, selbst Autorin und in Rauris ausgezeich- net, hat sie mit Sachkenntnis „Charme, Geist und Seele", die ihr nachgerühmt werden, diese zwan- zigsten Literaturtage zu einem unvergeßlichen Erlebnis gemacht. Dem lag harte Arbeit zugrunde, ein Konzept, das die Begegnung der in Rauris ausgezeichneten Autoren vorsah und zwar solche des An- fangs, der Mitte und der letzten Jahre.

Den begehrten „Rauriser Litera- turpreis" für eine Erstveröffentli- chung erhielt der 26jährige Tho- mas Hettche, Frankfurt, für sein Buch „Ludwig muß sterben", eine atemlos machende Prosa, die Er- dachtes und „Wirkliches" verzahnt. Hettche gilt als „Literatur-Hoff- nung der neunziger Jahre". Der Salzburger Ludwig Laher erhielt den Förderungspreis für seine Er- zählung „Eine Reise nach Jeri- chow", ein Text, der auf den Spu- ren Uwe Johnsons wandelt und sich mit den Problemen der DDR-Ge- genwart befaßt.

Eine vielbeachtete Lesung hielt Michael Köhlmeier, der zweimal in Rauris ausgezeichnet wurde, aus seinem letzten Roman „Der Mu- sterschüler" , in dem er von „ Schau- prozessen" berichtet, die zu Erzie- hungszwecken in einem Internat angesetzt werden. Wolfgang Wen- ger (1989 ausgezeichnet) las aus seinem Buch „weit weg in den fil- men", Kurzprosa als Momentauf- nahmen von Personen, deren Wei- terentwicklung er dem Leser an- heimstellt.

Bodo Hell (1972) war erkrankt und entschuldigt, Franz Innerhof er (1975) ohne Angabe von Gründen einfach ausgeblieben.

Es fiel nicht weiter auf, denn die Schweizerin Helen Meier war wahrhaft abendfüllend mit der Vitalität ihrer kraftvollen Stimme, die so „stimmig" mit den Texten umgeht, Texte, die den Rander- scheinungen des Lebens gelten. Ich habe noch nie eine Autorin von so sensibler Robustheit - und umge- kehrt - erlebt, eine Frau, die auf ihre fünf Sinne setzt und was sie hört, sieht, riecht, schmeckt und fühlt in einer Prosa bändigt, die die Kraft alter Holzschnitte hat. Auf ihren vielzitierten Humor sollte man sich nicht verlassen. Er ist auf ei- nem jähen Gefälle angesiedelt.

Eine „Stör-Lesung" hielt Rudolf Bayr aus seinem Buch „Man liebt nicht auf nüchternen Magen".

Ilse Aichinger, die „Stillste im Lande" und gerade deshalb eine der „Vielsagendsten", setzt auf Schweigen, das sie sich selbst auf- erlegt. („Reden ist eine Krank- heit"...) Wenn sie aus diesem Schweigen auf- und ausbricht, fül- len die Wörter sich mit einer Inten- sität von schmerzlicher Schönheit. Die schwebend-präzise Prosa der Autorin ergänzt sich in ihren Ge- gensätzen und beschwört eine Fül- le von Assoziationen.

Der Salzburger Schriftsteller Walter Müller war der erste Autor, der in einer Volksschule in Wörth sprach, sang und spielte. Mit selbst getexteten und komponierten Lie- dern hatte er die Kinder vom ersten Augenblick an. Sie sangen, erfan- den und tanzten mit und bereiteten dem Autor langanhaltende Zu-ga- be-Ovationen.

Der 83jährige Walter Kolbenhoff, Gründungsmitglied der legendären „Gruppe 47" erhielt den nach sei- nem Freund Günter Eich benann- ten Preis für sein Gesamtwerk, das im S. Fischer-Verlag neu aufgelegt wurde. Von den Theateraufführun- gen, die der Salzburger Klaus Gmeiner in Rauris inszenierte, spricht man heute noch. Diesmal war es eine Leseaufführung von Felix Mitterers „Kinder des Teu- fels".

Diese Literaturtage standen im Aufwind von Spannung, Neugier und Interesse, fanden ihren Nie- derschlag in Gesprächen ohne Ende, als Echo auf die Lesungen, und endeten in der Vorfreude auf die nächsten.

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