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Aufwühlende Begegnung

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Dann ging in Polen endlich die Stalinzeit zu Ende, das polnische Tauwetter setzte ein. Zum ersten Mal durften sich polnische Schriftsteller an einem Dramatikerwettbewerb im Westen beteiligen, genauer gesagt, an dem Bregenzer Dramatikerwettbewerb im Jahre 1956.

Ich hatte schon sehr bald nach dem Krieg begonnen, in österreichischen Zeitungen und Zeit-

Schriften über polnische Literatur, damals vor allem über die polnische Klassik, zu schreiben, und wurde gefragt, ob ich Lust hätte, die aus Polen eingesandten Stücke für den Dramatikerwettbewerb in Bregenz zu lesen.

Unter den mehr oder weniger interessanten Stücken befand sich auch eines mit dem Titel „Milczenie“, zu deutsch „Schweigen“, eines mir bis dahin unbekannten Roman Brandstaetter. Es behandelte in aufwühlender Weise die stalinistische Zeit und die Gewissenskonflikte, in die Menschen, die noch nicht völlig abgestumpft waren, damals gestürzt wurden.

Zu dem mehr oder weniger linientreuen Schriftsteller Xaver Ponilowski kommt eines Tages ein Mann, der ihm während des Krieges das Leben gerettet hat und der nun selbst Schutz sucht, da er als ehemaliger Angehöriger der nationalen Heimatarmee nun von der kommunistischen Regierung verfolgt wird. Obwohl durchaus kein Held von Natur, will Ponilowski dem Freund helfen, doch seine fanatische kommunistische Tochter Wanda verrät den Gast, dieser wird verhaftet. Ponilowski, verzweifelt an sich selbst und an der Welt, flüchtet ins Schweigen, in den Freitod. Ein aufrüttelndes Drama.

Brandstaetters „Schweigen“

wurde zwar nicht bei den Bregenzer Festspielen, aber in meiner deutschen Ubersetzung 1958 von Heinz Gerstinger in Graz aufgeführt, nachher von Stella Kad-mon im „Theater der Courage“ in Wien, wo es über 50 ausverkaufte Aufführungen gab. Von Wien aus ging der Siegeszug dieses Dramas weiter nach Deutschland, nach Skandinavien, nach England und sogar in die USA und nach Australien. Insgesamt wurde es an über siebzig Bühnen aufgeführt.

1959 erschien im Styria-Verlag Brandstaetters Werk „Der Weg nach Assisi“, und am 21. Februar 1960 fand eine unvergeßliche Matinee im Wiener Akademietheater statt, wo zum ersten Mal auch Gedichte Brandstaetters vorgetragen wurden. Der unvergessene Franz Theodor Csokor sprach damals einführende Worte.

Den größten Erfolg aber errang Brandstaetters erschütterndes Drama „Der Tag des Zornes“. Die Geschichte eines Juden, der in ein polnisches Kloster flüchtet, von den Mönchen versteckt wird, und der dann doch von der SS aufgestöbert, verhöhnt und mit Stacheldraht gekrönt wird, das Leiden Jesu so intensiv miterlebt, daß er sich zum Christentum bekennt. Die Premiere fand am 23. Juli 1965 bei den Bregenzer Festspielen statt, von dort wurde die Aufführung ans Burgtheater übernommen.

In den folgenden Jahren wandte sich Roman Brandstaetter immer mehr seinem gewaltigen Prosawerk über „Jesus von Nazareth“ zu, das zu einem vierbändigen Opus wurde. Mit ihm hat Roman Brandstaetter ganz gewiß seinen größten Erfolg errungen. Vor kurzem ist in Polen die achte Auflage erschienen, bisher wurden insgesamt 250.000 Exemplare verkauft. Die größte Genugtuung empfand Brandstaetter darüber, daß er mit diesem Werk „viele bekehrt hat“.

Abschließend möchte ich noch einige Sätze aus seinem Stück „Das Wunder im Theater“ zitieren, das ein modernes Franziskus-Drama ist. Der Schauspieler, der den Heiligen spielt, spürt plötzlich mitten in der Aufführung den Anruf Gottes, der ihn auffordert: „Gehe hin und erneuere mein Haus“. Zum Entsetzen des Theaterdirektors, des Autors und des Publikums setzt der Schauspieler dies in die Tat um und stürzt damit alle, auch die Bevölkerung der Stadt, in größte Verwirrung. Als einziger versteht ein alter Schauspieler das Wunder, das hier im Theater geschehen ist.

Theater als moralische Anstalt. Das Wort, das die Macht hat, zu erheben und zu erniedrigen, zu töten und zu heilen.

Auszüge aus der Laudatio anläßlich der Überreichung des Herder-Preises an Roman Brandstaetter im Juni 1987 in Wien.

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