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Aus alt mach'neu

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Demokratie mit beschränktem Zugang: Auf mehr wollten sich die türkischen Militärs nicht einlassen, als sie für den 6. November 1983 allgemeine Wahlen zur Großen Nationalversammlung, dem türkischen Parlament, ansetzten. Nach knapp dreieinhalb Jahren Kriegsrecht und Ausnahmezustand bestimmten die Generäle auch die Spielregeln auf dem Weg zurück zur Demokratie.

Keine der „alten“ Parteien und keiner der „alten“ Politiker, die für die gesellschaftliche Polarisierung und die nahezu anarchi-

sehen Zustände im Land vor der Machtübernahme durch die Armee am 12. September 1980 verantwortlich gemacht worden waren, sollten die Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie westeuropäischen Zuschnitts behindern.

So fanden denn schließlich auch nur drei Parteien Gnade vor der Wahlbehörde: die nationalistische „Demokratie-Partei“ unter dem ehemaligen General Turgut Sunalp, die sozialdemokratisch orientierte „Volkspartei“ und die „Mutterlandspartei“.

Das Wahlergebnis überraschte nicht nur die Militärjunta: Nicht die von ihr favorisierte „Demokratie-Partei“, sondern die rechtsliberale „Mutterlandspartei“ unter dem Wirtschaftsmanager Turgut özal errang mit 45 Prozent der Stimmen 211 von insgesamt 400 Parlamentssitzen. Die „Volkspartei“ wurde zweitstärkste Fraktion mit 117 Abgeordneten, und erst an dritter Stelle landete die „Demokratie-Partei“ mit 71 Mandataren.

Zweieinhalb Jahre nach diesen Wahlen regiert noch immer die „Mutterlandspartei“, aber die beiden Oppositionsparteien im Parlament gibt's nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form.

Die „Volkspartei“ fusionierte sich mit der bei den Wahlen von 1983 noch nicht zugelassenen „Sozialdemokratischen Partei“ von Erdal Inönü, dem Sohn des langjährigen Gefährten von Atatürk, zur „Sozialdemokratischen Volkspartei“ (Sosyaldemokrat Halkci Parti - SHP).

Und die „Demokratie-Partei“ warf vor wenigen Monaten überhaupt das Handtuch und verabschiedete sich mit der Selbstauflösung aus der parteipolitischen Arena.

Diese Veränderungen in der türkischen Parteienlandschaft hatten ein wahres Abgeordneten-Karussell in der Großen Nationalversammlung zur Folge: 21 der nun „unabhängigen“ Abgeordneten schlugen sich auf die Seite der regierenden „Mutterlandspartei“, 21 Abgeordnete deklarierten

sich nunmehr als Parteigänger der - ebenfalls bei den Wahlen von 1983 nicht zugelassenen — „Rechter Weg-Partei“ (Dogru yol partisi - DYP), 21 Abgeordnete fanden vor kurzem Unterschlupf in der erst ein Monat alten „Frei-Demokratischen Partei“ (Hür Demokrat Parti - HDP).

Daß jeweüs 21 Parlamentsmitglieder sich neuen Parteien, die bis dahin nicht im Parlament vertreten waren, zuwandten, öffnete Spekulationen über einen „Mandate-Schacher“ Tür und Tor. Der Grund: Nach der Verfassung von 1982 (Artikel 95) können erst ab mindestens 20 Abgeordneten Parlamentsklubs gebildet werden.

Der wahre Grund für die Neuorganisation der Parteienlandschaft ist wohl ein anderer: Obwohl die „alten“ Parteien, die vor dem Militärputsch von 1980 die politische Szene dominierten, durch eine Verfassungsbestimmung auf Dauer untersagt sind, tauchen sie jetzt wieder im Parlament auf - nur unter neuem Namen.

Der Vorsitzende der „Rechter Weg-Partei“, Hüsamettin Cindo-ruk, ist zum Beispiel nicht nur ein alter Weggefährte des früheren Ministerpräsidenten und Chefs der „Gerechtigkeitspartei“, Sü-leyman Demirel. Cindoruk bekennt sich auch offen als neuer Vertreter der alten Prinzipien der suspendierten „Gerechtigkeitspartei“.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums verläuft die Entwicklung ganz ähnlich. Die „Sozialdemokratische Volkspartei“ reklamiert für sich, legitime Nachfolgerin der 1980 von den Militärs gleichfalls suspendierten „Republikanischen Volkspartei“ von Bülent Ecevit zu sein, nicht nur, was die sozialdemokratischen Prinzipien anlangt, sondern auch wegen der Übernahme der meisten Funktionäre der ehemaligen Ecevit-Partei.

Nur Ecevit selbst hat sich bis heute seiner „Nachfolge-Partei“ verweigert. Er will mit einer eigenen Partei, der ^Demokratischen Linkspartei“, an deren Spitze wegen des politischen Betätigungsverbots für Ecevit seine Frau Rahsan steht, um Wählerstimmen werben.

Jüngste Meinungsumfragen sehen die „Sozialdemokratische Volkspartei“ in der Wählergunst vor der regierenden „Mutterlandspartei“. Aber solche demoskopischen Ergebnisse können natürlich nur ein vages Bild der momentanen politischen Kräfteverteilung vermitteln. Noch dazu, wo derzeit im Parlament in Ankara nur eine Partei sitzt, die bei den letzten Wahlen tatsächlich kandidiert hat.

Die neuformierten türkischen Oppositionsparteien drängen daher auch vehement auf die Vorverlegung der 1988 fälligen Generalwahlen.

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