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Digital In Arbeit

Aus den Briefen des Schülers Pepi Prohaska

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Also vielleicht mach ich's einfach so ähnlich wie Du & schreib Dir, nachdem Du mir so relativ ausführlich über Deine Kollegen geschrieben hast, ein bißchen über meine.

Am nächsten steht bzw. sitzt mir Peter Pawlowsky. Er hat ein bißchen etwas von Pierre Besou-chow. Wenn Du , .Krieg und Frieden“ gelesen hast, weißt Du, was ich meine, wenn nicht, so rat ich Dir, lies es. Körperlich groß, eher dick & ohne seine Brillen ein paar Augenblicke zwinkernd hilflos, ist er der gutmütigste Mensch, den ich kenne — eine richtig sensible Seele. Trotzdem ist meine erste Erinnerung an ihn interessanterweise die an eine Rauferei. Obwohl er, wie Du Dir nach der eben gegebenen Charakteristik denken kannst, alles andere als ein Rauf er ist. Aber damals, vor nunmehr zwei Jahren, als ich zu dieser Klasse gestoßen bin, hat man ihn angegriffen.

Angreifer war der Piffl (ein typischer Depp). Vasall u. Gorilla eines gewissen Weiler Schurli, der drei bis vier Akkorde auf der E-Gitarre spielen & eher minder als mehr wie Elvis Presley dreinse-hen konnte — inzwischen sind wir beide los. Mit mir haben solche Herrschaften damals nicht mehr viel anzufangen gewußt, haben sie mich angeblödelt, so habe ich (wenn auch subtü) zurückgescheitelt. Aber den Peter Pawlowsky haben sie, teüs wegen seiner Kurzsichtigkeit, teüs wegen seiner Massigkeit, die einen gewissen Widerstand signalisiert hat, im Visier gehabt.

Na schön, der Piffl, der übrigens kaum kleiner war als er, nur ungeschlachter, aus zwei weniger kurzsichtigen, aber eindeutig doofen Ochsenaugen schauend, hat den Pawlowsky Peter, der keiner Fliege was zuleide getan hat, in der Pause provoziert. Hat auf ihn losgeboxt, & der Pawlowsky, 1.) wie gesagt seinem Wesen nach gutmütig & 2.) um seine Brille besorgt, hat ihn mit einem rechten Ausleger (ich weiß nicht, ob Du in der Boxersprache bewandert bist: also mit gestrecktem, rechtem Arm) von sich abgehalten. Dabei war er allerdings bewußt defensiv; na hau doch zurück, du fette Sau, hat der andere, der es, mit seiner Punchingballfigur, gerade nötig gehabt hat, solche Reden zu führen, geätzt; aber der Peter war nicht einmal ein Zurückschlagen So hat ihn der Piffl immer näher an die Wand gedrängt, & als es dort nicht mehr weiter gegangen ist, hat er Maß genommen & zum entscheidenden Schlag ausgeholt & dieser Schlag war, wie Du gleich sehen wirst, tatsächlich ein entscheidender.

Der Pawlowsky Peter hat sich nämlich, weit wendiger, als man ihm das zugetraut hätte, gebückt, & sein Gegner hat den mit ziemlicher Wucht angesetzten Schlag mit tatsächlich ziemlicher Wucht gegen die Wand geführt. & nicht nur gegen die Wand, sondern gegen ein an ihr hängendes Bild, das (ich weiß nicht, welchen pädagogischen Wert es haben sollte) einen Husaren in roten Hosen gezeigt hat. Der Husar war verglast, & die Faust, die der Piffl danach mit einem mir unvergeßlich blöden Blick aus dem Rahmen gezogen hat, war dann ebenso rot wie die Husarenhose. In diesem Moment ist außerdem, Triumph, Triumph! der Klassenvorstand dazu gekommen Sc hat, nicht zuletzt aufgrund meiner Zeugenschaft, den Piffl entsprechend bestraft — ach ginge es doch allen Aggressoren so!

Na, jedenfalls ist die Sympathie, die wir, der Peter & ich, schon bis dahin füreinander empfunden haben, mit diesem Tag zur Freundschaft geworden. Auf dem Heimweg haben wir einander die eben geschüderte Szene ein paar Dutzend Mal erzählt. Um dann nahtlos von diesem besonderen Ereignis zu allgemeinen Themen überzugehen, die uns beide berührt haben. Gerechtigkeit & Ungerechtigkeit, Frieden & Krieg, die beste Gesellschaftsordnung. Du mußt nämlich wissen, der Peter ist Kommunist. D. h. genaugenommen: sein Vater ist es. Ein Funktionär der KP in der Gewerkschaft der Post- oder Bahnangestellten. Naja, & da hat der Peter halt den Kommunismus von Kind auf als das einzig Richtige & Wahre mitgekriegt, wie andere (beispielsweise Du) den Katholizismus.

Was mich betrifft, so weißt Du, daß ich da von vornherein nicht so fixiert bin. Aber ich fühl mich von jeher denen verbunden, die von den jeweils einen schief als die je-weüs anderen angesehen werden, das hab ich sozusagen im Blut. Vielleicht liegt das wirklich an meiner Großmutter, der es übrigens gutgeht (sie läßt Dich schön grüßen). Daß der Peter, der mit seiner Uberzeugung (d. h. genaugenommen: der seines Vaters) nicht hinter dem Berg gehalten hat, deswegen von manchen als .Kummerl' belächelt worden ist, hat mich jedenfalls für ihn eingenommen. Obwohl ich anderseits einen prinzipiellen Widerspruchsgeist habe & in unseren Diskussionen oft justament einen dem seinen entgegengesetzten Standpunkt verteidige. Als advo-catus diaboli oder — der Peter ist ja sozusagen ein konfessioneller Atheist - konträr: als advocatus dei.

Besonders ereifert haben wir uns über das Problem, ob die Welt durch & durch wissenschaftlich erkennbar ist. Peter meint, eines Tages werden alle Welträtsel gelöst sein & dann ist alles happy, das steht, behauptet er, bei Lenin. Ich glaube das nicht, & im übrigen bin ich dagegen. Wenn alle Welträtsel gelöst sind, habe ich gesagt, dann ist es ja fad auf der Welt. Darüber hinaus weigere ich mich zu akzeptieren, daß es bei der Lösung der Welträtsel nur darum geht, ob irgend so ein Sputnik in den Weltraum fliegt.

Das ist ein reaktionärer Standpunkt, hat der Peter gesagt, daran haben alle Reaktionäre ein Interesse, daß der Fortschritt nicht fortschreitet & die Probleme nicht im praktischen Sinn der dialektisch-materialistischen Theorie gelöst werden. Ja aber, wenn die praktisch dialektischen Materialisten mit dem Schuh auf den Tisch der UNO-Generalver-sammlung klopfen, hab ich gesagt, dann ist das auch kein besonders konstruktiver Beitrag zu irgendeiner Problemlösung. & außerdem ist das nicht die feine, englische Art — da haben wir gelacht.

Siehst Du, das ist es nämlich — wir sind nicht todernst. Wir philosophieren nicht nur, sondern blödeln auch viel. Manchmal unterhalten wir uns königlich über etwas, das andere gar nicht ver-stehn. Auch über Mickymaushefte unterhalten wir uns köstlich. Die Wendung: Kreisch, ich bin ihre Nachbarin & von Beruf Hexe! (Gundel Gaukeley zu Donald Duck) ist zwischen uns zur stehenden Redewendung geworden. — & Sie, Sie gefallen mir gar nicht. Ich werde Sie verhexen! — So? & wie machen Sie das? — Das ist wie eine Grußformel.

Schüttelst Du jetzt den Kopf? Das mußt Du nicht tun! Du brauchst, mein Lieber, keine Angst um unser kulturelles Niveau zu haben — auch auf einer, sagen wir etwas höheren Ebene wird uns die Literatur zur Kommunikationsbasis. Peter hat mir „Das Kapital“ mitgebracht (ledergebunden, strengen Geruchs, entwendet aus der Bibliothek der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft). Es ist allerdings, Dir kann ich's gestehen, nicht ganz mein Geschmack. & dabei habe ich mir gerade von diesem Buch ganz Besonderes erwartet. Als ich es nach Hause getragen hab, ist es mir vorgekommen wie ein erotischer Roman, so geheimnisvoll, so verboten. Doch die Erregung, die ich beim Aufschlagen dieses Folianten empfunden habe, ist, das kannst Du mir glauben, nach dem Aufschlagen rasch abgeklungen. Vielleicht liegt das daran, daß die Menschen darin nicht als einzelne, sondern nur als Gattung, als Angehörige von Klassen vorkommen, was meinst Du?

Leicht gekürzt aus dem Roman „Pepi Prohaska Prophet“, der demnächst im Residenz-Verlag, Salzburg, erscheint.

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