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Aus den Steppen des Ostens

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Schriftliche Nachrichten über die Awaren gibt es nur von ihrem Eintritt in die Geschichte Europas und ihrem Abgang. Wie sie in den Jahrhunderten dazwischen lebten, in denen sie als späte Erben Roms in Ungarn, der Slowakei und im östlichen Österreich siedelten, versuchen Archäologen aus ihrer unter der Erde liegenden materiellen Hinterlassenschaft zu erschließen. Eines der Forschungsprojekte, das Licht ins Dunkel dieser 800 von Karl dem Großen besiegten und allmählich in nachwandernden Völkern aufgegangenen mongolischen Reiternomaden bringen will, läuft eben in Zillingtal im nördlichen Burgenland.

Finanziert werden die seit 1985 alljährlich während der Sommermonate von Studenten der Ur- und Frühgeschichte durchgeführten Ausgrabungen vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Leiter des Vorhabens Zillingtal ist der Awaren-Experte Falko Daim, als örtliche Grabungsleiter fungieren die Prähistoriker Burghard List und Franz Siegmeth. Entdeckt wurde die auf einem Zillingtaler Hang gelegene awarische Nekropole 1927, wissenschaftlich erfaßt 1930. Aber erst aus den Funden der letzten Kampagnen ist ablesbar, daß dieses Volk aus den Steppen Zentralasiens schon früher hier siedelte, als bislang angenommen: nämlich bereits ab 600 n. Chr. und nicht erst ab der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts.

Bereits um 558 erschienen die Awaren in Byzanz mit der Bitte um Siedlungs- und Weideland innerhalb des oströmischen Reiches. Um 570 hatten ihre auf kleinen Pferden reitenden Krieger - bekleidet mit Schup- penpanzern und Prunkgürteln mit Zierbeschlägen, ausgerüstet erstmals mit Steigbügeln, aber auch mit Reflexbogen, Pfeilen mit dreiflügeligen Spitzen, Schwert, Schild und Lanze -im Einvernehmen mit den Langobarden das Gepidenreich in Pannonien erobert. In Blitzattacken nahmen sie dann auch das Karpatengebiet, das niederösterreichische Weinviertel, das Wiener Becken und die Gegend rund um den Neusiedler See in Besitz und wurden zu Ackerbau und Viehzucht treibenden Bauern.

Die bei Kriegs- und Plünderungszügen auf den Balkan, nach Byzanz, Italien und Thüringen erbeuteten Schätze häuften sie in ihrem Herrschaftszentrum im Alföld zwischen Donau und Theiß. Der aus 23 reich ornamentierten und mit Kampfszenen geschmückten Gefäßen bestehende Goldschatz von Nagyszentmiklos (heute Sinocolaul Mare, Rumänien) in der Antikensammlung des Wiener Kunsthistorischen Museums zählte möglicherweise dazu. Die Westgrenze des Awarenreiches bildete jedenfalls wie früher schon bei den Hunnen Attilas die Enns.

Die größten von zirka hundert in Österreich bekannt gewordenen awa-rischen Gräberfelder wurden in Wien-Simmering (Czokorgasse), Mödling (Goldene Stiege), Leobersdorf, Sommerein und Großhöflein entdeckt. Von den dazu gehörigen Siedlungen hat man bloß Streufunde gemacht. Sie deuten darauf hin, daß die Awaren vorwiegend kaiserzeitliche römische Ruinen bewohnt haben - abgesehen von Carnuntum wohl zumeist die Villen im Hinterland der Limeslager.

Wie aus luftarchäologischen Aufnahmen hervorgeht, dürften sich auch in Zillingtal die awarischen Bauern in verlassenen römischen Gebäuden breitgemacht und in deren Sichtweite ihre Toten begraben haben.

Die ältesten freigelegten Skelettgräber lagen im Zentrum des Friedhofes. Von besonderem Interesse für die Wissenschaft war die letzte Ruhestätte eines offensichtlich vornehmen Awaren. Beim Schädel des in seiner Tracht bestatteten Mannes fanden sich Zopfspangen aus Bronzeblech und zwei kleine, teilweise aus Gold gefertigte Bommelohrringe. Als aufsehenerregend klassifiziert Daim den verzierten Bronzegürtel des Verstorbe-nenund sein einschneidiges Schwert mit Hängeösen, die im Römisch-Germanischen Museum in Mainz restauriert worden sind, weil man in Österreich keine diesbezüglichen Erfahrungen hat.

Besonders erwähnenswert ist außerdem die Bestattung einer Frau aus der mittelawarischen Zeit. Sie trug ein Stirnband oder eine Haube, die mit einem prunkverzierten Bronzeblechstreifen benäht war. Ihre silbernen Blechbommelohrringe mit blauen Glasaugen gehören zu den schönsten Schmuckgegenständen, die diese eher arme Bevölkerung in unserem Raum besessen hat. Um den Hals hatte die Frau eine Kette aus kleinen gelben Perlen gewunden. Die zwei dazugehörigen halbmondförmigen Anhänger aus Blech sind mit je einem bärtigen Gesicht sowie zwei Vogelköpfen reliefiert. Zwei ähnliche Anhänger lagen bei ihrem Becken, daneben zwei Bronzepreßbleche mit der für die awarische Kultur typischen Darstellung von Greifen. Sie hatten ursprünglich zu einem Gürtelbeschlag gehört. Zu Füßen der Toten befanden sich eine Spinnwirtel und ein Tongefäß mit Rindfleisch als Wegzehrung.

Von 1985 bis 1990 kamen in Zillingtal 250 Gräber zutage. Insgesamt dürften hier über 700 Tote aus sieben Generationen beigesetzt worden sein. Ein Drittel waren Kinder. Die Bestattungssitten zeigen am Ende der Früh-awarenzeit auffallende Veränderungen. Die Gründe dafür sind noch unbekannt.

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