6960263-1984_45_10.jpg
Digital In Arbeit

Aus Langeweile und aus Leidenschaft

19451960198020002020

Noch sind die Folgen des Femsehbooms in den Familien nicht verarbeitet, bricht eine neue Welle von elektronischen ■ Alleinunterhaltern los: Die Videospiele werden populär.

19451960198020002020

Noch sind die Folgen des Femsehbooms in den Familien nicht verarbeitet, bricht eine neue Welle von elektronischen ■ Alleinunterhaltern los: Die Videospiele werden populär.

Werbung
Werbung
Werbung

Durch das Fernsehen stirbt allmählich die interfamiliäre Geselligkeit, die doch bei den „prätele-visionären" Generationen eine so große Rolle gespielt hat, ab. Niemand wird bestreiten, daß dies ein tiefgreifender und bleibender Effekt ist, während andererseits die durch den Fernsehboom ausgelösten ökonomischen Probleme — etwa die Umschichtungen im Produktions- und Reparaturbereich der Elektrobranche — längst gelöst sind.

Im Kontext dieser Auswirkungen auf das Alltagsleben sind die Videospiele von nicht zu übersehender Bedeutung, bilden sie doch häufig die erste Kontaktform zwischen einem heranwachsenden Menschen und der Computerwelt und nehmen sie doch einen breiten Platz innerhalb der „Bildschirmtätigkeit" im Heim ein. Nicht umsonst befürchtet ein Teil der Experten, daß in Zukunft immer mehr Freizeit mit elektronischen Partnern und Spielereien verbracht werde.

Im übrigen werden den Videospielproduzenten für die letzten Jahre die höchsten Umsatz-Wachstumsraten innerhalb der Unterhaltungselektronik bescheinigt. Schätzungen zufolge wurden in Österreich im Jahr 1983 30.000 bis 40.000 Videospielgrundgeräte verkauft, womit die Gesamtzahl der bisher verkauften Geräte zum Jahresende etwa bei 70.000 bis 80.000 gelegen sein dürfte. Es war also naheliegend, die auch in der Freizeit immer häufiger werdende Beziehung Mensch-Bildschirm gerade am Phänomen des Videospieles mittels einer Befragung zu studieren.

Die mittleren 50 Prozent der Befragten befinden sich in einem Alter zwischen 15 und 26 Jahren. Unter den 55 Interviewten sind nur drei weibliche Personen. 25 Personen, also nahezu die Hälfte aller Befragten, befinden sich in der Ausbildung; von den verbleibenden 30 Personen fallen 21 in die Berufskategorie „sonstige Angestellte/Beamte".

Zum Zeitpunkt der Befragung gab es in einem Viertel der Haushalte ein bis drei Kassetten, ebenfalls ein Viertel verfügte über 14 oder mehr. Kassetten, die Abschuß-, Geschicklichkeits-, und Sportspiele zum Inhalt haben, sind jeweils in 70 Prozent der untersuchten Haushalte vorhanden. Den Zahlen zufolge befinden sich auf rund jeder dritten Kassette ein oder mehrere Abschußspiele, auf etwa jeder vierten Geschicklichkeitsspiele; bloß jede 14. Kassette bietet Logikspiele. Verschwindend gering sind die entsprechenden Anteile der Lernkassetten und der — ansatzweise kreativen — Musikspiele bzw. ästhetischen Spiele.

In der Beurteilung schneiden die Geschicklichkeitsspiele und die Lernkassetten vor den Logikspielen am besten ab. Auffallend ist die besonders schlechte Beurteilung der Musik- bzw. ästhetischen Sjajelkassetten.

Befragt nach der Häufigkeit des Videospielens gaben vier Prozent an, daß sie normalerweise an fünf bis sieben Tagen in der Woche spielen. Insgesamt ergab sich, daß sich 60 Prozent unserer Stichprobe an zwei oder mehr Wochentagen mit dem Videospiel beschäftigen.

Die Antworten auf die Frage nach der Anzahl der Spielstunden innerhalb der vergangenen Woche gehen weit auseinander. Jeder dritte Befragte hatte in diesem Zeitraum überhaupt nicht gespielt. Auf der anderen Seite spielten 15 Prozent zehn Stunden oder noch länger (der höchste Wert liegt bei 45 Stunden).

Die durchschnittliche Spielzeit für alle Befragten beträgt rund 4,5 Stunden pro Woche.

Als konkrete Anlässe, sich mit dem Videospiel zu beschäftigen, wurden am häufigsten Langeweile, Schlechtwetter und Besuch genannt. Die Tatsache, daß 40 Prozent aller Befragten das bevorstehende Zurückgeben einer ausgeborgten Spielkassette als einen zeitweiligen Spielanlaß nannten, deutet darauf hin, daß das Ausborgen von Videospielkassetten unter Bekannten weit verbreitet sein dürfte.

Mit einer offenen Frage wurde versucht, der Spielmotivation im engeren Sinn etwas näher auf den Grund zu gehen. Das am häufigsten genannte Motiv kann mit dem Begriff „unbeschwerte Unterhaltung" bezeichnet werden. Bemerkenswert ist hier die Tatsache, daß dieses Motiv, obgleich es an der Spitze der Motive insgesamt aufscheint, nicht einmal von der Hälfte aller Befragten angegeben wurde. Die recht hohen Anteile der Motivkategorien „Abreagieren/ Ablenkung/Zerstreuung", „Langeweile" und „Erfolgsstreben/Selbstbestätigung" lassen auf gewisse — manifeste und latente — Funktionen des Videospielens schließen, die man vielleicht am ehesten mit Alltagsoder Problemflucht umschreiben kann.

Das Videospiel wird also in erster Linie als eine Beschäftigung angesehen, die große Ansprüche an die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit des Spielers stellt, in zweiter Linie auch gutes Abschätzungsvermögen und Ausdauer voraussetzt. Fähigkeiten wie Intelligenz bzw. Kombinationsfähigkeit oder Gedächtnis werden hingegen selten für bedeutsam erachtet. Eigenschaften, die mit dem Sozialverhalten zusammenhängen (Verlierenkönnen, Siegeswillen) werden äußerst selten angeführt.

Zu denken geben sollten die Antworten zur Frage, welche Auswirkungen man während oder nach dem Videospielen bereits selbst bei sich wahrgenommen habe. Immerhin 44 Prozent aller Interviewten gaben zu, bereits irgendeine Begleit- oder Folgeerscheinung bei sich selbst verspürt zu haben. Jeweils jeder sechste Befragte hatte bereits Fingerschmerzen oder Ermüdung festgestellt, etwas seltener genannt wurden Schwitzen, Augenschmerzen sowie Sehstörungen. Zwei Arten von Spielern ließen sich unterscheiden:

• Der Typ des „leidenschaftlichen" Videospielers, der sich an zumindest zwei Wochentagen mit dem Videospiel beschäftigt.

• Der Typ des „gelegentlichen" Videospielers, der seltener als zweimal pro Woche spielt.

Bezüglich des Alters sind die „leidenschaftlichen" Spieler unserer Stichprobe im Schnitt etwas jünger als die „gelegentlichen" Spieler.

Bei der Frage nach dem eigentlichen Spielmotiv zeigt sich eine wesentliche Verschiedenartigkeit der beiden Vergleichsgruppen. Während Langeweile als Spielmotiv signifikant häufiger vom „gelegentlichen" Spielertyp angegeben wird, scheint der leidenschaftliche Typ eher vom Erfolgsstreben bzw. von der Suche nach Selbstbestätigung motiviert zu sein.

Der leidenschaftliche Spieler betont stärker Leistungs- und Konkurrenzaspekte: Für sich selbst eine hohe Punkteanzahl zu erreichen oder jemand anderen zu besiegen wird vom leidenschaftlichen Spielertyp positiver erlebt als vom gelegentlichen. Entsprechend werden schlechte Punkteergebnisse oder Niederlagen gegen eine andere Person vom leidenschaftlichen Spielertyp als unangenehmer empfunden als vom gelegentlichen. Das Motiv zum Spiel am Bildschirm liegt also vor allem im Leistungs- und Konkurrenzbereich, wie die von den leidenschaftlichen Spielern gegebenen Antworten zeigen.

Auszug aus Journal für Sozialforschung 4/84

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung