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Aus Moses wurde Christus

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In den Räumen der burgenländi-schen Landesgalerie im Eisenstädter Schloß Esterhäzy ist bis zum 21. Juli eine Dokumentation zu sehen, die keine Originale, sondern ausschließlich Photomontagen von Fresken und Mosaiken aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zeigt. Wenn diese Dokumentation trotzdem auf großes Interesse,' nicht nur in der wissenschaftlichen Fachwelt, sondern auch bei Laien, stößt, so ist der Grund hiefür in ihrer unerwarteten Thematik zu suchen. Denn hier wird nicht nur der einzige bekannte Freskenschmuck einer spätantiken Synagoge aus der Mitte des 3. Jahrhunderts in großen Farbphotos gezeigt, die in ihrer Anordnung die ursprüngliche Ausstattungsweise des Synagogenraumes wiederzugeben suchen, sondern es wird auch eine christliche Katakombe in Rom mit jüdischer Kunst in Zusammenhang gebracht und eine Reihe dieser Katakombenbilder ebenfalls in farbigen Photomon'ta-gen wiedergegeben. Die Fresken dieser erst im Jahr 1955 entdeckten Katakombe — es ist die Katakombe der Via Latina aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts —, unterscheiden sich sowohl durch ihre Thematik wie durch die Art ihrer Anbringung von allen übrigen bisher bekannten römischen christli^ chen Katakomben. Nur 11 Darstellungen aus dem Neuen stehen nicht weniger als 43 Darstellungen aus dem Alten Testament gegenüber, deren Thematik aus der übrigen Katakombenmalerei meist nicht bekannt ist und somit hier zum erstenmal auftaucht. Außerdem sind alle diese alttestamentlicshen Bildkompositionen nicht, wie sonst, streu-musterartig an die Wände geworfen, sondern in rote Rahmen gesetzt, so daß nahezu der Eindruck von Tafelmalerei entsteht. Interessanterweise hat sich bei einem sorgfältigen Studium -“ dWser ' alttestamerfiittchen Szenen herausgestellt, daß sie' sich“ zu einem Großteil nicht ausschließlich durch den entsprechenden Text des Alten Testaments erklären lassen, sondern daß einzelne Details von anderswoher angeregt worden sein müssen. Als man hierauf das Schrifttum der rabbinischen Tradition zu Rate zog, und zwar entweder Bibelkommentare oder Übersetzungen der hebräischen Bibel ins Aramäische, in die Umgangssprache der östlichen jüdischen Gemeinden, fand man hier die gesuchte Erklärung. Ein besonders überzeugendes Beispiel soll hier vorgeführt werden.

In der Katakombe der Via Latina findet sich eine Darstellung vom Besuch der drei Engel bei Abraham im Tal von Mamre (Gn 18, 1—15). Im Bibeltext heißt es, daß Abraham, als er die drei Engel erblickte, ihnen entgegenlief und sich vor ihnen tief bis zur Erde verbeugte. Eines der Langhausmosaiken aus Santa Maria Maggiore in Rom aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts folgt genau diesem Bibeltext. Hingegen in der Katakombe der Via Latina, die ungefähr zwei Generationen älter ist, sitzt Abraham im Schatten eines Baumes und unterhält sich — seine rechte Hand ist deutlich im Sprech-gestus erhoben — -sitzend mit den drei vor ihm stehenden Besuchern. Damit entspricht diese Darstellung genau einer Reihe von rabbinischen Bibelkommentaren, deren ältester bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. zurückgeht. Es heißt dort nämlich, daß Abraham an sich auf Gottes Befehl die Beschneidung durchgeführt und dadurch Schmerzen gehabt habe. Gerade zu diesem Zeitpunkt kamen aber die drei Engel zu ihm auf Besuch, und als sie seine Schmerzen gahen, forderten sie ihn auf, sich zu setzen und mit ihnen nicht stehend zu sprechen. Dieser rabbinischen Tradition entspricht die Darstellung in der Via-Latina-Kata-kombe. Da nun nicht angenommen werden kann, daß die christlichen Katakombenmaler ihre Anregungen rabbinischen Bibelkommentaren entnahmen, bietet sich als Erklärung nur der Schluß an, daß auf Grund des rabbinischen Textes jüdische

Bildkompositionen entweder für Synagogen oder zur Ausstattung der aramäischen Bibelübersetzungen angefertigt wurden, die dann den christlichen Freskanten als Bildvorlagen dienten.

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Die erhaltene Freskenausstellung der Synagoge von Dura Europos am Euphrat aus der Mitte des 3. Jahrhunderts, die sich heute im Nationalmuseum von Damaskus befindet, liefert den Beweis, daß man in der Spätantike Synagogenräume auf allen vier Wänden von oben bis unten mit Bildern bedeckte. Auch hier sind die in drei Registern übereinander angeordneten Szenenbilder des Alten Testaments in ornamentierte Rahmen gesetzt. Aber die hellenistisch lockere Malweise ist

einer stärkeren Stilisierung gewi-ohen, wie es dem Lokalstil des nahen Palmyra entspricht. Trotzdem verraten manche stilistische Eigentümlichkeiten, wie der Schlagschatten der Beine bei einigen Figuren, daß die Vorlagen für die Fresken der Synagogen nicht in diesem Raum, sondern wohl in einer der großen Metropolen des Ostens entstanden sind, die nicht nur eine starke jüdische Gemeinde hatten, sondern in der auch die hellenistische Malweise der Spätantike gepflegt wurde. Es ist anzunehmen, daß eines der bedeutendsten und fruchtbarsten Zentren dieser Art Antiochia am Orontes war. Die dortige jüdische Gemeinde beherrschte sowohl die aramäische Volkssprache, in der die jüdischen Bibelkommentare abgefaßt waren, als auch das Griechische, das sie mit der Kultur des Gastlandes verband. Die Synagogenbilder von Dura beweisen den Einfluß beider Kulturen. Einige der Synagogenbilder sollen das deutlich machen.

Die Aussetzung des Mosesknaben auf dem Nil und seine Auffindung durch die Pharaonentochter (Ex 1, 15—22, 2, 1—10) wird in vier Einzelszenen vorgeführt, die von einem gemeinsamen Ornamentband gerahmt werden. Die erste Szene ganz rechts zeigt den Befehl des Pharao an die Hebammen, die jüdischen Knaben zu töten. Die beiden Hebammen stehen vor dem thronenden Pharao. In der zweiten Szene, die nur sohlecht erhalten ist, wird der Mosesknabe von einer gebückten Frau auf dem Nil ausgesetzt. Die dritte Szene zeigt die Auffindung des Mosesknaben durch die Pharaonentochter und ihre Dienerinnen, die vierte Szene die Übergabe des Mosesknaben durch seine Schwester Miriam an seine Mutter. Auffallend ist nun, daß die beiden Hebammen vor dem Pharro die gleiche Kleidung (rotes Untergewand mit weißem Obergewand, weißes Untergewand mit gelbem Obergswand) tragen wie Mutter und Schwester des Moses in der vierten Szene. Durch das gleiche Gewand soll ausgedrückt werden, daß es sich in

beiden Fällen um dieselben Frauen, also um Mutter und Schwester des Moses handelt. Der Bibeltext weiß von dieser Gleichsetzung nichts, wohl aber die rabbinischen Bibelkommentare, die somit also hinter dieser Bibelgestaltung stehen. In der dritten Szene wird der Mosesknabe von einer nackten Frau im Wasser aufgefunden. Das ließe sich noch mit dem in der Bibel erwähnten Badewunsch der Pharaonentochter in Einklang bringen. Aber die drei Mädchen hinter der nackten Frau im Wasser, die Waschbecken, Krug und ein Kästchen tragen, und von denen eines eine Muschel an seine Brust gepreßt hält, sind durch diese Attribute eindeutig als Nymphen ausgewiesen. Es entsprach aber den Vorstellungen der heidnischen Spätantike, daß göttliche oder götter-

Photo: Arc-liiA-

iSni ,(wrb*?taifß9i i*h ./loWfnA gleiche, mit übermenschlichen Tugenden ausgestattete Kinder von Nymphen betreut und erzogen wurden, wie Dionysos, Achilles oder Alexander der Große. Die Anbringung der drei Nymphen in der Auf-fingungsszene von* Dura Europos sollte also in der allgemein verständlichen Bildersprache der Spätantike dem Betrachter deutlich machen, daß* es sich bei diesem Mosesknaben um ein außergewöhnliches Kind handelte. Dasselbe wollten auch die rabbinischen Kommentare ausdrücken, wenn sie von der einmaligen Schönheit und Klugheit des Mosesknaben oder von den Lichterscheinungen bei seiner Geburt sprechen. Wenn aber hier die Außerordentlichkeit des Mosesknaben durch die heidnischen Nymphen veranschaulicht wurde, so dürfte das auch Licht auf die Deutung der nackten Frau im Wasser werfen. Sie trägt, wie die Nymphen, Ohrringe, Armreifen und sogar zwei Halsketten, von denen eine mit einem Anhänger versehen ist. Da in der Antike Gottheiten, die mit dem Wasser verbunden waren, auch nackt dargestellt wurden — so zeigt ein Fresko in Pompeji die schaumgeborene Venus nackt in einer Muschel liegend — dürfte auch in Dura Europos dia Pharaonentochter als antike Wassergottheit dargestellt sein. Dadurch sollte offenbar der göttliche Beistand bei der wunderbaren Auffindung des Mosesknaben deutlich gemacht v/erden.

In der Szenenfolge der Moseskindheit hat also sowohl die eigenständige rabbinische Tradition wie auch die Vorstellungswelt der heidnischen Umwelt ihren Niederschlag gefunden, was die enge Verbindung dieser beiden Kulturbereiche im syrisch-palästinensischen Raum in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten beweist.

Völlig anders ist die Darstellung desselben Themas in der Katakombe der Via Latina gestaltet, wenn auch hinter dieser Bildformulierung wieder rabbinische Texte und damit jüdische Bildvorlagen zu stehen scheinen. Hier sind Aussetzung und Auffindung des Mosesknaben in eine einzige Szene zusammenge-

drängt. Im Vordergrund schwimmt das Körbchen mit dem Mosesknaben auf den Wogen des Nils, am Ufer sitzt links Miriam, die Schwester des Moses, im Schilf versteckt, um zu sehen, wie es ihrem Bruder ergehen werde. Von rechts tritt die Pharaonentochter, gefolgt von ihren beiden Dienerinnen, heran und streckt ihre beiden Arme nach dem Körbchen im Wasser aus. Der Bibeltext berichtet, daß die Pharonen-tochter ihre Dienerin ausgesandt habe, um ihr das Körbchen zu bringen. Aber in frühen rabbinischen Kommentaren heißt es, daß die Pharaonentochter ihren Arm (die Worte für „Dienerin“ und „Arm1“ lauten im Hebräischen bis auf ein einfaches oder verdoppeltes „m“ gleich) ausgestreckt habe, der sich wunderbarerweise bis zum Mosesknaben hin verlängert habe. Die beiden deutlich nach vor gestreckten Anme der Pharaonentochter scheinen sich durch einen solchen Text am besten erklären zu lassen. *

Auch der Auszug der Juden aus Ägypten ist sowohl in der Synagoge von Dura Europos als auch in der Katakombe der Via Latina dargestellt, und auch diese beiden Bildformulierungen unterscheiden sich grundlegend sowohl in der thematischen Gestaltung wie in der Auswahl der einzelnen Szenen voneinander. In der Synagoge ist als erste Szene der Aufbruch der Israeliten aus Ägypten dargestellt, das durch eine Stadtmauer mit geöffnetem Stadttor veranschaulicht wird. Der Auszug erfolgt in geordneter militärischer Formation; die Israeliten sind — in Ubereinstimmung mit dem hebräischen Bibeltext — bewaffnet. Moses zieht an ihrer Spitze und schwingt seinen Stab über den Kopf, um das Meer zu teilen. Die zweite Szene zeigt das Ertrinken der Ägypter im Roten Meer, das Moses kraft seines Stabes über ihnen wieder geschlossen hat. Die letzte Szene ist schwer deutbar. Offenbar stehen die geretteten Israeliten — wieder in Schlachtreihe, mit den Standarten der zwölf Stämme — zusammen mit Moses auf dem sicheren Ostufer des Meeres.

Ganz anders ist in der Katakombe der Via Latina dieses Thema gestaltet. Hier ist in zwei aufeinanderfolgenden Bildern der Auszug der Israeliten aus Ägypten und der

Einzug auf Sinai samt der Gesetzesübergabe an Moses dargestellt. Im Auszugsbild sind die — hier unbewaffneten — bunten Scharen der Israeliten durch das Meer bereits durchgezogen. Moses beschließt ihren Zug und senkt seinen Stab ins Meer, in welchem die ersten der verfolgten Ägypter ertrinken. In einer zweiten Szene sind wieder die Israeliten dargestellt, die den ungesäuerten Teig für das Osterfest in ihren Mänteln — entsprechend dem Bibeltext — auf den Schultern tragen. Moses zieht jetzt an ihrer Spitze und weist mit seinem Stab auf einen Tempel imit sieben Stufen, auf den sie zumarschieren, und der nach den rabbinischen Kommentaren den Tempel der Erscheinung Gottes auf dem Sinai darstellt. Gleichsam als Erklärung zu dieser Szene ist an den oberen Rand des Bildes ganz klein eine zweite Darstellung des Moses gesetzt, rter mit großen Schritten die Spitze des Berges Sinai erklimmt, um dort aus der Hand Gottes die Gesetzestafeln in Empfang zu nehmen. Da eine solche Einzugsszene nur auf Grund der rabbinischen Kommentare verständlich war, hat sich das Thema in der christlichen Kunst nicht gehalten. Wie schnell die Voraussetzungen für das Verständnis dieser Bildformulierungen aber in Vergessenheit gerieten, beweist der jüngste Grabraum ebenderselben Katakombe. Hier wurde das Bildprogramm vom Auszug der Israeliten samt der Ge&^t-zesübergabe an Moses getreu kopiert, nur setzte der christliche Freskant in den Tempel der Erscheinung Gottes auf dem Sinai den von Christus durch den Stab auferweckten Lazarus. Eine solche Szene schien sich nach christlichem Verständnis besser für die Ausmalung einer Katakombe zu eignen, auch bereitete es keine Schwierigkeiten, den jugendlichen Moses als Christus zu interpretieren.

Ein eigener Raum der Ausstellung ist dem Weiterwirken der jüdischen Bildformulierungen der Synagoge von Dura Europos in der spätantiken christlichen und in der mittelalterlichen jüdischen Kunst gewidmet. Dadurch soll dem Besucher der Ausstellung ein abgerundetes Bild von der Bedeutung der jüdischen Kunst der Spätantike auch für die folgenden Jahrhunderte geboten werden.

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