6958961-1984_41_04.jpg
Digital In Arbeit

Aus Schaden klug werden

19451960198020002020

Hainburg ist zum Symbol für das Aufeinandertreffen von zwei Weltanschauungen geworden und droht, zum „Religionskrieg" auszuarten. Höchste Zeit für konstruktive Vorschläge.

19451960198020002020

Hainburg ist zum Symbol für das Aufeinandertreffen von zwei Weltanschauungen geworden und droht, zum „Religionskrieg" auszuarten. Höchste Zeit für konstruktive Vorschläge.

Werbung
Werbung
Werbung

Der geplante Bau des Donaukraftwerkes Hainburg ist eines jener großen, komplexen Entscheidungsprobleme, welche dem sektoralen, eindimensionalen Denken in Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft Schwierigkeiten bereiten.

Komplexe Entscheidungsprobleme erfordern ein interdisziplinäres Verfahren unter Einbeziehung der besten Fachleute. Ihre Aufgabe ist es, an Tatsachen zu erinnern und klare Einsicht in einem sachlichen Gesamtzusammenhang darzubieten.

Die Akademie für Umwelt und Energie in Laxenburg hat als Verein in diesem Jahr versucht, durch Experten-Hearings eine Organisationsform zu finden. Sie erfüllte zwei Anforderungen:

• Informationsdiskussionen unter Sachkompetenten über Sachargumente zu führen und Aggressionsdiskussionen zu vermeiden;

• Kommunikationsebenen zwischen Experten herzustellen, die von der Unmittelbarkeit des Fachdialoges und nicht für Medien- oder Hörer-, Seher- oder Leserschaften bestimmt sind.

Mit der Fachtagung „Kraftwerk Hainburg — Nationalpark-Ost" Anfang des Jahres wurde der Ansatz zu einem Modell gezeigt, wie die Meinungsfindung zur Umweltverträglichkeit von Großprojekten zuerst in Klausur unter Fachkundigen mit anschließend uneingeschränkter Information der Öffentlichkeit vonstatten gehen könnte.

Zeitgerechte Umweltverträglichkeitsprüfungen wären ein wirkungsvolles Instrument, um komplexe Entscheidungsprobleme und Umweltfragen mehr als Sachfragen und weniger als Machtfragen einer Lösung zuzuführen.

Unsere Verfassung versucht, Interessen- und Machtkonflikte in Rechtskonflikte zu verwandeln und durch bestimmte Organisation und Verfahren zu einer für die Beteiligten erträglichen Lösung zuzuführen. Die im administrativen, politischen und gesellschaftlichen System auftretenden Umweltfragen könnten ebenfalls durch entsprechende Organisation und Verfahren erträglichen Lösungen zugeführt werden.

Freilich hat die erwähnte Fachtagung um Jahre zu spät stattgefunden. Doch kann sie dazu beitragen, die Umweltverträglichkeitsprüfung in unserem Verwaltungssystem einzurichten.

Aus der Causa Hainburg haben wir auch gelernt, wie viele Koordinations- und Kooperationsdefizite insbesondere im Bereich der Planung bestehen, so etwa zwischen Kraftwerksplanung und Raumplanung.

So kann es sogar in der Öffentlichkeit mehrere Standortalternativen geben. Um aber einen Standort überhaupt in das Entscheidungsverfahren der Raumplaner einbeziehen zu können, bedarf es eines Einreichers, der ein solches Projekt, das er einreicht, auch tatsächlich bauen will.

Dagegen kann kein Einreicher gezwungen werden, eine Standortüberlegung der Raumplanung tatsächlich zu verfolgen.

Später können auch nicht im Sinne eines Optimierungskalküls alle denkbaren Alternativen einbezogen und nach den verschiedenen Kriterien bewertet werden. Es' wird nur die Alternative als Projekt eingebracht, welche der Betreiber von seinen Interessen aus für optimal hält.

Der Planungsfreiheit des Planungsträgers stehen viele Amtsund Sonderverschwiegenheitspflichten öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Art gegenüber. Gerade im rechtlich nur ansatzweise erfaßten Planungsbereich bestehen mangelnde Transparenz und ein Informationsdefizit der Öffentlichkeit.

Die öffentliche Meinungsbildung erfolgt meist nur lückenhaft, ausschnittweise, punktuell und oft nur als Folge des Bruchs von Verschwiegenheitspflichten.

Verwaltungsverfahren sind nicht öffentlich. Sie sind auf den Kreis der Behördenvertreter und der nach den verwaltungsrechtlichen Vorschriften Partei- oder Beteiligtenstellung genießenden Personen beschränkt. Selbst diesem Kreis kommt nur ein eingeschränktes Recht auf Akteneinsicht zu.

Diese verfahrensrechtlichen Beschränkungen verhindern Öffentlichkeit, verhindern umfassende, allgemeine Information.

Deshalb wäre zu überlegen, ob nicht jedermann das Recht besitzen sollte, an Verfahren aller Art teilzunehmen, um Informationen zu gewinnen, wobei das Mitspracherecht im Regelfall auf die Verfahrensparteien beschränkt sein könnte. Dasselbe gilt für die Akteneinsicht.

In vielen Fällen ist nur dem Antragsteller im VerwaHungsver-fahren Parteistellung eingeräumt. Damit verlaufen auch komplexe Entscheidungsvorgänge eindimensional.

Da überdies der Antragsteller aber - jedenfalls wenn er ein Vorhaben verwirklichen will — über die Zustimmung allenfalls vorhandener anderer Parteien verfügen muß — will er ein Vorhaben verwirklichen -, gibt es im Falle einer positiven Erledigung keinen Antragslegitimierten mehr.

Daher wäre die Einrichtung der Formalpartei weiter auszubauen.

In umweltrelevanten Verfahren wäre ein Umweltanwalt mit Rechtsmittelbefugnissen als Anwalt des öffentlichen Rechts einzusetzen.

Es würde sich außerdem empfehlen, auch jenen Organen Formalparteistellung in allen notwendigen Verwaltungsverfahren einzuräumen, die mit Planungsund Koordinationsaufgaben betraut sind (wie beispielsweise das wasserwirtschaftliche Planungsorgan).

Eine derartige Konstruktion würde auch in Mehrparteienverfahren Vorteile bieten, weil sich heute der im Verwaltungsverfahren eingerichtete Konfliktlösungsmechanismus zwischen öffentlichen und privaten Interessen vielfach auf andere Ebenen verlagert hat.

Heute stehen nicht nur öffentliche und private Interessen einander gegenüber, sondern die vielen öffentlichen Interessen selbst treten in Konkurrenz und Konflikt. Durch die Einräumung einer Formalparteistellung könnte auch ein Interessenausgleich dieser widerstreitenden öffentlichen Interessen erreicht werden.

Schließlich sollte schon die „Planung der Planung" in ein Verfahren eingebunden werden. Um das derzeit bereits in einzelnen Verwaltungsvorschriften vorhandene Vorprüfungsverfahren — es betrifft aber nur ein konkretes, schon durchgearbeitetes Projekt — aufzuwerten, sollte man den Planungsbereich in die Vor-; prüfung einbeziehen.

Im Rahmen dieser Vorprüfung von Großprojekten mit allen möglichen Alternativen sollten besondere Expertenkommissionen als Sachverständige berufen werden. Schon in diesem Stadium sollten sie Fehlplanungen, in der Folge problematische Bewilligungsverfahren verhindern helfen.

Heute bieten die derzeitigen Vorprüfungsverfahren eine solche Gewähr nicht. Umso weniger sind grundlegende Änderungen eines Projekts im späteren Bewilligungsverfahren erreichbar.

Können wir nur durch Schaden klug werden? Wir können aus der Causa Hainburg lernen, wir müssen es.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und Wiener ÖVP-Gemeinderat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung