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Ausbeutung des Bewußtseins

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Wenn ich schreibe, beute ich eigentlich immer nur mein Bewußtsein aus. Wie ich zum Beispiel das „Nicht versöhnt“ von Straub gesehen habe, wie ich früher gelesen habe, viel gelesen habe, als ich von Büchern durch und durch gerüttelt wurde, etwa bei der Lektüre von Fauilkner und Dostojewski; da gab es Momente, wo ich zu schweben angefangen habe und eine mögliche andere Empfindungswelt erlebte, die mir bis dahin fremd war.

Natürlich gab es nicht nur ästhetische Erlebnisse; da waren auch einige Geschichten wie der Tod meiner Mutter und die Geburt des Kindes und die langwierige Trennung von einem Menschen, mit dem ich mein Leben so automatisch weiterführen zu können glaubte. Das waren schon Sachen, die alles umstülpten...

Oft war es ein metaphorisches Gefühl, wie wenn ich in ein anderes Land komme und die Sprache nicht verstehe und alles neu sehe und die Gegenstände mir durch die Sprache auch ganz neu vorkommen, weil ich immer überlege, wie dieses oder jenes wohl heißen mag. Vor allem aber waren es auch Zustände, die sich auf die Zukunft bezogen, die einen starken Impuls hatten, den man früher religiös genannt hätte. Also: Sehnsucht nach einem Bezugssystem für die eigenen Tätigkeiten und das eigene Bewußtsein, das man ja bis dahin vermißt und worunter man gelitten hatte; und jetzt kam nun dieser Impuls, der alle Lebensäußerungen ergriff, der einen zwang, sich anzustrengen, Tätigkeiten nicht einfach zu verrichten, sondern sie zu überprüfen und sie in Beziehung zu setzen zu anderen Tätigkeiten ...

Einen Brief schreiben, einen simplen Brief, in dem man der Bank mitteilt, wohin sie hundert Mark überweisen soll — schon dazu bin ich oft einfach unfähig. Es ist eine tiefe Lustlosigkeit zu irgendeiner Tätigkeit, weil einem das vielleicht nicht als Tätigkeit vorkommt. Manchmal zwinge ich mich dann natürlich auch zum Lesen, meistens lese ich ein Buch, nicht die Zeitung, Zeitunglesen macht mich auf die Dauer gesehen ganz nervös, ich werde dann immer unzufrieden, weil die Informationen meistens solche sind, denen ich nichts zutraue an allgemeiner Kraft, es ist ja überhaupt nicht anstrengend, genausogut könnte ich mich vors Fernsehen -setzen und die Tagesschau ansehen.

Da lese ich dooh viel lieber Bücher, .. darin steht wenigstens schon etwas wirklich Geschichtliches, und in dieser Entfernung des Gelesenen beruhige ich mich wieder, in den Geschichten anderer Leute, die zu anderer Zeit gelebt haben; und in dem andauernden Vergleichen mit dem Damals, das mit der Anstrengung des Lesens entsteht, lese ich mich in einen Zustand von aufgeregter Ruhe hinein, ich bin also ganz wach und gleichzeitig ganz ruhig und bin völlig bei mir selber und nehme die Grenzen, die ich habe, als Gestalt wahr; und überhaupt ist alles an seinem Platz.

Diese Erfahrungen habe ich eigentlich wirklich nur, wenn ich mich ernsthaft mit Literatur beschäftige, mit Literatur, wie sie Stifter und Fontane geschrieben haben. Angenehm ist dabei auch die Haltung, die man beim Lesen einnimmt, man hat höchstens ein Glas Wein bei sich und braucht sich nicht zu bewegen und manchmal, wenn es ein wirklich guter Autor ist, habe ich ein großes Gefühl von Geborgenheit, weil ich weiß, daß da nichts schiefgehen kann, daß der Autor nicht schwindelt und er einen wirklich Satz für Satz in und hinter eine Geschichte bringt. Es ist wirklich ein Gefühl von Ruhe und Zuneigung und natürlich auch eines von Dop-pelgängertum, daß man sich also in den besten Momenten als Doppelgänger fühlt, und dann seine lächerliche Individualisierung verliert.

Schön ist es, wenn ich mich nicht mit mir beschäftige, sondern bloß wahrnehme, nur sehe und schaue, dann fühle ich mich am wohlsten. Weil ich mir schon irgendwie lästig bin, wenn ich den Körper spüre, wenn ich spüre, wie ich schwitze, wie es mir kalt ist und wie es dunkel ist oder wie das Licht an ist und die Scheiben spiegeln — dann fühle ich mich sehr unbequem und unangenehm, da ist immer diese Geschwulst von Angst, ein Moment, wo immer alles von einem irgendwie in^ die Welt hineinplatzt. Dann gehe ich meistens weg, was natürlich auch nichts nützt, genausowenig, wie mir in dem Augenblick Schreiben hilft, ich kann dann gar nicht schreiben.

Manchmal ist es so, daß ich vor lauter Angst und Mißbehagen tatsächlich nicht mehr beobachten kann und alles ein Zirkelschluß wird. Ich weiß aber nicht, mit welchen Kindheitserlebnissen das zusammenhängen könnte, ich habe schon oft darüber nachgedacht, vielleicht habe ich das alles vergessen, es muß so eine Art Urschock gegeben haben. Manchmal meine ich, es waren diese fürchterlichen Angstzustände als Kind, wenn die Eltern nicht zu Hause waren und dann zurückkamen und sich schreiend im Zimmer prügelten und ich mich unter der Decke versteckte. Aber es nützt mir nichts, wenn ich denke, das sei eine mögliche Erklärung. Eine Analyse zu machen, wie mir einige schon geraten haben — das kommt- mir auch lächerlich vor, denn ich habe das Gefühl, diese Deutüngssysteme sind banal und versuchen etwas auf einen Begriff zu bringen, wo die Begriffe nicht so leichtfertig verwendet werden dürfen..

Die Gedanken vergehen sofort, wewr -ich - schreibe, wobei das Schreiben mir allerdings nichts nützt für später. Dann wird das Subjekt, als das ich mich fühle und nicht gern fühle, zum Medium, schreibend fühle ich mich wirklich als Medium. Die Anstrengung, die man dabei hat, putzt alles weg, und das ist ein unglaubliches Befriedigungsgefühl, wenn man sich beim Schreiben so quasi aufhebt, wenn all diese privaten Geschichten in der Anstrengung einer Formulierung aufgehoben werden. Ich glaube, daß es in der Literatur — wenn man sich wirklich ernsthaft bemüht, Satz für Satz klar und genau zu formulieren — überhaupt nichts Privates gibt, dann ist alles öffentlich; deswegen finde ich es so blöd, zwischen politischer und privater Literatur zu unterscheiden. Es gibt nur private Anlässe, man erlebt ja alles, auch das Politische, privat; aber die Rückverwandlung in Formulierungen, in Fiktionen und so weiter, die ist der Arbeitsakt, und wenn einem der gelingt, dann wird das Private auch wieder zurückverwandelt ins Politische, öffentliche.

Die Schreibarbeit muß dahin kommen, daß der Satz ganz feststeht, aus ihm ein richtiges Ding wird; etwas Unentfernbares; etwas, das man zerstören müßte, wollte man es beseitigen. Die Antriebskraft dabei: Das vage Gefühl, das man von einer Sache hat, muß zur Formulierung werden, anderseits darf man aber das Gefühl auch nicht an die Formulierung verraten. Das Gefühl muß in der Formulierung ganz geschützt, aufgehoben sein ... Und ich gehe ja schon sehr von Gefühlen aus, von Empfindungen, die meist Schreckzustände sind, wo man plötzlich empfindet, daß man überhaupt lebt und etwas wahrnimmt; oder Erkenntnismomente, wo man glaubt: das ist eine Erkenntnis oder Neuigkeit, die ich jetzt wahrnehme, die es also noch nicht so gibt in dieser oder jener Abweichung zum Beispiel. Ich schreibe jedenfalls nicht selbstverständlich, und wenn ich anfange zu schreiben, kommt mir das immer ganz fremd vor, eine völlig fremde Haltung, fast eine Pose. Jedenfalls nichts Natürliches, kein Lebensvorgang wie Atmen oder Essen oder Trinken, sondern etwas ganz Künstliches. Und erst nach und nach tritt eine Rückprojektion ein, daß dann diese fremde Tätigkeit das einzige wird, was mich beschäftigt; und dann wird auch das Schreiben selbstverständlich. Aber es ist nie so, daß ich mich jetzt andauernd als Schriftsteller fühle, daß alles, was ich sehe, sofort zum Wort wird.

Was ich gar nicht will: eine eigene Sprache erfinden, das finde Ich idiotisch, das ist immer noch dieses Auftreten als Dichter. Ich möchte mich vielmehr in der gegebenen Sprache ausdrücken, und das ist das, was ich immer noch von Wittgenstein gelernt habe, so wenig mich diese Philosophie interessiert: die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch. Davon gehe ich aus. Sicher, es gibt viele Sprachspiele, auch von den sozialen Klassen her gesehen, aber auch von dieser Situation muß man ausgehen. Eine Ideologie wegdestillieren, um so zu einem objektiven Resümee zu kommen über die Zeit, in der ich lebe. Für mich ist Schreiben eine sachliche, zwar angestrengte und konzentrierte, aber keineswegs eine so individuelle und ausgefallene Arbeit.

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