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Auschwitz - ein Lager-Archipel

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Der Leiter des Exerzitienreferates der Erzdiözese Wien nimmt zum Konflikt über das Karmelitinnen-Kloster auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz Stellung.

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Der Leiter des Exerzitienreferates der Erzdiözese Wien nimmt zum Konflikt über das Karmelitinnen-Kloster auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz Stellung.

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In zwei Beiträgen befaßte sich die FURCHE vom 8. Septembermit dem Konflikt um den Karmel in Auschwitz. Sie waren frei von Polemik, was eine objektive Bewertung des Problems fördert. Vielleicht können die folgenden drei Hinweise demselben Anliegen dienen:

1.) Wenn der Pole das Wort Auschwitz verwendet, dann denkt er vor allem an „Auschwitz I - Hauptlager“. Es ist das umzäunte Lagergebiet, wie es aus den Kriegstagen bis heute erhalten geblieben ist. Dort waren seit Juni 1940 Zwangsarbeiter untergebracht Es waren in den ersten zwei Jahren nur Polen, dann auch russische Kriegsgefangene und schließlich Angehörige verschiedener Nationen und Rassen, unter ihnen auch Juden.

Nur so kann die Feststellung von Wladyslaw Bartoszewski in der erwähnten Nummer der FURCHE verstanden werden, er habe zwischen 1940 und 1942 im Lager nur einzelne Juden getroffen, die Mehrzahl wären Polen gewesen. Die Tatsache, daß „in Auschwitz“ („Auschwitz I - Hauptlager“) vor allem katholische Polen litten und in einer erschreckenden Zahl von athei-stischenNationalsozialistenzuTode geschunden wurden, läßt verstehen, warum Auschwitz nach dem Krieg zu einer national-religiösen Gedenkstätte Polens geworden ist. Man begrüßte ganz allgemein den Einzug von Karmelitinnen in das „Alte Theater“ (in dem nie Theater gespielt worden ist).

Dieses Gebäude stammt noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Nach der Okkupation Polens durch die Deutschen Truppen begannen die Firmen Hoechst und IG-Farben dort mit einer Produktion, die sich bald ausweitete. Dazu brauchte man billige Arbeitskräfte. Das war der Anfang des Lagerkomplexes Auschwitz. „Gibt es einen idealeren Ort für ein Karmelitinnenkloster als an dieser Stelle, weit vom Lagereingang entfernt, diskret außerhalb des Lagers, aber dennoch in unmittelbarer Nähe?“, fragen sich viele Polen. „Müssen wir nicht den Schwestern dankbar sein, wenn sie ihr Leben Gott als Sühne für die ungeheuerlichen Verbrechen an diesem Ort anbieten und für Friede und Versöhnung beten?“

Wenn westeuropäische und amerikanische Juden das Wort Auschwitz verwenden, dann denken sie an den gesamten Lagerkomplex: „Auschwitz I - Hauptlager“, „Auschwitz H - Birkenau“ und „Auschwitz IH - Monowitz“. Der eigentliche Ort der Shoah, also der Vernichtung ihres Volkes, ist „Auschwitz II - Birkenau“. Dieses Lager wurde 1941 zunächst für russische Kriegsgefangene und nach der Konferenz von Wannsee, auf der am 20. Jänner 1942 die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden war, als Vernichtungslager für Juden eingerichtet. Westdeutsche und amerikanische Juden, die mit dem Wort Auschwitz den gesamten Komplex meinen, weisen darauf hin, daß dort die Mehrzahl der Opfer Juden waren. (Nach polnischen Angaben: von 1,335.000 Getöteten waren 1,323.000 Juden).

Wenn der nicht-polnische Jude liest, daß sich „im Lager Auschwitz“ ein katholisches Nonnenkloster befindet, dann hat er die Vorstellung, daß dieses inmitten des Ortes, an dem sich die Shoah seines Volkes ereignet hat, liegt. In dieser Annahme bestärkt ihn, daß der gesamte Komplex „Auschwitz I, n, m“, unter einer einzigen zentralen Kommandantur stand und daß dieser Gesamtkomplex 1979 von der UNESCO auf die Liste der Objekte gesetzt wurde, die als „Weltkulturerbe“ gelten. Das „Alte Theater“ liegt innerhalb des zum Denkmal, erklärten Gebietes. Der westdeutsche und amerikanische Jude übersieht in der Regel, daß der Ort der Shoah seines Volkes fünf Kilometer vom Kloster entfernt liegt. Darauf verwies auch Kardinal Glemp in Tschenstochau am letzten August-Wochenende: Man müsse zwischen Auschwitz, wo vor allem Polen, und Birkenau, wo vor allem Juden umgekommen sind, unterscheiden.

2.) Warum wurdeder Karmel nicht in der zwischen hohen Vertretern der Kirche und der Juden vereinbarten Zeit an einen weiter vom Lager entfernten Ort verlegt? Dazu Kardinal Jean-Marie Lustiger von Paris in der „Jerusalem Post“ (28.4. 1989): „Wir haben vermutlich einen sehr unklugen Schritt getan, als wir einen so kurzen Termin für die Verlegung des Konventes festsetzten. Wir begingen den Fehler auf beiden Seiten, denn wir spürten den Druck unserer öffentlichen Meinung... Wir haben nicht begriffen, welcher Art die wirkliche Situation in Polen ist. Macharski verwies auf Umstände, die wir, Juden und Christen in gleicher Weise, wahrscheinlich nicht voll verstanden oder nicht in Rechnung gezogen haben.“

Der Pariser Kardinal, von Geburt polnischer Jude, verwies auf zwei Aspekte des Problems: auf die Schwerfälligkeit der polnischen Verwaltungsbehörden und auf den Widerstand der Polen gegen die Verlegung des Klosters: „Wirunterschätzten den örtlichen Widerstand, den wir überwinden müßten.“ Der Verlauf der Ereignisse gibt dem Kardinal recht.

3.) Kurz nach der Veröffentlichung der für viele überraschenden Erklärung Kardinal Macharskis am 11. August, er sehe sich außerstande, das geplante Inf ormations-, Erzie-hungs- und Gebetszentrum „in der gegenwärtigen Atmosphäre aggressiver Äußerungen und der Schürung des Unfriedens“ zu verwirklichen, versicherte er im privaten Kreis, er schlage damit die Türe nicht zu. Später erklärte er dem israelischen Religionsminister, Zerulum Hammer, er habe in diesem Zusammenhang nie „nie“ gesagt.

Der Kardinal ist der Meinung, es sei derzeit weder ihm noch den polnischen Katholiken zumutbar, in der inzwischen entstandenen Situation an die weitere Verwirklichung eines solchen Zentrums zu gehen. Da an dieses das neue Kloster für die 15 Schwestern angebaut werden soll, ist davon auch die Verlegung des Karmels betroffen.

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