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Ausflug — 4000 Jahre zurück

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Der Boden, über den laut Genesis Stammvater Abraham und seine Nachfahren wandelten, bietet heute nur noch einen unsäglich eintönigen Anblick. In der Hitze des Nachmittags verspürt man auf der Wüstenpiste zwischen Samawa und Nasiriya im südlichen Irak nichts von der Nähe des Euphrat, dessen lehmgelbe Fluten sich in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern nördlich dieser sogenannten „Autostraße” dahiinwälzen. Gelblich- braun ist die dominierende Farbe, die unsere Fahrt zu den ältesten Stätten der Menschheit begleitet, etwas seltsam dabei das Gefühl, wenn man innerhalb weniger Tage die berühmtesten Zentren völlig verschiedener Kulturen besichtigen und auch geistig verarbeiten möchte. Zu viele Epochen flössen im Zwei- stramlamd in- und übereinander, fast jede hat mannigfach Zeugnis abgelegt von den kulturellen Hochphasen ihrer Vertreter, und manche dieser Relikte haben dem Zahn des Wüstensandes und der Zeit erfolgreicher getrotzt als ihre Schöpfer den stetig nachdrängenden Eroberer- Völkern.

Während uns noch die Bilder der goldenen Moscheen von Kadimain, Kerbala und vor allem Najaf, das wir erst am Vortag verlassen hatten, in frischer Erinnerung waren, versuchten wir angestrengt, uns weitere drei Jahrtausende zurückzuversetzen, um sitimmungsmäßig einiger maßen für den Anblick der Zikkurat von Ur gewappnet zu sein; auch wenn man mit der Archäologie nicht verheiratet ist, genügen oft historische Grundkenntnisse, gepaart mit etwas Phantasie und vor allem mit der Bereitschaft, entscheidende Orte der Menschheitsgeschichte geistig richtig auszukosten, um über das Stadium eines rein ästhetischen Genusses hinaus, den die ältesten archäologischen Grabungsstätten zumeist ohnehin nicht vermitteln können, bis zu einem echten Empfinden zu gelangen. Außerdem drückte uns schlechtes Gewissen, weil wir wenige Tage zuvor einen ganztägigen Fußmarsch durch Wüste und Wadis zur Halbzeit abgebrochen hatten, ohne unser Ziel, Warka (das alte Uruk und biblische Erech) erreicht zu haben. „Nur ein völlig Versnobter mit einem Herzen von Stein kann ohne innere Anteilnahme an dieser Stätte uralter Menschheitsgeschichte und Kulturentwicklung verweilen, um die schon die neusumerische Dichtung in vielen wiedererschlossenen Mythen und Epen den Glorienschein eines heroischen, nun fast 5000 Jahre zurückliegenden Zeitalters wob” — schrieb der bekannte deutsche Mesopotamienexperte Prof. Hartmut Schmök- kel über Uruk; als Trost dienten uns jedoch die weniger überschwenglichen Worte des Wiener Assyrologen Dr. Hunger, der selbst zwei Grabungskampagnen in Warka mitgemacht hatte und uns im Deutschen

Archäologischen Institut von Bagdad versicherte, daß in Ur „wesentlich mehr zu sehen” sei.

Als wir noch diesen Gedanken nachhingen, riß uns mit einemmal ein prächtiger Anblick in die Wirklichkeit zurück. Die Strahlen der untergehenden Sonne durchbrachen den Staubschleier vor dem Horizont und ließen einen mächtigen und in dieser Landschaft unwirklich anmutenden Hügel erkennen. Je mehr wir uns dem Zentrum einer jener sagenumwobenen Hauptstädte Babyloniens im 3. Jahrtausend v. Chr. näherten, desto imposanter wirkte die besterhaltene Zikkurat, das Lehmziegelmonument spätsumerischer Baukunst aus der 3. Dynastie der Könige von Ur. Ihre Errichtung fällt in die Regierungszeit des Königs Ürnammu vor fast genau 4000 Jahren, und die in Anbetracht dieses Zeitraumes hervorragende Konservierung ist auf die Verkleidung des inneren Treppenturms mit einer starken Schicht von Brandziegeln zurückzuführen. Von den ursprünglich drei Terrassen, auf deren oberster das Egischnungal- Heiligtum des Mondgottes Nanna- Sin und seiner Gemahlin Ningal im Stile archaiischer Tempel thronte, wurde die unterste hervorragend restauriert, während die mittlere nur mehr im Ansatz erkennbar und die oberste samt Tempel den Jahrtausenden zum Opfer gefallen ist. Eine Wanderung rings um die gewal-

Moschee von Najafs (Irak): „Epochen in- und übereinander”

tige Grundfeste nimmt rund zwanzig Minuten in Anspruch, die Füße versinken stellenweise bis weit über die Knöchel im lockeren Sand, und die Augen erblicken reihenweise versetzte Löcher, die an Schießscharten mittelalterlicher Burgen erinnern, hier jedoch ein Bersten des Lehmziegelkernes während der Regenzeit hintanhalten sollen. Erklimmt man die Zikkurat über eine der drei Treppen, lohnt es sich, den Blick nur auf die nähere Umgebung zu richten, wo die Umrisse der Haram, des heiligen Bezirks, deutlich erkennbar sind. Nur etwa 200 Meter liegen zwischen der künstlichen Terrasse, dem Fundament des einstigen Hochtempels, und dem alten Königsfriedhof im Südiwesten, dessen Eingang ziemlich versteckt und unscheinbar wirkt. Keinerlei Hinweistafeln sind zu finden, daß hier Sir Leonard Woolley den Ruhm der britischen Archäologie festigen und die Schätze des British Museum mehren half, als er in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg die Königsgräber von Ur entdeckte und freilegte. Wir stolperten durch die leeren Grabkammem, und diese Erdhöhlen schweigen sich über die Vielzahl der Kunstschätze, die ihnen erst vor wenigen Jahrzehnten aus ihrer viertausendjährigen Obhut entrissen worden waren und heute in Bagdad, London und Berlin zu bewundern sind, gründlich aus. Um so lautstärker äußerte sich dafür der beamtete Wächter des Grabungsfeldes, dem es mit rund einstündiger Verspätung aufgefallen war, diaß sich ausnahmsweise Touristen für diesen „worth-seeing place” interessierten; zuerst über unsere Frechheit, hier ohne Aufpasser herumzustiefeln, dann über die diebischen Engländer, die den Irak sowohl in Ur wie auch an vielen anderen Plätzen wertvoller Kulturgüter beraubt hätten, um uns dann seinem alten Vater vorzustellen, der eine Art Kammerdiener Sir Wool- leys gewesen war und heute noch unweit der Zikkurat in dem flachen und meistenteils unbenützten Tourist-Bungalow haust. Dieser Greis hatte seinen englischen Wortschatz nicht halb so gut konserviert wie die Wüste das Andenken an die Dynastie Urnammus, und wir warteten vergeblich darauf, daß uns der Oldtimer die Grundmauern eines der Häuser als „Abrahams Haus” anpreisen würde, wie dies ein irakischer Prospekt ankündigt. Statt dessen wies er uns recht wortkarg und mürrisch auf den großen Hof des Mondgottes Nanna, auf die nur mehr andeutungsweise vorhandenen Tempelreste der Verehrungsstätten Nan- nas und Nigals sowie auf die noch etwas besser sichtbaren Fragmente des Dub-Lal-Makh hin, der als Durchgang für die Prozessionen auf dem Weg von der Zikkurat zu den Tempeln fungiert hatte. Die steigende Intensität der Sonnenstrahlen waren für den mundfaulen Wüstensohn und seinen Sprößling ein willkommener Anlaß, sich zur schattenspendenden Zikkurat zurückzu- begeben und uns von dort aus hockender Position verständnislos zu bestaunen, wie wir uns, ungeachtet des Schweißes, mit Hilfe von Phantasie, Skizzen, Fachliteratur und Kamera mit der Hochburg sume- risch-akkadi scher Kultur vertraut machen wollten.

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