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Ausstellungen, die rot sehen lassen

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Republikjubiläum und Kriegsende-Gedenken gaben vielfachen Anlaß zu zeigen, wie es „damals” war, vor allem jenen, die erst später geboren wurden. Die Form, wie dies gezeigt wird, berechtigt zu harter Kritik.

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Republikjubiläum und Kriegsende-Gedenken gaben vielfachen Anlaß zu zeigen, wie es „damals” war, vor allem jenen, die erst später geboren wurden. Die Form, wie dies gezeigt wird, berechtigt zu harter Kritik.

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Die Ausstellungen über bestimmte Kunst- oder Geschichtsepochen dienen dazu, auch dem Nicht-(Kunst-)Historiker einen Eindruck von vergangenen Zeiten zu geben und nicht zuletzt den Jungen von heute klarzumachen, woher ihre Wurzeln kommen.

Gotik und Romanik machten den Anfang, mit den Babenbergern, den Zeiten Maria Theresias und Josephs II. ging es — noch ohne Probleme — weiter. In Grafen-egg, bei Franz Joseph, kamen die ersten Schwierigkeiten. Bei der jungen und jüngsten Vergangenheit wird es kritisch.

Als sich die beiden Großparteien im Vorjahr nicht auf gemeinsame Aktivitäten im Gedenken an den Bürgerkrieg 1934 einigen konnten, wußte der Besucher, was ihn erwartete, wenn er die getrennten Ausstellungen in der Remise, im Semper-Depot betrachtete.

Wenn er in diesem Sommer die Schau im Künstlerhaus sieht, setzt ein flaues Gefühl ein, das sich auf der Schallaburg zum offenen Unbehagen steigert — und zum Brechreiz im Messepalast, wenn er ideologisch mit den Veranstaltern nicht konform geht.

„Traum und Wirklichkeit, Wien 1870 -1930”: Wenn es nur die Darstellung des künstlerischen Aufbruchs der Jahrhundertwende wäre, wenn nur die Werke der großen Architekten gezeigt werden sollten, die grandiosen Kunstwerke der Wiener Werkstätten-großartig!

Aber die Ausstellung will ja mehr. Sie will - legitim - den Aufstieg der Sozialdemokratie dokumentieren. Aber sie sagt es nicht offen.

Sie will diesen Aufstieg, gekrönt von den — für jene Zeit—unumstrittenen Leistungen des „roten Wien”, in das Zeitbild stellen, zwischen Börsenkrach und Wirtschaftskrise — und da darf dann nichts aufscheinen, was diese Apotheose in Frage stellen könnte.

So beschränkt sich die Würdigung der Christlich-Sozialen auf Karl Lueger, der ja wohl nicht umgangen werden kann, war er doch der große Initiator der Wiener Gemeindepolitik.

Die Christlich-Sozialen werden in antisemitischen Pamphleten lebendig — nicht aber die ebenso miesen antiklerikalen Ausfälle der „Arbeiter-Zeitung”. Es gibt keine Hildegard Burjan als Vorkämpferin der Gleichberechtigung der Frau, denn sie war ja zum Katholizismus konvertierte Jüdin, christlich-soziale Abgeordnete (die dann von den eigenen Parteifreunden hinausgeekelt wurde).

Im Katalog wird in Luegers Regierungsprogramm der Kirchenbau an erster Stelle erwähnt — die einzige gezeigte Kirche ist die am Steinhof, als Modell des Jugendstils eines Otto Wagner.

In der Literatur gibt es keinen Alfons Petzold — im Katalog als „Schlüsselfigur der Arbeiterliteratur” anerkannt. Nach Marie von Ebner-Eschenbach, Enrica von Handel-Mazzetti, Richard von Schaukai, Felix Braun, Anton Wildgans sucht man vergeblich.

Weiter zur Schallaburg: Im Zug des Jubiläumsjahres sollte auch dort eine Großausstellung entstehen, die - nach der Vorstellung des Landeshauptmannes — die Aufbauleistungen Niederösterreichs in den Nachkriegsjahren würdigen sollte. Das allein aber lag nicht im Sinn der Gestalter, die aus der Frustration ihrer Kindheitserlebnisse heraus in den „wilden Fünfzigern” die Ursachen für alle Schwierigkeiten der Gegenwart sehen wollen (ohne sich zu fragen, wie es anders hätte besser gemacht werden sollen).

So erwächst für sie aus dem Erfolg, sich endlich wieder sattessen, wieder menschenwürdig leben zu können, die „Uberzüchtung des Konsums”, aus der Schaffung von Wohnbauten, Stauwerken, Straßen ein „rücksichtsloser Aufbau”.

Pin-up-Girls in Strumpfreklamen dokumentieren ihnen ein, „nicht emanzipatorisches Frauenbild”, und die schüchternen Versuche kirchennaher Autoren, in das noch ungewohnte Thema der Sexualaufklärung einzusteigen, werden mit Hohn und Spott Übergossen.

Wen wundert's, wenn in diesem Gemälde kein Platz für die Kirche bleibt, für die Zehntausende, die •jährlich für Staatsvertrag und Befreiung beteten, kein Raum für den Katholikentag 1952, der die freie Kirche im freien Staat proklamierte, für den wiederaufgebauten Stephansdom — die erste Kathedrale im ganzen Kriegsraum, die aus den Ruinen erstand ...

Schon auf der Schallaburg wächst der Verdacht, so mancher Gestalter könne es heute noch nicht verwinden, daß die Kommunisten in jenen Jahren ihre Ziele nicht erreichen konnten. „Wo ist das Proletariat?” wird im Katalog gefragt und seitenweise gegen Sozialpartnerschaft und Produktionssteigerung zu Felde gezogen.

Schlüsselsatz darin ist die Erwähnung der „kommunistisch geführten” Streikbewegung von 1950, die „wider besseres Wissen als kommunistischer Putschversuch diffamiert wurde”. Von Olahs Bauarbeitern, die den Kommunisten entgegentraten, weiß der Autor nichts mehr zu sagen. Sie hätten ihm die Antwort gegeben, wo die Arbeiterschaft stand...

Noch stärker tobt sich diese Enttäuschung in der U-Halle des Messepalastes aus. „Drei Tage im Mai -1945 -1955 -1965”. Die Auswahl von Bildern und Texten ließe vermuten—und soll die Jugend auch glauben machen -, daß 1945 die Kommunisten weitaus an der Spitze aller Bemühungen gestanden wären, nach Kriegsende wieder erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen.

Die Leistungen kommunistischer Funktionäre, die Hilfe der Sowjets gerade in diesen Tagen seien keineswegs in Frage gestellt — aber die ö VP war doch nicht nur ein bremsendes Anhängsel an die beiden vorwärtsstürmenden Linksparteien.

In der Bildunterschrift wird die „Freie österreichische Jugend” zur „überparteilichen einheitlichen Jugendorganisation* verkürzt - die die KP gerne gehabt hätte —, und gleich daneben leuchten auf ihren Fahnen die Sowjetsterne.

„Haben nicht die Nazi auch aus der Geschichte das herausgesucht, was ihnen gepaßt hat?”

Daß in der anstelle eines Katalogs erschienenen „Zeitung” für 1955 und 1965 „Arbeiterzeitung” und „Volksstimme” als Quellen hervorragen, unterstreicht den gewonnenen Eindruck. Eine „Presse” gab es damals aber auch schon...

Vom „konservativen” Finanzminister Reinhard Karnitz weiß man nur zu sagen, er habe sich gegen öffentliche Investitionen ausgesprochen. Daß ihm die Stabilisierung der Währung, die Basis des Wirtschaftswunders zu verdanken war, darf niemand erfahren, auch wenn das einzige Raab-Kamitz-Bild direkt auf die Dokumentierung ,des Wirtschaftsaufschwungs von 1965 hinblickt.

Haben nicht die Nazi ebenfalls aus der Geschichte das herausgesucht, was ihnen zur Absicherung ihrer Propaganda gepaßt hat? Wer beklagt sich, daß die Österreicher die Vergangenheit noch nicht bewältigt hätten? Soll sie so bewältigt werden?

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