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Ausverkauf eines Festes

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Uber das Wort „Kitsch" steht im „KleinenBrockhaus, Handbuch des Wissens" (1927) zu lesen: „Kitsch: geringschätzige Bezeichnung für Werke der Kunst, Literatur und Industrie, die Wertvolles vortäuschen, aber nur in minderwertigem Material ausgeführte geist- und stillose Nachahmungen eigenartiger Werke sind."

Meyers großes Taschenlexikon in vierundzwanzig Bänden aus dem Jahr 1981 weiß schon mehr als der „Kleine Brockhaus", nämlich: „Kitsch: (mundartlich kitschen, streichen, schmieren) Erscheinungsform des Pseudokünstlerischen; massenhaft fabrizierter Kunstersatz... Mangel an Originalität, scheinbare Volkstümlichkeit. Die Definition Kitsch sollte jedoch nicht einfach von der formalen Beschaffenheit der Objekte her bestimmt sein, sondern auch von der Einstellung und Beziehung des Benutzers zu ihm; demnach sind Kitschobjekte Fetisch unreflektierter Idealität beziehungsweise Sentimentalität von Scheinwirklichkeit (zum Beispiel der privaten Idylle einer heilen Welt, der raffinierten Märchenwelt der Illustrierten; oft ausgefallener Gebrauchswert in einer Gestaltung oder mit Zutaten, die mit der eigentlichen Funktion nichts zu tun haben. Kerze als Milchflasche, Kaffeetasse mit Papstbild).

Der Begriff Kitsch taucht zur Gründerzeit um 1870 zuerst im Münchner Kunsthandel auf und bedeutete drittklassige Kunst... die heutige Kitsch-Industrie (geschätzter Umsatz in der Bundesrepublik Deutschland rund zwei Milliarden DM) entnimmt ihre Muster kaum mehr künstlerischer Arbeit, vielmehr tradierter Volkskunst und dem Starkult in Politik, kirchlichem Leben, Unterhaltungsmusik, Film und Sport."

Es ging auf den Dezember zu, die vielzitierte „stillste Zeit im Jahr". Landauf, landab brannten schon die elektrischen Kerzen der Christbäume, auf Straßen, Plätzen, vor und in den Geschäften, mehr oder minder gräßlich aufgeputzt, meist im „Alpen-Look", also mit überdimensionalen Strohsternen und künstlichen Äpfeln, oder „modern", also „uni" rosa oder lila, „Ton in Ton". Schon im November standen die Schokoladen-Nikolos und Kram-perln an allen Ladenkassen, an denen Mütter und Kinder vorbei müssen. Da kommt kaum ein Kind dran vorbei: „Geh, Mama, kauf ma oan!" Und die Mama kauft einen, damit „a Ruah is". Die Weihnachtszeit, ja, wie kitschig ist sie denn?

Um das zu klären fanden sich in der vorweihnachtlichen Zeit eine Anzahl von Menschen zusammen, „natürlich" überwiegend Frauen, aber auch einige Männer. Und was da zur Sprache kam, das bedurfte keines „Anstoßes", das kam als ein Schwall von Ärger, Unmut, Kummer bis zur redlichen Wut - ein Zeichen dafür, daß all das Unbehagen schon lange unter der Oberfläche rumort hatte und endlich heraus wollte. Was zutage kam, war vor allem die Hilflosigkeit angesichts dieses „Ausverkaufs" eines Festes. „Warum muß das alles wochenlang vor dem Fest schon da sein? Man mag ja nicht mehr hinschauen."

„Warum muß ein Käufer - eine Käuferin - bei jedem Einkauf lange vor dem Fest dieses nicht mehr zu ertragende „Kling, Glöckchen, klin-gelingeling" oder „Süßer die Glok-ken nie klingen" oder „Oh du fröhliche" oder „Alle Jahre wieder" über sich ergehen lassen?

Die kommerzielle Vorwegnahme von Dingen, die zum Fest gehören, die dazu beitragen, daß das Fest ein Fest wird, wird von allen Teilnehmern scharf kritisiert. Weiter: das Unbehagen an dem viel zu vielen, das sich da an Glitzer, Glimmer, Glanz und Klang aufbaut und die Menschen geradezu erschlägt. „Man kann schon nicht mehr hinschauen. Bis man den eigenen Christbaum schmückt, hat man schon viel zu viele gesehen. Und vor allem: auch die Kinder."

Die Vorwegnahme und die Masse des Angebots werden von allen verurteilt. Belustigung kommt auf, als eine Teilnehmerin zögernd sagt: „Aber es gibt doch auch ehrlichen Kitsch... ich meine etwas, von dem ich weiß, daß es keine große Kunst ist, das ich aber trotzdem mag."

Es stellt sich heraus, daß fast jeder so etwas hat, das zum „ehrlichen Kitsch" gehört, das er aber nicht missen möchte. Das kann ein Leuchter sein, eine Krippenfigur, ein Wachsengel.

Und wie sieht's mit dem Schenken aus? Mit diesem weihnachtlichen „Zwang zum Schenken"?

Wo Kinder sind, ist man sich geschlossen darüber einig, daß Kriegsspielzeug nicht in Frage kommt. Viele sind gegen die Erwartungshaltung beim Schenken: „Man sollte schenken dürfen - nicht müssen." Der Verdruß junger Menschen kommt zur Sprache, der Überdruß, der erbitterte Protest gegen das Überangebot der oft sinnlosen Schenkerei.

„Heute hat doch (fast) jeder alles..."

„Jeder nicht", protestiert einer und erklärt, daß man oft von seinem Nachbarn nichts weiß und ob - und was-er brauchen könnte. Der Nachbar ist ein Stichwort für die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis.

„Herbergsuche" - das ja. Da sind alle gerührt. Die gleichen Leut' schreien: „Flüchtlingeraus!" wenn einer vor der Tür steht.

„Das Adventsingen wird auch immer kitschiger", behauptet ein Mann, „das ist ja Wahnsinn. Da gibt's in Salzburg vierzehn Adventsingen im ausverkauften großen Festspielhaus, wo dreitausend Leut' hineingehen. So kann das doch nicht gemeint sein." „Hauptsache, die Kasse stimmt", sagt einer lakonisch. Eine, die das Großstadtleben kennt, erklärt: „Die kommen doch nur, um dabeigewesen zu sein."

„Manche nicht", erhebt sich Protest, „es gibt viele, die um diese Zeit wirklich etwas suchen. Und wenn so ein Bus aus dem Ruhrgebiet -beispielsweise - anrollt, und am Abend dürfen alle in den Andachts-Jodler einstimmen, dann ist das immer noch besser, als wenn die Leut' vor dem Fernseher sitzen. Außerdem haben sie ein gemeinsames Erlebnis. Das verbindet."

Eine Frau, sie kommt vom Land, erzählt von ihrem Großvater, Lehrer in einem kleinen Dorf, der im vorigen Jahrhundert zum ersten Mal einen Christbaum ins Dorf brachte, als Überraschung für die Dörfler. Er und seine Frau schmückten den Baum mit Kerzen und Backwerk und stellten ihn im Schulhaus auf. Alle Dorfbewohner waren zu einer bestimmten Zeit eingeladen worden. Als die kamen, ging die Tür auf und sie sahen den geschmückten Baum mit den brennenden Kerzen. Die Erzählerin sagt: „Die Leute glaubten, sie schauten in den Himmel. Es war eine atemlose Stille." Womit die Runde wieder beim Baumschmuck landet: Äpfel, Nüsse, Lebkuchen, Lametta, Kugeln...

„Das ist altmodisch", sagt eine „Pink und Mint ist heuer in." Alle lachen bis auf eine, die gerade aus London zurückgekommen ist. „Sie werden 's nicht glauben", sagt sie, „in den Kaufhäusern dort habe ich ,Horror-Bäume' gesehen. Die Bäume sind alle schwarz gespritzt. Als Schmuck dienen Totenköpfe, Ketten, kleine Panzerfäuste, Knochen, alles schwarz - und das muß sich doch verkaufen lassen, sonst würde man es doch nicht auf den Markt bringen."

Damit ist man beim Kern des Gesprächs angekommen: „Wenn schon Weihnachten gefeiert wird, sollte man doch daran denken, daß die Geburt Christi dieses Fest ausmacht."

„Könnte man nicht auch die Wiederkehr des Lichts feiern?"

„Aber dieses Kind ist doch das Licht."

Man ist sich einig, daß man etwas Schwieriges verwirklichen will: auf das ursprüngliche, das Einfache zurückgehen, das Wesenhafte.

„Und was können wir tun?" heißt die Frage.

Es stellt sichheraus, daß man viel tun kann gegen diese Inflation, diese Verkitschung, diesen Ausverkauf eines Festes: boykottieren, nichts mehr kaufen, was viel zu früh in den Schaufenstern ist, protestieren gegen die verlogene Klangkulisse, mit Freunden über all das sprechen, das multipliziert sich, daszieht Kreise. Aus einer kleinen Gruppe von Widerständlern.die ihr Ziel beharrlich verfolgen, ist oft eine große Schar geworden, die am gesteckten Ziel ankommt. Das Ziel ist nicht zu hoch gesteckt, wenn es um die Erhaltung eines der schönsten christlichen Feste geht.

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