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Auswege aus dem Verkehrsdilemma

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Die mit Jahresbeginn gültigen Tariferhöhungen haben die Attraktivität der davon betroffenen öffentlichen Verkehrsmittel zweifellos nicht gesteigert, wohl aber wieder einmal die Frage nach den Grundsätzen der Verkehrspolitik in den Ballungsräumen aufgeworfen. Mit diesem Problemkreis beschäftigt sich auch der Beitrag von Dr. Helfried Bauer, Geschäftsführer des Kommunalwissenschaftlichen Dokumentationszentrums in Wien. Er ist Mitautor einer Studie über -J) die „Finanzierung der städtischen Verkehrsbetriebe in Österreich", die vor kurzem veröffentlicht worden ist.

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Die mit Jahresbeginn gültigen Tariferhöhungen haben die Attraktivität der davon betroffenen öffentlichen Verkehrsmittel zweifellos nicht gesteigert, wohl aber wieder einmal die Frage nach den Grundsätzen der Verkehrspolitik in den Ballungsräumen aufgeworfen. Mit diesem Problemkreis beschäftigt sich auch der Beitrag von Dr. Helfried Bauer, Geschäftsführer des Kommunalwissenschaftlichen Dokumentationszentrums in Wien. Er ist Mitautor einer Studie über -J) die „Finanzierung der städtischen Verkehrsbetriebe in Österreich", die vor kurzem veröffentlicht worden ist.

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Dem Verkehr als Mittel der Distanzüberwindung kommt eine wichtige positive Rolle im sozialen, wirtschaftlichen und im kulturellen Leben der Städte zu. Je stärker allerdings der Verkehr wird, insbesondere der individuelle Autoverkehr, desto spürbarer werden die von ihm ausgehenden sozialen und wirtschaftlichen Belastungen.

öffentliche Flächen werden über Gebühr in Anspruch genommen, viele Unfallopfer, besonders unter Kindern, Jugendlichen und Alten sind zu beklagen; Stauungen sel&st

außerhalb der Verkehrsspitzen und Störungen des öffentlichen Verkehrs sind die Regel, der Energieverbrauch des Pkw-Verkehrs ist wesentlich höher als der des öffentlichen Verkehrs, Beeinträchtigungen der Lebensqualität treten immer stärker auf, ebenso wie Benachteiligungen für alle jene, die nicht über ein Auto verfügen.

Forderungen nach einem verstärkten Ausbau des öffentlichen Verkehrs, nach einem Nebeneinander von öffentlichem und individuellem Autoverkehr, nach einem besseren Schutz des Fußgänger- und Fahrradverkehrs, finden sich in den Programmen politischer Parteien und Wahlaussagen von Mandataren.

Erste, oft nur zaghafte Versuche, den Vorrang des öffentlichen Verkehrs in die Tat umzusetzen, Fußgängerzonen zu schaffen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, bewirken allerdings nur geringe Verbesserungen oder bleiben wirkungslos.

Die angestrebte Lösung der Verkehrsprobleme tritt jedoch durch eine Politik der „parallelen Förderung" von Auto- und öffentlichem Verkehr kaum ein. Für eine wirkungsvolle Verkehrspolitik, welche die aufgezeigten negativen Auswirkungen des überhandnehmenden Autoverkehrs reduzieren oder beseitigen will, bedarf es einer umfassenden, sorgfältig abgestimmten und konsequenten Reorganisation des städtischen Verkehrs.

Eine Reorganisation des städtischen Verkehrs könnte sich an folgenden Oberzielen orientieren:

• Erhöhung der Qualität der städtischen Verkehrssysteme (bessere Erreichbarkeit bestimmter Stadtteile, Verkürzung der Transportzeiten, Reduzierung der negativen Auswirkungen des gegebenen Verkehrssy-

stems auf die Umwelt sowie Senkung des Energieverbrauches für Transportzwecke);

• mehr Gleichheit im städtischen Verkehrssystem (bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse jener, die nicht über ein Auto verfügen, von Behinderten, von Alten, Verringerung der ungleichen fiskalischen Belastung bestimmter Bevölkerungsgruppen, d. h. der faktischen Subventionierung des Autoverkehrs);

• Steigerung der Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Mittel (bessere Nutzung der vorhandenen öffentlichen

Versucht man, diese allgemeinen Zielsetzungen nun in konkrete und detailliertere Ziele kurz-, mittel- und langfristiger Art in einzelnen Bereichen der Kommunalpolitik umzusetzen, ergeben sich für die Stadtentwicklungspolitik mehrere vordringlich anzustrebende Ziele: Ausbau mehrerer Nebenzentren, Erneuerung dicht bebauter Stadtgebiete an Stelle von Stadterweiterung. Dadurch werden die Transportweiten verkürzt, bestehende öffentliche Verkehrsmittel besser genutzt. Durch die Wahl geeigneter Standorte für bevölkerungsnahe Einrichtungen und Dienste (Spitäler, Schulen, Sportstätten, kulturelle Einrichtungen) sowie für Betriebe könnte eine über das Stadtgebiet gleichmäßig verteilte Versorgung der Menschen und damit eine Verringerung der „erzwungenen Mobilität" erreicht werden.

Kann durch eine entsprechende Stadtentwicklungspolitik das städtische Verkehrssystem nur auf lange Sicht umgestaltet werden, so ermöglicht eine geänderte Angebotspolitik im Bereich des öffentlichen Verkehrs und des Straßenbaues schon in kurzer Zeit spürbare Veränderungen. Straßenbahnen und Busse sollen möglichst umfassend von Störungen des individuellen Verkehrs befreit werden, die bestehenden öffentlichen Verkehrsmittel (z. B. auch Nahverkehr der Bundesbahnen) sollen zweckmäßig miteinander verbunden werden und in dünner besiedelten Stadtrandgebieten sowie zu Zeiten geringer Nachfrage (Nachtverkehr) durch neue Formen des öffentlichen Verkehrs, wie Linientaxis, bedarfsgesteuerte (Ruf-)Busse ergänzt werden.

Sinn des Konzeptes der Verkehrsberuhigung reduziert und verlangsamt werden. Verkehrsflächen in den Stadtzentren (Haupt- und Nebenzentren), in Wohngebieten, im Bereich von Gemeinschaftseinrichtungen, die jetzt vor allem dem fließenden und ruhenden Autoverkehr dienen, sollen wieder für Erholung, Spiel, Kommunikation, Einkauf nutzbar gemacht und benachteiligte Verkehrsarten, wie Fußgeher- und Fahrradverkehr, sollen begünstigt werden.

„Möglichst viele Verkehrsflächen sollen zeitweise oder ganz für eine intensive Mehrfachnutzung durch alle Verkehrsarten offenstehen. Sie sollen also gleichzeitig durch den Autofahrer und den Fußgänger, den Radfahrer und den Bus benutzbar sein. Dieses sogenannte Mischsystem ist die gerechteste und ökologischte Form der Nutzung von Verkehrsflächen."

Veränderte Finanzierung des Stadtverkehrs ist erforderlich

Eine Änderung ist auch in der Finanzierung des städtischen Verkehrssystems erforderlich. Die Verwendung der meisten aus dem Halten und Betreiben von Kfz resultierenden Steuereingänge für den Straßenausbau und der Versuch, die steigenden Kosten des öffentlichen Verkehrs zumindest teilweise den Benutzern dieser Verkehrsmittel durch erhöhte Tarife anzulasten, sind unzweckmäßig. Man geht dabei von einer Betrachtung einzelner Verkehrsarten und dem aus finanz-, vertei-

lungs- und verkehrspolitischen Gründen abzulehnenden Eigenwirtschaftlichkeitspostulat (wonach zumindest tendentiell die Benutzer einer Verkehrsart die anfallenden Kosten decken sollen) aus. So sind z. B. Erhöhungen der Fahrpreise städtischer Verkehrsmittel und damit zusätzliche Belastungen ihrer Benutzer, die mit dem Argument einer „verursachungsgerechten" Lastenverteilung begründet werden, nicht gerechtfertigt. Zum einen entsteht ein Teil der erhöhten Kosten des öffentlichen Verkehrs in den Städten durch die Behinderungen des individuellen Kfz-Verkehrs. Zum anderen profitieren nicht nur die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel von deren Vorhandensein, sondern auch die Kraftfahrer. Dies ergibt sich daraus, daß durch den geringeren Platzbedarf des öffentlichen Verkehrs die Straßen zu Gunsten des Kfz-Verkehrs entlastet werden oder daß die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln besteht, daß Autofahrer fallweise (z. B. bei Versagen des eigenen Kfz, bei ungünstigem Straßenzustand) auf Straßenbahnen und Busse zurückgreifen können.

Daß eine neuorientierte städtische Verkehrspolitik, die neben den hier skizzierten Bereichen verschiedene andere Maßnahmen (z. B. Aufwertung des Image des öffentlichen Verkehrs) umfassen muß, eine Fülle von Problemen aufwirft, braucht nicht betont zu werden. Eine allein auf Kernstädte beschränkte neuorientierte Verkehrspolitik ist nicht zielführend, da z. B. eine Reihe auch die Umlandsgemeinden erschließende öffentliche Verkehrsmittel (ÖBB, Post, private Buslinien) entspre- < chend koordiniert werden müssen. Weiters setzt eine veränderte Finanzierungspolitik die Mitwirkung von Bund und Ländern voraus, sei es, daß etwa neue abgabenrechtliche Ermächtigungen für die Städte geschaffen werden, daß das verkehrspolitisch geradezu anachronistische Kfz-Pauschale beseitigt oder reduziert wird, oder daß dem öffentlichen Verkehr verstärkte Förderung zuteil wird.

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