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Autaren in Seoul

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Seoul, Hauptstadt der Republik Korea, mehr als zehn Millionen Einwohner; jeder vierte Koreaner lebt in Seoul. PEN International, jene bald siebzig Jahre alte weltweite Schriftstellerorganisation, die es dazu gebracht hat, von den Mächtigen dieser Welt gehört zu werden, und die immer dann ihre Stimme erhebt, wenn irgendwo die Freiheit der Literatur bedroht ist, tagte in Seoul. Südkorea, wie jedes zentralistisch regierte Land, hat immer noch Angst vor allzu freier Meinungsäußerung. Seoul als Weltkongreß-Gastgeber des PEN: Konnte das gutgehen?

Immerhin, schon die Tatsache, gekommen zu sein, schon das Erlebnis dieser Tagung ist kostbar. Erst beim Abflug, vom bequemen Fensterplatz aus, bekommt diese Unstadt wieder Maß und Anmut. Dann fügen sich die Hügel- und Bergketten mit dem mächtigen Han-gang-Strom zur schönen Einheit. Dann sind die strengen Militär- und Polizeikontrollen auf dem Flughafen vergessen.

Aber noch auf der Fahrt zum Kimpo Airport, wie auf allen Stadtfahrten während der vergangenen Woche, sah das anders aus. Da trugen die ungeheuren Dimensionen Seouls und die unser-einem fremde Kultur dazu bei, daß der Europäer sich recht oft verloren fühlte. Und wer an London oder an New York denkt, wenn er sich Großstädte vorstellt, den wird Seoul mit seiner schier unfaßbaren Weitläufigkeit noch immer erschrecken. Kein Ziel, das ich im Taxi oder im Bus anfuhr, war unter einer Stunde zu erreichen, und überall wimmelten Menschenmassen auf den Gehsteigen, vom infernalischen Verkehr ganz zu schweigen.

Aber ich bin auch zu Fuß gegangen, immer wieder, in vielerlei Stadtteilen, allein, und nie habe ich mich auch nur einen Augenblick ungemütlich, bedroht, am falschen Ort gefühlt. Der westliche Besucher fällt noch auf in Seoul, aber als Fremdkörper wird er nicht empfunden., Vielleicht werden die Olympischen Spiele an dieser schönen Balance Korrekturen vornehmen, vielleicht aber werden sie auch untergehen in dieser riesigen, summenden Stadt.

Einmal geschah mir etwas Wunderbares: Es war 15 Uhr, ich befand mich vor einem großen Gebäude, dessen Zweck mir nicht bekannt war. (Darin liegt der Reiz einer solchen Reise: Unsereiner kann hier sein Wissen einpacken und wird wieder zum Analphabeten — welche Chance!) Das Gebäude war eine Schule. Und um 15 Uhr war Schulschluß. Auf einmal strömten Hunderte von Kindern heraus, und ich war umringt, ja wurde fast mitgerissen von diesen ausnahmslos hübschen Jungen und Mädchen. Jedes der Kinder hatte ein Lächeln für mich — wie viele Arten von Lächeln es gibt, weiß ich erst seit jenem Nachmittag in Seoul. Ich war nicht mehr der Analphabet, der ich war, ich gehörte dazu.

Ich hatte die Menschenrechtsdiskussionen meiner PEN-Ta-gung im Ohr, die Anklagen gegen die Regierung des Präsidenten Roh, und dachte mir doch: Diese Kinder scheinen gesund und heiter und froh. Opfer sind diese Kinder nicht. Seither ist mir Korea mehr als nur ein exotisches Wort. Wo so viele Kinder lachen, da müßte die Zukunft doch gelingen, denke ich.

Für einen Analphabeten konnte man sich manchmal auch in den Tagungsräumen des PEN-Kon-gresses halten, wo sich neben etwa vierhundert koreanischen PEN-Mitgliedern rund zweihundert ausländische Autoren aus 38 Ländern versammelt hatten. Dort spielte westliches Unverständnis dem Fühlen und Denken der fernöstlichen Gastgeber recht unverständliche Streiche. Vor allem die Arroganz des einen der beiden US-PEN-Zentren fiel wieder einmal peinlich auf, jener in New York beheimateten Autorengruppierung, die unter Vorgabe amerikanischer Demokratieprinzipien ihre Freude daran hat, immer, überall, in jedem Fall in der Opposition zu sein. Das Thema „Südkorea und die Freiheit der Literatur in diesem Land“ wurde von den New Yorkern geradezu vereinnahmt, als handle es sich bei Korea um eine amerikanische Kolonie. Das war vielen Nationen, nicht nur den Gastgebern, ein häßliches Spektakel.

Worum ging es hier? Seoul als Begegnungsort für diesen 52. Weltkongreß des PEN war seit zwei Jahren umstritten, weil PEN International es ablehnt, in Ländern zu tagen, wo Autoren wegen ihrer Schriften in Gefängnissen sitzen. Nun hat die Demokratisierung in Südkorea in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, Hunderte von politischen Gefangenen (darunter auch Autoren) sind freigelassen worden; für die Zukunft dieses Landes sieht es gut aus, und den wirtschaftlichen Aufschwung spürt — und fürchtet — ohnedies die ganze westliche Welt. Eine PEN-Ta-gung in Seoul sollte diese positiven Entwicklungen gewissermaßen belohnen und ermutigen.

Nun sitzen aber immer noch vier Autoren im Gefängnis, wovon zwei jedoch tatsächlich kriminelle Straftaten verübt haben. Der koreanische PEN bemüht 'sich um die Freilassung auch dieser vier, und die Regierung zeigte sich verständig und erlaubte es Vertretern des Internationalen PEN, die Inhaftierten zu besuchen. Darüber hinaus erwiesen sich der koreanische PEN und auch die offiziellen Stellen des Landes für diesen Weltkongreß als überaus großzügige und herzliche Gastgeber, was nicht übersehen werden sollte. Schließlich kamen die Delegierten überein, eine Petition (anstatt der schärferen, bestimmt unangebrachten Resolution) an den Präsidenten Roh zu verfassen, worin um die Freilassung auch dieser Autoren gebeten wurde.

Aber es tat sich auch anderes, in seiner Zukunftsbedeutung Wichtigeres beim PEN-Kongreß. So trat, als Leiter einer massiven Delegation aus der UdSSR, erstmals der Generalsekretär des Schriftstellerverbandes der UdSSR, Victor Karpov, als Redner auf — nicht in seiner Funktion, sondern als Autor und Privatmann, wie er betonte. Aber am Ende des Weltkongresses wurde bekanntgegeben, daß schon bei der nächsten PEN-Tagung im Mai 1989 in Maastricht, Holland, über die Gründung eines ersten PEN Zentrums in der UdSSR abgestimmt werden würde. Das sowjetische Zentrum soll unter voller Achtung der PEN Charta, mit freien Mitgliederwahlen, ohne Einmischung der Regierung zustande kommen.

Tatsache ist immerhin, daß in diesem September nach langem Tauziehen auch der polnische PEN wieder zum vollwertigen, freien Zentrum werden wird, ebenfalls mit freien Wahlen ohne Einflußnahme der Regierung — wie es heißt. Diese gute Nachricht verbreitete Freude beim 52. Weltkongreß. Kamerun und Nepal wurden schließlich als neue Zentren aufgenommen. Der Präsident des Internationalen PEN, Francis King, bezeichnete den Kongreß in Seoul zurecht als eine historische Begegnung im Zeichen der Versöhnung.

Ja, milde gestimmt, fast ein wenig verliebt in dieses schöne Land Korea mit seinen herzlichen Menschen, seiner fünftausend Jahre alten Kultur, seiner jüngsten -mit dem Phönix-Mythos vergleichbaren — Geschichte, saß ich am Fenster, als das Flugzeug über Seoul höher stieg. Der bittere Nachgeschmack mancher Diskussionen verflüchtigte sich, als käme es wirklich nur auf die Höhe der Optik an.

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