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Autonomie für die „Regenkönigin“

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Im Zuge der Bemühungen, die Zukunft ihres Staates zu retten, hat die Regierung der Republik Südafrika nun den Weg direkter Verhandlungen und der Begegnung mit den Vertretern der Farbigen eingeschlagen. Ministerpräsident V o r s t e r selbst setzte sich kürzlich in Kapstadt mit den schwarzen Führern der acht Bantu-Heimatländer an einen Tisch und diskutierte mit ihnen anstehende Fragen.

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Im Zuge der Bemühungen, die Zukunft ihres Staates zu retten, hat die Regierung der Republik Südafrika nun den Weg direkter Verhandlungen und der Begegnung mit den Vertretern der Farbigen eingeschlagen. Ministerpräsident V o r s t e r selbst setzte sich kürzlich in Kapstadt mit den schwarzen Führern der acht Bantu-Heimatländer an einen Tisch und diskutierte mit ihnen anstehende Fragen.

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Er bezeichnete die volle Unabhängigkeit der Heimatländer als das Ziel seiner Politik und versprach auch für später finanzielle und technische Hilfe. Außerdem erklärte er, seine Absicht sei es, jede rassische Diskriminierung nach und nach abzubauen, doch gelte es, auf diesem Wege in der sehr unterschiedlichen, vielrassischen Bevölkerung Südafrikas große Schwierigkeiten zu überwinden.

Die Verhandlungen wurden sehr offen geführt und die Repräsentanten der Bantus brachten manches vor, was John Vorster und sein Kollege M. C. Botha, der Minister für Bantu-Verwaltung, -entwicklung und -Unterricht, nicht gern hörten. Doch wurden die Regeln der Höf-' lichkeit nicht verletzt, und es herrschte bis zim Abschluß die patriarchalische Atmosphäre, die das Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen in Südafrika in vielen Fällen charakterisiert. Nach den Verhandlungen, die sich sehr in die Länge zogen, dankten die Bantu-Po-litiker dem Premierminister für seine Geduld und sprachen ihm ihre Anerkennimg für seine Anstrengungen, im ganzen südlichen Afrika Entspannung herbeizuführen, aus.

Dem Europäer ist die Lebensanschauung, die solchem Gehaben zugrunde liegt, fremd geworden. Was Südafrika betrifft, ist er außerdem einseitig informiert und hätte daher von einem Zusammentreffen weißer und schwarzer Politiker harte Auseinandersetzungen um die Frage der ehesten Verwirklichung des Grundsatzes „One man — one vote“ erwartet. Daß dieses Thema nur am Rande gestreift wurde, be-

weist, daß ihm derzeit keine Aktualität zukommt und daß es lediglich von dritter Seite künstlich hochgespielt wird.

Politische Fragen von Relevanz ergeben sich aus menschlichen Nöten und Konflikten. Es gibt sie in Südafrika in großer Zahl und von sehr verschiedener Art.

Viele Stämme, die in den Weiten des afrikanischen Landes leben, haben noch keine Beziehung zur Zivilisation, zur Rationalität und zu der opportunistischen Mentalität des Weißen Mannes. Da gibt es, um nur ein Beispiel zu nennen, in Nordtransvaal das Volk der Balobed. Es umfaßt etwas mehr als 100.000 Seelen und wird von Modschadschi, der „unsterblichen“ Regenkönigin, regiert. Die Balobedu glauben, ihre Königin sei bereits 200 Jahre alt und besitze, nebst andern besonderen Fähigkeiten, die Kraft, Regenfälle zu veruraschen. Die Macht dieser Herrscherin ist unangefochten, der eigene Sohn nähert sich nur auf den Knien seiner Mutter — die das Zepter 1959 nach dem geheim gehaltenen Tode ihrer eigenen Mutter in aller Stille übernahm.

Es leuchtet ein: Ein Land mit einer so bunt gemischten Bevölkerung hat seine eigene Problematik.

Der Plan, den einzelnen Stämmen der Schwarzen in ihren Heimatländern eine arteigene Entwicklung, ungestört von den Weißen, zu ermöglichen, hat viel für sich. Seine Realisierung wird kräftig vorangetrieben.

Unter den führenden Persönlichkeiten dieser Heimatländer, die sich in Kapstadt versammelten, befanden sich der Chef minister der Transkei, Oberhäuptling Kaiser

Matänzima, der Chefminister von Ganzankulu, der hochgebildete Professor Ntsawis sowie der oberste Exekutivbeamte von Kwazulu, Häuptling Buthelezi.

Das in der Entwicklung am weitesten fortgeschrittene „Heimatland“ ist die Transkei. Sie hat die Selbständigkeit bereits erreicht. Oberhäuptling Matänzima genießt dem-entsprechendes Ansehen. In seinem Kabinett sitzt der einzige weibliche Minister Südafrikas, Stella Sigcau; Ressort: Erziehung und Unterricht. Professor Ntsawisi fiel durch verständige Argumentation auf, während Häuptling Buthelezi die eher radikalen Forderungen zur Sprache brachte.

Letzterer war es denn auch, der das Stichwort Von der Einrichtung eines „allgemeinen Parlamentes“ lieferte. Die Entgegnung des Premierministers, seine Regierung verfolge andere Ziele, hatte er sicher erwartet. Daß jener aber hinzufügte, er könne sich vorstellen, daß die ganze Macht in den „Heimatländern“ einmal in den Händen ihrer politischen Führer liegen werde, eröffnete vielleicht auch ihm einen neuen Ausblick in die Zukunft. Die Erneuerung eines traditionellen

Häuptlinigsdespotismus, wenn auch in gemilderter Form, legalisiert durch eine modern verbrämte, jedoch in ihrer Wirksamkeit auf eine Alibi-Furtktion beschränkte Volksvertretung, hat sicher viel Verlockendes für die Herren, die in Kapstadt um John Vorster versammelt waren. Bahnt sich in Südafrika ein neues Einverständnis zwischen der weißen Regierung und den führenden Persönlichkeiten der Farbigen an?

Wenn es von Dauer sein soll, müssen in diesem Rahmen auch die heiklen Fragen, die sich aus dem Zusammenleben der Rassen auf engstem Raum, in den Städten, ergeben, geklärt werden. Hier bedeutet die Apartheid fühlbare Diskriminierung und daraus erwachsen Spannungen, die nach einer Lösung drängen.

Die Einbeziehung der Probleme der in den Städten lebenden Bantus in die Gespräche von Kapstadt war ein bedeutsamer und kluger Schachzug. Dadurch wurde den Vertretern der „Heimatländer“ eine gewisse Zuständigkeit für diese Gruppen eingeräumt, die ihrem Selbstgefühl schmeicheln muß, zugleich aber wurde ihnen die Verpflichtung aufgeladen, an der Lösung konstruktiv mitzuarbeiten. Die Regierung hofft, daß die schwarzen Poli-

Premierminister Vorster:, Direkte Verhandlungen mit den.Farbigen Photo: Camera. Press

tiker sich dieser Aufgabe schon aus Prestigegründen unterziehen, werden, ohne es zu einer weiteren Radikalisierung kommen zu lassen, denn dadurch geriete ihre auf dem Lande sich festigende Stellung in Gefahr.

Sind diese Verhandlungen, die nicht nur mit den Bantus, sondern auch mit den Indern und Mischlingen geführt werden, ein zielführeh-der Weg? Man kann es nur hoffen, vorausgesetzt, daß er ohne Arroganz oder Überheblichkeit, vielmehr mit Selbstkritik und gegenseitigem Respekt begangen wird.

Die Bereinigung der innenpolitischen Ungereimtheiten wäre nicht allein für. die Republik ein Gewinn, denn weltpolitisch gesehen, nimmt die gesamtstrategische Bedeutung Südafrikas nach dem Debakel in Ostasien eminent zu.

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