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Awie Agrarpionier

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FURCHE: Jahrzehnte hindurch fühlte sich die bäuerliche Bevölkerung als Nachzüglerin der Industriegesellschaft. Zeichnet sich hier ein Wandel ab?

BUNDESMINISTER FRANZ FISCHLER: Wenn man die Situation der letzten 20 bis 30 Jahre hernimmt, so erkennt man, daß die rein ökonomische Betrachtungsweise im Vordergrund gestanden ist. Aus diesem Blickwinkel betrachtet hat die Bauernschaft in Österreich nachweisbar große Nachteile gehabt. Zum Großteil besteht dieses Nachhinken nach wie vor. Auf der anderen Seite aber haben die sogenannten immateriellen Werte in der Zwischenzeit in der öffentlichen Meinung wesentlich an Bedeutung gewonnen. Es ist heute so, daß das Leben auf dem Lande eine ungeheure Attraktivität bekommen hat. Die Vorzüge eines funktionierenden Familienlebens, die Möglichkeit der freien Gestaltung der Arbeitszeit, das Zusammenleben mehrerer Generationen - das es am Bauernhof noch gibt -, all das gewinnt wieder an Bedeutung. Allerdings gilt folgendes: Es kann nicht so sein, daß man den Bauern die gute Luft in weniger Einkommen umrechnet. Es muß das Bemühen der

Politik darin bestehen, die Bauern am allgemeinen Wohlstand teilhaben zu lassen.

FURCHE: Zeichnet sich eine Wende in der Technologie, die in der Landwirtschaft eingesetzt wird, ab? Erweist sich die Industrialisierung der Landwirtschaft nicht als Irrweg?

FISCHLER: Hier geht es eigentlich um die Frage, welche Aufgaben die Landwirtschaft hat, auf welche Art sie in der Lage ist, diese Funktionen anzunehmen und für die Gesellschaft sicherzustellen. Da zeigt sich zunehmend und ganz eindeutig, daß ein reines Abstellen auf industrielle Vorbilder in der Landwirtschaft überhaupt nicht möglich ist. In ihr muß man eben mehr sehen als nur den Effekt, der sich aus Mengenwachstum, aus Kostendegressionen, aus den Marktpreisen für irgendein landwirtschaftliches Produkt ergibt.

Es ist sicher kein Zufall, daß gerade die Bauern auf dem neuen ökosozialen Weg einen Schritt vorausgegangen sind. Denn die Landwirtschaft ist in der Lage, das, was bisher in unseren ökonomischen Rechnungen völlig unbewertet blieb, miteinzubringen. Andererseits hat die Landwirtschaft ein Recht darauf, daß auch die Gesellschaft anerkennt, daß das nicht zum Null-Tarif geht.

FURCHE: Das erfordert aber eine Neubewertung und Umorientie-rung. Was kann da die Wirtschaftspolitik beitragen?

FISCHLER: Es wird in Zukunft darauf ankommen, daß wir dem Konsumenten klar machen, was er mit dem Kauf eines heimischen Lebensmittels alles an sonstigen Leistungen der Bauern mitkauft. Es muß klar werden, daß Preisvergleiche zu Ländern, die sich um Umwelt und Landschaftserhaltung nicht kümmern, sinnlos sind.

FURCHE: Haben Sie nicht den Eindruck, daß Preisunterschiede weiterhin die Kaufentscheide der Konsument entscheiden werden?

FISCHLER: Derzeit ist man noch zu sehr darauf aus, das billigste Produkt zu kaufen. Aber hier müssen wir einfach den kritischen

Konsumenten als Partner gewinnen. Und der kritische Konsument wird sehr wohl erklärbare Kostenunterschiede anerkennen. Von Seiten der Bauernschaft wird das verlangen, daß sie auf Heller und Pfennig diese Unterschiede auch nachweisen kann. Andererseits geht es nicht nur um Preise, sondern auch um die Notwendigkeit, den Bauern die Leistungen, die über das Nahrungsmittelproduzieren hinausgehen, abzugelten.

FURCHE: Reichen Appelle an das ökologische Gewissen? Muß man nicht mit Raubbau erzeugte Produkte pönalisieren?

FISCHLER: Das ist ja mitentscheidend. Meine Idee ist folgende: Es müssen die Deklarations- und Qualitätsvorschriften sowie die Markenbezeichnungen dafür sorgen, daß tatsächlich die ganze relevante Information wiedergegeben wird: Nicht mehr nur das Gewicht, sondern auch die Umweltbedingungen oder die Tierhaltungsformen. Damit wird der Konsument erst in die Lage versetzt, entsprechend zu vergleichen. Das gilt natürlich ganz besonders auch für die Importware. Es kann sicher nicht so sein, daß wir die heimische Landwirtschaft dazu ermuntern und mit Vorschriften dazu bringen, ökologisch richtig zu wirtschaften, und daß dann unter Umständen die heimischen Erzeugnisse durch unökologisch hergestellte Importware verdrängt werden.

FURCHE: Sehen Sie im Ausland Ansätze zu einer ähnlichen Agrarpolitik, wie Sie sie hier skizzieren?

FISCHLER: Es gibt in einigen EG-Ländern derartige Ansätze. Holland ist einerseits ein Land mit stark industrialisierter Landwirtschaft, es ist gleichzeitig in Europa der größte Exporteur von Bioware. Österreich importiert Bioware im Wert von jährlich drei Milliarden Schilling. Hier sollte man ansetzen.

FURCHE: Kann Österreich eine andere Landwirtschaftspolitik betreiben als seine Konkurrenten? Muß es da nicht den Außenhandel regulieren?

FISCHLER: Das ist richtig. Die beste Absicherung liegt darin, daß sichergestellt wird, daß die Deklaration eines Produktes auch tatsächlich den Verhältnissen entspricht. Darüberhinaus brauchen wir nach wie vor einen gewissen Schutz der heimischen Landwirtschaft. Ihn braucht jedes europäische Land. Unsere bäuerliche Landwirtschaft ist einfach nicht vergleichbar mit den Farmbetrieben in den USA oder in Brasilien. Leider wird gerade auch in vielen Entwicklungsländern, die Exportware mit Methoden erzeugt, die völlig unökologisch sind. Ich denke etwa an die Brandrodungen in den brasilianischen Regenwäldern. Klar, daß eine Ware, die mit solchen Methoden produziert wird, preislich völlig anders dasteht, als wenn sie von Kleinbauern in Österreich mit hohen ökologischen Auflagen hergestellt wird.

FURCHE: Wäre eine Neuorientierung der Energiepolitik ein wichtiger Beitrag für eine zukunftsträchtige Agrarpolitik?

FISCHLER: Wir werden zunehmend technische Rohstoffe und auch Energie produzieren. Bei den technischen Rohstoffen sehe ich längerfristig große Chancen - auch neue Möglichkeiten in Verbindung mit der Biotechnologie.

Nun aber zur Energieproduktion: Erstens geht es um bessere Nutzung der Ressourcen aus dem Wald, zweitens um die Frage der landwirtschaftlichen Produktion für Biotreibstoffe bzw. Bioenergieträger. Hier wird alles leichter, wenn unser Steuersystem umgebaut wird in Richtung weniger personenbezogene Steuern (etwa Lohnsteuer) und hohe Besteuerung fossiler Energieträger. Ich spreche mich sehr für eine solche (allerdings sozial ausgewogene) Umstrukturierung unseres Steuersystems aus.

FURCHE: Das heißt eigentlich: Die große Steuerreform steht noch bevor?

FISCHLER: Wir haben eine große Steuerreform hinter, eine noch größere aber vor uns.

FURCHE: Könnte Österreich da Modell für andere sein?

FISCHLER: Ja. Denn solche Überlegungen werden in verschiedenen EG-Ländern z. B. in der Bundesrepublik angestellt. Ein .kleines Land tut sich leichter als ein großes eine solche Reform durchzuführen.

FURCHE: Hätte die Raiffeisen-organisation nicht eine besondere Aufgabe, Vorreiter bei einer solchen Umorientierung zu sein?

FISCHLER: Ja, da kommen in nächster Zukunft wichtige Aufgaben auf die Raiffeisenorganisation zu. Im Verarbeitungssektor wird auf den traditionellen Verarbeitungsschienen (etwa in der Molkereiwirtschaft) zu rationalisieren sein. Zweitens geht es um die Verarbeitung. Hier ist ein Ausbau notwendig. Das ist eine Voraussetzung für die internationale Konkurrenzfähigkeit Österreichs. Normalerweise bietet der Bauer sein Produkt zur Weiterverarbeitung an. Ist der Verarbeitungssektor nicht entsprechend leistungsfähig, wird es schwierig werden, gegen den Importdruck anzukämpfen und vorhandene Exportchancen wahrzunehmen. Als dritten Sektor sehe ich im Bereich Treibstoff einen wichtigen Auftrag für Raiffeisen. Nicht zuletzt ist der Geldsektor angesprochen. Es geht darum zu überlegen, welche Investitionen durch günstige Kredite gefördert werden sollen.

FURCHE: Braucht das eine stärkere Dezentralisierung, um lokale Initiativen zu fördern?

FISCHLER: Man muß hier feststellen, daß die Nachfrager immer konzentrierter und potenter werden. Heute decken fünf oder sechs Firmen 80 Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes in Österreich ab.

FURCHE: Die schauen wohl genau auf den Preis. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Hoffnungen, der mündige Konsument werde sich nicht vom Billigpreis blenden lassen?

FISCHLER: Nein. Hier geht es zunächst um die Frage, daß diese potenten Nachfrager entsprechende Spannen für sich lukrieren wollen. Stehen diesen Nachfragern Hunderte Anbieter gegenüber, werden sie gegeneinander ausgespielt. Deshalb muß noch nicht die Produktion in großen Einheiten erfolgen. Es geht darum, gemeinschaftlich als Verkäufer aufzutreten. Das ist eine Herausforderung, der man sich stellen muß. Dann ist im Schnitt ein besserer Preis erzielbar. Nicht jeder muß alles anbieten. Zum Verkauf abef schließt man sich zusammen und bietet das gemeinsame Sortiment als Sortiment an.

FURCHE: Gibt es schon erfolgreiche Ansatzpunkte?

FISCHLER: Ja, da ist etwa der direkte Kontakt zum Konsumenten: Was ist in den letzten Jahren nicht an zusätzlichen Bauernmärkten, an Direktvermarktungseinrichtungen entstanden! Ichsehe auch Ansätze in der Marktordnungsreform 1988 mit ihrem Rationalsierungseffekt in der Molkereiwirtschaft. Hier stehen wir unmittelbar vor der Umsetzung. Ich sehe Ansätze im Bereich der pflanzlichen Alternativen (immerhin 30 Prozent des bisher importierten Pflanzenfettes wurde durch eigene Produktion ersetzt). Ich sehe Ansätze im Bereich der Forstwirtschaft, wo wir nicht nur Hackschnitzels produzieren sondern auch bereits Energie verkaufen.

Mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft sprach Christof Caspari.

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