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B erührungsängste

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Das Grenzland Kärnten erlebt eine Neuauflage im Volksgruppenkonflikt. Causa belli: Das Minderheitenschulwesen in Kärnten — ein bislang passabel funktionierendes Provisorium aus dem Jahre 1959.

Der „Kärntner Heimatdienst" (KHD), Stimmungsmacher für deutschnationales Gedankengut im Karawankenland, spielt schon seit Jahren mit der Idee, das Gesetzesprovisorium zu ändern.

Bisher war es so, daß im gemischtsprachigen Süden Kärntens Kinder slowenischer und deutscher Muttersprache gemeinsam die Schulbank drücken und so sozialen Frieden schon im Volksschulalter üben.

Der KHD sieht das anders: Er sagt, die Mehrheit sei im Nachteil. Weü Deutschkämtner Kinder sich die Hälfte ihres Unterrichtes still beschäftigen und das slowenische Wort hören müssen. Da ginge ihnen kostbare Zeit zum Lernen verloren. Der spätere Schulerfolg leide darunter.

Auch um die Deutschkärntner Lehrer macht sich der KHD Sorgen: Es verstoße gegen den ethnischen Proporz, klagen die Heimatdienstler, wenn bei 17 Prozent Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht die Hälfte der Volksschullehrer Slowenen seien.

Die Separationsbestrebungen des KHD haben inzwischen konkrete Form angenommen: Es läuft seit Monaten eine Unterschriftenaktion des Heimatdienstes für ein Volksbegehren (FURCHE, 9/ 1984). 40.000 Kärntner haben schon unterschrieben. Die Landeswahl-behörde hat nun die offizielle Ein-tragungsfrist für das KHD-Volksbegehren vom 24. bis zum 31. August angesetzt.

In Kärnten hat auch die FPÖ unter ihrem Fähnleinführer Jörg Haider Gefallen an den KHD-Ide-en gefunden. Haider brachte im November vergangenen Jahres einen Gesetzesantrag ein, der in Formulierung und Ideologie den KHD-Wünschen verblüffend ähnelt.

Haider-Kritiker werfen dem FPler vor, hinter seinem Schulkampf verberge sich Wahltaktik und Opportunismus: Die Kärntner Freiheitlichen wollten mit ihrer Gesetzesinitiative das nationale Wählerpotential zwischen Großglockner und Karawanken für die kommende Landtagswahlschlacht hinter dem Ofen hervorholen.

Die Protestfront formiert sich: Matheus Grilc vom Rat der Kärntner Slowenen hat — sollte der KHD&Haider-Plan Wirklichkeit werden — den ExistenzVerlust der Minderheit vor Augen: „Wer das akzeptiert", meint er, „will die ganze Volksgruppe auslöschen."

Der Wiener Erwachsenenbildner Ulrich Trinks ging im Rahmen einer Diskussionsreihe an der Universität Klagenfurt letzte Woche mit seiner ideologiekritischen Abrechnung noch weiter: Es gibt, sagte er, hinter den Aktionen Haiders und des KHD ein starkes Element der Berührungsangst, eine Weltanschauung der Reinheit. Die, so Trinks, hätten wir schon einmal gehabt...

Daß die Auswirkungen einer Trennung im Kindesalter nicht auf die Schule beschränkt blieben, wurde bislang von den Politikern verschwiegen: „Ein friedliches Zusammenleben", fürchtet der Klagenfurter Pädagoge Peter Gstettner, „ein Sich-Verständigen und Respektieren wird dann insofern nicht mehr selbstverständlich, als diese Tugenden nicht mehr in allen Bereichen des Alltagslebens geübt werden können".

Warnsignale auch von seiten der Kirche: Am mutigsten stemmten sich die beiden Vorsitzenden des deutsch-slowenischen Koordinationsausschusses der Diözese Gurk, Valentin Inzko und Ernst Waldstein, gegen einen Umsturz des Minderheitenschulsystems. Er bewirke, so die beiden Volksgruppenkenner, eine Stärkung der Verschiedenartigkeit der Menschen.

Einem Hauptargument des Schulkämpfer-Duos Haider&KHD konnte inzwischen der Wind aus den Segeln genommen werden.

Der Klagenfurter Verfassungsrechtler Ralf Unkart widerlegte in einer Studie am Beispiel des Gymnasiums Völkermarkt die Behauptung, Deutschkärntner Kinder wären durch den zweisprachigen Unterricht im späteren Schulfortgang benachteiligt. Sein Ergebnis: Die Zahl der Repetenten bei den Schülern, die in der Volksschule keinen Kontakt mit Slowenisch gehabt haben, ist höher als innerhalb jener Gruppe, die wegen ihrer (passiven) Teilnahme am zweisprachigen Unterricht als diskriminiert bezeichnet wird.

Die Haltung der beiden Großparteien im Schulstreit ist dialektisch. Stefan Knafls Volkspartei praktiziert Liberalismus nach innen: Es solle jeder Funktionär bei sich entscheiden, wie er zur Minderheitenschulfrage steht.

Angst vor einer Parteiorder, vor einem klaren Nein zu den KHD-Ideen, haben auch Landeshauptmann Leopold Wagners Sozialisten. In beiden Großparteien spielt Wahltaktik mit. So gibt es etwa in Kärnten auch unter den Sozialisten KHD-Freunde und Nationale. Wagner weiß das und möchte sie nicht vergrämen. Erst recht nicht so kurz vor der Landtagswahl am 30. September.

Der Autor ist Redakteur der „Kleinen Zeitung", Klagenfurt.

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