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Babenberger-Stammbaum

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Österreich ist ein Land, dem nationaler Chauvinismus fremd ist. Ein typischer Beweis dafür ist die Tatsache, daß Österreich eigentlich keinen richtigen Nationalheiligen besitzt. Nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch die politische Geschichte Ungarns ist ohne den heiligen Stephan nicht denkbar. Das Gleiche gilt für Böhmen in bezug auf den heiligen Wenzel und für Frankreich in bezug auf die heilige Johanna von Orleans. Österreich hat nur geringe Versuche gemacht, in der Person des heiligen Markgrafen Leopold III. aus dem Geschlecht der Babenberger, sich so etwas wie einen Nationalheiligen zu „kreieren“. Leopold hat allerdings im religiösen Leben Österreichs, und auch im politischen, als Nationalheiliger niemals jene Rolle gespielt wie sie der heilige Stephan, der heilige Wenzel oder die heilige Jeanne d' Are im Leben ihrer Völker spielten. Außer der Tatsache, daß den Österreichern nationaler Chauvinismus fremd ist, mag dabei auch mitgewirkt haben, daß Leopold III. gar nichts Kriegerisches an sich hatte und auch kein Martyrium erlitt. Leopold III. war ein hochbegabter, gütiger Landesvater und ein ebenso gütiger Familienvater, der seine zahlreichen Kinder bestens und im christlichen Geist erzog. Für die Entwicklung des österreichischen Staatsgedankens ist er allerdings von größter Bedeutung. Unter ihm ist zum ersten Mal von einem Landrecht und von einem Landesfürstentum die Rede. Seine Friedenspolitik brachte Österreich beachtlichen Wohlstand, sein persönliches Ansehen wurde durch die Heirat mit der Tochter Kaiser Heinrichs rv. gewaltig gehoben. Für das kirchliche Leben Österreichs wurde er durch die Gründung der Klöster Heiligenkreuz und Klosterneuburg — wo er auch begraben wurde — von großer Bedeutung. Herzog Rudolf der Stifter, ständig darauf bedacht, das Ansehen seines Landes zu heben, verfiel deshalb auf den Gedanken, den Papst zu bitten, diesen so unkriegerischen Heiligen, der eigentlich den viel schwierigeren „kleinen Weg“ zur Heiligkeit ging, zur Ehre der Altäre zu erheben. Der Papst kam der Bitte des Herzogs nach und eröffnete den Prozeß. Aber nach dem baldigen Tod des Herzogs schlief dieser wieder ein. Erst hundert Jahre später konnte Kaiser Friedrich III. nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten — die Kurie sah die Heiligsprechung als eine politische Angelegenheit an und war gar nicht begeistert von der Kanoni-sation eines österreichischen Landesfürsten — das Verfahren wieder in Gang bringen und glücklich zu Ende führen. Am 6. Jänner 1485 wurde der Markgraf unter die Heiligen der Kirche aufgenommen.

Das Heiligsprechungsverfahren war durch das Stift Klosterneuburg, wo Leopold III. seine letzte Ruhestätte gefunden hatte, besonders gefördert worden, desgleichen sein Kult nach der Heiligsprechung. Das Stift beauftragte den schwäbischen Priester und späteren Domherrn von Wien, Sunthaym, alle Dokumente über den Heiligen zusammenzutragen und dessen Lebensbeschreibung zu verfassen. Sunthaym war ein gewissenhafter Historiker und benötigte deshalb einige Jahre, um den Auftrag durchzuführen. Sein Text fand nach Fertigstellung dreifache Verwendung: er erschien 1491 in Basel in Druck. Dann wurde er in Klosterneuburg kunstvoll abgeschrieben und mit Miniaturen reich verziert. Vor allem aber diente er als Grundlage für die Schaffung eines monumentalen Bildwerkes, darstellend den Babenberger Stammbaum, das in Klosterneuburg Aufstellung fand.

Dieses Bildwerk im Format acht mal vier Meter existiert heute noch und befindet sich nach wie vor in dem an Kunstschätzen nicht armen Stift Klosterneuiburg. Es ist eine Art von bildlicher Darstellung für das Volk, um ihm das Leben dieses berühmten Geschlechtes „optisch“ zu zeigen. Da dieses monumentale Werk natürlich dem Unbill der Witterung ausgesetzt war und vielfach Schaden litt, wurde es immer wieder restauriert, teilweise nicht sehr glücklich. Die letzte Restauration, die von 1951 bis 1965 vorgenommen wurde, war allerdings die erste unter fachkundiger Hand, und ihr gelang es, soweit wie möglich den Stammbaum in seiner ursprünglichen Schönheit und Monumentalität wiederherzustellen. Der wiederherstellte Stammbaum befindet sich jetzt nicht mehr in der Schatzkammer, sondern im neu eingerichteten Stiftsmuseum.

Kustos dieses Museums ist der Augustiner-Chorherr DDr. Floridus

Röhrig, einer der letzten Sudetendeutschen des einstmals nur Sudetendeutschen zugänglichen Stiftes. Angehörige dieses Volksteils sind durch ihren immensen Fleiß bekannt, und tatsächlich hat Dr. Röhrig, neben seiner täglichen Arbeit als Kustos, Stiftsarchivar, Professor an der theologischen Hauslehranstalt und Seelsorger, immer noch Zeit gefunden, wissenschaftlich erstklassige Werke zur Kunstgeschichte und Geschichte Österreichs zu verfassen. Die Renovierung der Babenberger Stammtafel gab ihm die Gelegenheit, nun auch ein grundlegendes Werk über dieses einzigartige künstlerische und historische Dokument zu schaffen. Glücklicherweise fand er in der Edition Tusch, die trotz der kurzen Zeit ihrer Existenz schon beachtliche Werke über Österreichs Geschichte und Kunstgeschichte herausgegeben hat, einen kongenialen Verleger, der seinen Plan in die Wirklichkeit umsetzte. Und so konnte vor kurzem ein monumentales Werk über den Ktosterneuburger Stammbaum der Babenberger das Licht der Welt erblicken. Es umfaßt neben einem wissenschaftlichen Teil über die Geschichte des Werkes, den Priester Sunthaym und seine Arbeit, eine genaue Darstellung des Kunstwerks und seiner einzelnen Details, ergänzt durch 31 Abbildungen der einzelnen Babenberger Fürsten (sowie deren Frauen), alle in Farben. Der Betrachter kann die einzelnen Bilder anhand dieses Werkes vielleicht besser studieren als am Original. Diese Bilder sind nicht nur sehr reizvoll, sondern auch topographisch von großer Bedeutung, Zeigen sie doch spätmittelalterliche Ansichten von Wien, Melk, Salzburg, Laxenburg, Klosterneuburg, Hainburg usw. Dem Buch ist noch das Werk Sunthayms, wie es 1491 in Basel (in deutscher Sprache) gedruckt wurde, in Faksimile beigegeben. So hat dieser großartige Stammbaum, mit dem sich bis jetzt die Wissenschaft noch nicht genauer beschäftigt hatte, endlich die entsprechende Darstellung gefunden. Zu danken hat die Wissenschaft und hat Österreich dem Stift, das dieses Werk all die Jahrhunderte hindurch bewahrte und restaurierte, dem Autor, der dieses Buch über das einzigartige Denkmal österreichischer Geschichte verfaßt und dem Verleger, der es so reichhaltig ausgestattet und dennoch einen Preis berechnet hat, der eigentlich als niedrig zu bezeichnen ist.

DER BABENBERGER STAMMBAUM IM STIFT KLOSTERNEUBURG. Von Floridus Röhrig. Edition Tusch, Wien. 146 Seiten Text. 33 Abbildungen in Farben. S 998.—.

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