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Babylons Erben auf neuenWegen

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Vor 5000Jahren war der heutige Irak die Wiege der Zivilisation. Sumerer und A kkader entwickelten Städtebau, Schrift, Recht und Wirtschaft. Später prägten Babylonier (Hammurabü), Assyrer(Assurbanipal!) und Chaldäer (Nebukadnezar) die Kultur im Zweistromland an Euphrat und Tigris, ehe Perser und Griechen, Araber und Türken ihre Spuren zogen. Der heutige Irak strebt die Einheit der „noch” auf mehrere Heimatländer aufgeteilten „arabischen Nation” und eine führende Rolle dabei an. Jüngster Schritt in dieser Strategie warder Versuch, das harte Revolutionsregime mit einer quasidemokratischen Legitimation auszustatten. Journalisten aus aller Welt wurden zu den Wahlen am 20. Juni in die irakische Hauptstadt Bagdad eingeflogen.

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Vor 5000Jahren war der heutige Irak die Wiege der Zivilisation. Sumerer und A kkader entwickelten Städtebau, Schrift, Recht und Wirtschaft. Später prägten Babylonier (Hammurabü), Assyrer(Assurbanipal!) und Chaldäer (Nebukadnezar) die Kultur im Zweistromland an Euphrat und Tigris, ehe Perser und Griechen, Araber und Türken ihre Spuren zogen. Der heutige Irak strebt die Einheit der „noch” auf mehrere Heimatländer aufgeteilten „arabischen Nation” und eine führende Rolle dabei an. Jüngster Schritt in dieser Strategie warder Versuch, das harte Revolutionsregime mit einer quasidemokratischen Legitimation auszustatten. Journalisten aus aller Welt wurden zu den Wahlen am 20. Juni in die irakische Hauptstadt Bagdad eingeflogen.

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Im Ersten Weltkrieg rückten die Briten ein, die dem Land 1932 Unabhängigkeit unter einem König zugestanden. 1958 wurde die Republik ausgerufen, aber eine Offiziersrevolte der Rechten stoppte Tendenzen in Richtung dessen, was Araber Sozialismus nennen.

Die blutige Diktatur unter General Abdul Karim Kassem wurde 1963 durch einen bewaffneten Aufstand der Ba'th-Partei blutig abgelöst. Aber erst ein zweiter Anlauf im Juli 1968 sicherte der Ba'th-Revolution Bestand.

Zwar ist die Arabische Sozialistische Ba'th-Pärtei nur eine von mehreren Kräften in der Nationalen Patriotischen Progressiven Front, zu der auch drei Kurdenparteien, die Kommunisten und die Unabhängigen Patrioten gehören - aber wer den Ton angibt, ist unbestritten: Ba'th-Boss Saddam Hussein, der bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr vorsorglich 60 „Putschverdächtige” verhaften und 21 davon, unter ihnen fünf Minister, auch hinrichten ließ.

Die typischen Insignien totalitärer Parteien sind auch heute in Irak nicht zu übersehen: ein protziger Präsidentenpalast, Bilder des Staats- und Regierungschefs tausendfach im ganzen Land präsent, Ausfahrten mit viel Militärtrara, Straßensperren an den Ausfallstraßen jeder Stadt, strenge Direktiven hinsichtlich dessen, was die Massenmedien berichten dürfen („nur das

Positive” und „die führende Rolle Iraks bei der Lösung der panarabischen Probleme”...)

Wirtschaftlich ist unleugbar vieles anders geworden: Die Verstaatlichung der Erdölindustrie und der ölpreisga-lopp verschafften dem Land riesige Einnahmen, die auch dem Ausbau des Schul- und des Gesundheitswesens zugutekamen.

Das Volkseinkommen hat sich seit 1968 verdreifacht, die Erdöleinnahmen werden heuer schätzungsweise bei 18 Milliarden Dollar liegen und 40 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmachen. Irak schwimmt auf öl und in öl-geld. Seine Erdölvorräte werden für die mindestens zweitgrößten der Welt gehalten. (Mit 40 Prozent liegt Irak in der Bezieherstatistik Österreichs an erster Stelle.)

International hat man in jüngster Zeit einige neue Akzentsetzungen des irakischen Regimes mit großem Interesse vermerkt. Die Beziehungen zu Saudi-Arabien und vor allem zu Jordanien, zwei von der Ba'th-Ideologie als kapitalistisch verurteilten arabischen Ländern, haben sich merklich gebessert.

Demgegenüber hat sich das Verhältnis zur Sowjetunion ebenso merklich abgekühlt, seit Hussein auch Kommunisten hinrichten ließ: Trotz 1972 geschlossenen Freundschaftsvertrags erlaubt Bagdad den Sowjets keine Militärstützpunkte auf seinem Gebiet, nicht einmal ein Kulturzentrum. Waffen werden neuerdings nicht nur in der UdSSR, sondern auch in Frankreich und Italien gekauft. Schon kommen drei Viertel der nichtmilitärischen Importe aus Westländern. Und die Sowjetinvasion in Afghanistan hat Irak offiziell mehrfach verurteilt.

Zwar gibt sich die Regierung in Bagdad unverändert verbalradikal zugunsten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), aber der PLO-Vertreter wird von diplomatischen Empfängen tunlichst ferngehalten und die Vertreter zweier linksradikaler PLO-Mitgliedsverbände wurden kürzlich aus Irak verbannt.

Am 20. Juni startete das Regime Saddam Husseins ein „demokratisches Experiment” (offizielle Terminologie): Zum erstenmal seit 24 Jahren und erstmals unter dem Ba'th-Regime durften gute sechs Millionen Wähler (und erstmals die Frauen) aus 840 Kandidaten 250 Mitglieder einer Nationalversammlung wählen, die auf dem Papier parlamentsähnliche Rechte hat.

Im regierungsoffiziellen „Bagdad Observer” konnten wir tags darauf lesen, daß hunderte Journalisten aus aller Welt den „demokratischen Charakter der Wahl bezeugt haben”. Das ist natürlich ein Scherz. Wir sahen Wähler in einigen Wahllokalen Namen ankreuzen (mit „Assistenz” für Analphabeten, die 1975 noch 26 Prozent ausmachten), und dann den Stimmzettel vor den Augen der Wahlfunktionäre offen in die Urne werfen - aus.

Wir erlebten die Stimmenauszählung nicht mit. Vor allem aber hatten wir die Kandidatenauswahl nicht miterlebt. Und auch die Regierung gab zu, daß alle Bewerber (die mit Staatsgeld den Wahlkampf führten, bei Nichtwahl dieses aber zurückzahlen mußten) zwar unterschiedliche Auffassungen über die Durchführung der Revolution, nicht aber über die angestrebten Ziele haben durften.

Ein Experiment, wie die Regierung selber sagt. Vielleicht tatsächlich ein erster Schritt zur Erweiterung der Basis der Revolution. Vielleicht auch nur ein Feigenblatt. Zählen kann nur, was in einigen Jahren herausgekommen sein wird.

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