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Baden war kein Gösing

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Die Tagung des Parlamentsklubs der ÖVP am 11. und 12. März in Baden unterschied sich wohltuend von den bisherigen traditionellen Semmeringtagungen der ÖVP-Mandatare und insbesondere auch von der Gösinger Klausur unseligen Angedenkens im Jänner dieses Jahres. Baden war kein Gösing.

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Die Tagung des Parlamentsklubs der ÖVP am 11. und 12. März in Baden unterschied sich wohltuend von den bisherigen traditionellen Semmeringtagungen der ÖVP-Mandatare und insbesondere auch von der Gösinger Klausur unseligen Angedenkens im Jänner dieses Jahres. Baden war kein Gösing.

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Zufriedene Gesichter, wohin man sah. Die Badener Veranstaltung markierte gewiß keine Wende in der Talfahrt der Volkspartei, denn dazu war sie zuwenig „aufgemacht", es fehlte ihr der insbesondere bei den Veranstaltungen der Gegenseite schon beinahe unvermeidlich gewordene Show-Chiarakter. Die Öffentlichkeit erwartet heut2natage, werm man ihr eine ÖVP-Klausurtagung ankündigt, schon automatisch Streit und rollende Köpfe.

In Baden war es anders. Kaum und nur am Rande Streit und keine rollenden, dafür aber einige neue, in der breiteren Öffentlichkeit leider zuwenig bekannte Köpfe: alles erste Ansätze eines neuen Stils, nach einem Jahr der Führungs- und Ratlosigkeit und noch vor Ende der in Gösing offenkundig gewordenen Führungskrise der ÖVP. Die 78 Abgeordneten der Volkspartei machten sich also gewissermaßen selbständig: nicht im Sinne eines Aufstandes gegen die seit Gösing ohnehin nur noch zeitlich begrenzt amtierende Parteiführung, sondern weil sie erkannten, daß es Zeit ist, neue Akzente zu setzen, Zukunftsperspektiven für die eigene Arbeit im Parlament zu eröffnen und dies am besten in Eigenregie, ohne weiteres „Warten auf Godot", der offenbar nie kommt.

Konstruktive Opposition

Baden war aber auch i^ein Pemmering: also keine Berieselung der da-hinschliimmemden Abgeordnetenköpfe durch „zündende" Kanzler- und Ministerreden, sondern — und dies nicht nur, weil Kanzler und Minister diesmal fehlten — nach dem Einleitungsvortrag des Klubobmannes fünf Ausschüsse für die Themen Sozialpolitik, Rechtspolitik, Wissenschaftspolitik, Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik. In diesen Ausschüssen wurden gleichsam die Weichen für die kommende Frühjahrstagung des Nationalrates gestellt und die künftige Vorgangsweise der ÖVP-Fraktion klar herausgearbeitet. So etwa hinsichtlich der Konjunkturpolitik, bei der die ÖVP der Stabilität der Währung gegenüber dem Wachstum der Wirtschaft den Vorrang einräumen würde. In anderen, nicht weniger wichtigen Fragen wie Bundesbeerreform oder Hochschulreform war eine vorerst abwartende Haltung bemerkbar, aber der Gesamteindruck war, daß man sich im ÖVP-Klub mit den anstehenden Problemen gewissenhaft auseinandergesetzt hat und sich bemüht, eine, wie Klubobmann Professor Koren auch betonte, konstruktive Opposition zu sein. In bestimmten Fragen, wie zum Beispiel in der Frage der kleinen Strafrechtsreform, ist die Annäherung der Standpunkte zwischen Regierung und Opposition offensichtlich, in anderen Fragen, wie etwa bei der Hochschulreform, ist man noch nicht so weit, aber es ist überall viel Spielraum vorhanden. Einer, der es wissen muß, weil er zu den unermüdlichsten und zuverlässigsten Arbeitern im ÖVP-Klub gehört, der Abgeordnete Dr. Hauser, sagte gesprächsweise, wenn Bundeskanzler Kreisky der ÖVP gelegentlich vorwirft, sie lasse die Regierung nicht arbeiten, dann ist die Leistungsbilanz und das in Baden aufgezeigte Programm des Abgeord-netenklubs eine klare Widerlegung dieser Behauptung.

Es arbeiten nur wenige wirklich mit

Die finanzielle Dotierung der Fraktionen durch das Budget machte es mögUch, auch etwas weiter auszuholen und mit der zweitägigen Enquete über „Forschung in der modernen Gesellschaft" Anfang März, bei der auch prominente Fachleute des EWG-Raumes Referate hielten, eine neue Art der Orientierungshilfe für die Abgeordneten auszuprobieren, die fortgesetzt werden soll. Hier zeigten sich allerdings schon gewisse Grenzen, die der Klubleitung gegenwärtig die Arbeit erschweren: Es arbeiteten nur wenige Abgeordnete wirklich mit, ja es waren nur wenige überhaupt anwesend.

In Baden wurde dann eine Broschüre des ÖVP-Klubs verteilt, die einen parlamentarischen Leistungsbericht der ÖVP-Opposition im Jahr 1970 enthält. Eine gekürzte Variante dieser Broschüre soll in Wählerkreisen verbreitet werden. Sie bietet tat-sächJidi einen guten Überblick — unter anderem auch über die parlamentarische Tätigkeit der einzelnen Abgeordneten. Es stellt sich dabei zum Beispiel heraus, daß die Abgeordneten Friiz (Graz), Frodl (Steiermark), Huber (Tirol), Leisser (Niederösterreich) und Tifze (Wien) im Plenum weder eine Anfrage stellten noch eine Rede hielten. In solchen Fällen sagt man stets, man habe keine Ahnung, die eigentliche Arbeit vollziehe sich in den Ausschüssen, und außerdem leisteten solche Abgeordnete dadurch Wertvolles, daß sie in ihren Wahlkreisen mit ihren Wählern Kontakt halten. Das mag sein. Allerdings weiß man, daß auch in den Ausschüssen immer nur einige wenige, und zwar immer dieselben Abgeordneten die Arbeit bewältigen müssen, während die anderen stumm dabeisitzen, und man fragt sich ferner, wie hoch werden Abgeordnete in der Femsehdemokratie von ihren Wählern geschätzt, wenn man von ihnen etwa im Femsehen nichts hört und nichts sieht. Für die Kenner der Situation ist es keine Überraschung, an der Spitze der Leistungsstatistik folgende Abgeordnete zu sehen: Graf (7 Reden), Dr. Gruber (8 Reden, 15 — dringliche, schriftliche oder mündMche — Anfragen), Dr. Hauser (7 Reden,

7 Anfragen), Dr. Karasek (8 Reden, 3 Anfragen), Machunze (8 Reden, 13 Anfragen), Dr. Mock (7 Reden,

8 Anfragen), Dr. Mussü (8 Reden, 1 Anfrage, Staudinger (7 Reden,

6 Anfragen), Dr. Withalm (10 Reden, 1 Anfrage).. Das sind U Namen. Für 78, auch wenn man das hier nicht aufgezählte, zum Teil gute Mittelfeld berücksichtigt, ist es einfach zu wenig. Der ÖVP-Klub und wohl auch die gesamte ÖVP würde anders dastehen, wenn man die Kandidatenauswahl trotz der harten Widerstände in den Sektionen rechtzeitig reformiert hätte.

Klubobmann Prof. Koren hat in seiner Badener Rede „Kontrastierung und Profllierung" einen Prioritätenkatalog der vordringlichen Probleme und „Offenheit nach allen Seiten, auch nach innen und dem Wähler gegenüber" angekündigt, mit weniger, aber guten Initiativen in Fragen, die der Bevölkerung „unter die Haut gehen". Dazu sei es aber notwendig, die Kräfte der Fraktion besser einzuteilen: „Es geht nicht an, daß ein verschwindend kleiner Prozentsatz von Abgeordneten die Hauptlast der Oppositionsgeschäfte zu tragen hat", sagte Koren nachdrücklich. Die Probleme der ÖVP-Fraktion Hegen also offen. In einer Zeit, die — vor der Präsidentschaftswahl und vielleicht auch einer vorzeitigen Neuwahl — von allen vermehrte Anstrengung abverlangt. „Illusionen haben hier keinen Platz", sagte Koren und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er damit „den taktischen Versuch mit unsicheren Verbündeten" meint. Wichtiger als sl-ches vorzeitige Koalitionsstreben ist aber nach seiner Ansicht als Orientierungspunkt für die ÖVP „der Mensch, der im Wahlakt diejenigen delegiert, von denen er annimmt, daß sie seinen Hoffnungen und Bedürfnissen am nächsten stehen …"

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