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Bäcker und Jurist strichenWände

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Ein Bäckermeister, ein Jurist und ein Steuerberater strichen die Wände. Abwechselnd halfen auch andere Pfarrangehörige, in ihrer Freizeit, eine Wohnung für eine vietnamesische Flüchtlingsfamilie fertigzustellen, denn in Thalham, im staatlichen Auffanglager, wartete bereits eine achtköpfige Familie auf ihren Einzug in Wien.

Die Pfarren St. Josef und St. Nepo-muk im zweiten Wiener Gemeindebezirk haben gemeinsam die Patenschaft für eine der 500 Familien, die Österreich schon aufgenommen hat, übernommen. (Für weitere 600 Personen sind dank Pfarrpatenschaftsaktionen noch Plätze frei.)

Ein Hausbesitzer hat sich bereit erklärt, für drei Jahre eine etwa 150 Quadratmeter große Wohnung für 1000 Schilling Monatsmiete zur Verfügung zu stellen. Vorerst mußten noch einige Installationen vorgenommen werden. Mit gespendeten Möbeln, Haushaltsgeräten, Geschirr und Wäsche wurde die Wohnung ausgestattet. Auch ein kleines Haushaltskonto wurde für die ersten Wochen und für Notfälle eingerichtet, und die Handhabung vorsorglich besprochen.

In unserem Fall besteht die aus Nordvietnam kommende Familie, die wegen ihrer chinesischen Abstammung ausgewiesen wurde, aus einem Elternpaar und sechs Kindern, aber nur einem noch schulpflichtigen Buben, der noch nie eine Schule besucht hat.

Das schwierigste Problem ist die Sprache. Wie verständigt man sich mit Menschen, die keine europäische Sprache kennen, deren Gesten, Kopf- und Handbewegungen ganz anders ihre Gefühle ausdrücken, als wir dies hier gewohnt sind?

Auf der Universität in Graz wurden Behelfe für Sprachbetreuer ausgearbeitet, wo es keinerlei sprachliche Berührungspunkte gibt. In einem Wochenendseminar haben Lehrer, Hausfrauen und andere Kontaktpersonen Verständigungsmethoden erlernt.

Auch wenn die erwachsenen Einwanderer sofort in den Arbeitsprozeß eijigegliedert werden, verstehen sie kaum Anordnungen, wie man sie sonst Gastarbeitern in verstümmeltem Deutsch zu übermitteln pflegt. Durch Vorspielen alltäglicher Szenen gewinnt man am ehesten Zugang zu ihnen.

Allerdings erlaubt es die Familienstruktur und das strenge patriarchalische System der Vietnamesen nicht, daß die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern die Sprache lernen. So hat man das 16jährige Mädchen tagsüber in einer Familie untergebracht, wo sie am leichtesten in unser österreichisches Leben eingegliedert werden kann. Zwei Deutschstunden am Tag bilden ihre sprachliche Grundlage.

Eine Hausfrau der Pfarrgemeinde geht mit der Familienmutter einkaufen. Eine andere rzeigt dem Ehepaar den Wohnbezirk und die nähere Umgebung, in der sie leben. Trotz des großen Respekts der Jungen vor der älteren Generation ist der familiäre Austausch ungemein rege, und schnell merkt man, was einer vom anderen angenommen hat.

Ja, man ist verblüfft, was die Neuankömmlinge in wenigen Wochen alles in gutem Deutsch - einer für sie unerhört schwierigen Sprache - bereits ausdrük-ken können! Sie sind sehr lernbegierig und fleißig.

Vor Meldeamt, Fremdenpolizei, Stadtschulrat, Schuldirektion, Arbeitsamt, Lohnsteuerkarte u. a. sind die Flüchtlinge hilflos. Ein Herr der Pfarrgemeinde hat sich deswegen eine Woche Urlaub genommen, um alle Behördenwege mit ihnen erledigen zu können.

Die größten Schwierigkeiten bei ihrer Umstellung bereitet den Flüchtlingen aus Vietnam das Klima. Sie leiden sehr unter der Kälte, Temperaturen unter 20 Grad sind sie nicht gewohnt. Zu Hause etwa war es üblich, beim Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen und bloßfüßig zu laufen. Daß ihnen dieser Brauch in Wien alle möglichen Erkältungskrankheiten einbringt, ist für sie schwer einzusehen, selbst weiche Hausschuhe werden lieber gemieden.

Auch ihr Arbeitsrhythmus ist ein anderer. Sie kennen keinen Ruhetag in der Woche, aber nach einem sechsstündigen Arbeitstag sind sie bereits erschöpft.

In ihren Eßgewohnheiten sind sie sehr bescheiden. Reis, Reis, wenn möglich, geschälter Reis; Fleisch und Fisch gibt's nur dann und wann „zum Drü-berstreuen”. Sie trinken Tee, die Männer auch einmal ein kleines Bier, ansonsten ist der Alkohol verpönt.

In ihrem Wohnhaus haben sie unterschiedliche Aufnahme gefunden. Von einer Partei werden sie grundsätzlich abgelehnt, andere wollen helfen und lassen ihre Telephonnummer da. Beim Schuheinkauf gab die Verkäuferin spontan Prozente.

Im allgemeinen sind die Vietnamesen sehr anpassungsfähig, ohne dabei ihre Eigenart aufzugeben. Jeder Besuch wird stets sehr gastfreundlich empfangen und wenigstens mit einer Schale Tee begrüßt. Ihre Paten haben sich verpflichtet, sie zwei Jahre lang intensiv zu betreuen. Sie sind aber deshalb keine Fürsorgefälle. Ganz bewußt werden sie zur Selbständigkeit angehalten, was sie auch sehr schätzen.

Außer den beiden Jüngsten sind alle anderen bereits in den Arbeitsprozeß eingegliedert. Zwei Mädchen machen Handlangerdienste im nahen Krankenhaus, ein junger Mann hat einen Posten in einem Supermarkt gefunden, ein anderer arbeitet bei einer Baufirma. Das erste eigene verdiente Geld machte ihnen ganz große Freude!

In dieser Familie ist es selbstverständlich, daß der 60jährige Vater und die Familienmutter von der jüngeren Generation erhalten werden.

Uber ihre Erlebnisse schweigen sie noch. Die Pfarrpatn besuchen sie eifrig, und es entsteht natürliche Sympathie beim näher Kennenlernen. Langsam integrieren sie sich in ihre Umgebung, man beginnt sich anzufreunden.

Der große Katzenjammer und das Heimweh wird ihnen wohl in etwa einem Jahr, wenn all das Neue aufgearbeitet ist, nicht erspart bleiben.

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