6985011-1986_23_12.jpg
Digital In Arbeit

Bahnbrecher der Entwicklungshilfe

19451960198020002020

In kirchlichen Kreisen hat das notwendige Umdenken in entwicklungspolitischen Fragen längst eingesetzt. Das zeigt zum Beispiel die „Familienfast-tag“-Aktion.

19451960198020002020

In kirchlichen Kreisen hat das notwendige Umdenken in entwicklungspolitischen Fragen längst eingesetzt. Das zeigt zum Beispiel die „Familienfast-tag“-Aktion.

Werbung
Werbung
Werbung

Manchmal traut man seinen Ohren nicht. Da wird bei einem Symposium anläßlich des jüngsten Berichtes an den Club of Rome (vgl FURCHE 20/1986) über neue Erkenntnisse der Entwicklungspolitik referiert, als ob es sich dabei tatsächlich um etwas ganz Neues, ganz Bahnbrechendes handelt. Und dabei handelt es sich um Fragen, die man schon seit Jahren in Kreisen kirchlicher Entwicklungsorganisationen zu beantworten versucht hat.

Als Referentin für Entwicklungsförderung der Katholischen Frauenbewegung Österreichs, die

für die alljährliche Fastenaktion „Familienfasttag“ verantwortlich ist, wurde mir, aber auch vielen meiner Kollegen, bereits vor etwa zehn Jahren klar, daß ein Umdenken bei Entwicklungskriterien und -Strategien dringend notwendig ist, da die bisherigen Versuche mit traditionellen, karitativen, paternalistischen, institutions-orientierten Maßnahmen zu nur beschränkter „Hilfe zur Selbsthilfe“ geführt hatten. Im Gegenteil, die wirklich arme Bevölkerung an der Basis — sei es im ländlichen, sei es im städtischen Bereich — hatte kaum etwas von Hilfeleistungen--zu- -spüren bekommen, war aber dafür sehr oft in neue Abhängigkeiten geraten.

Für viele engagierte Christen, denen das Wohl der Menschen in den Entwicklungsländern ein echtes Anliegen war, stand der Gedanke, für die Ärmsten der Armen etwas „Gutes“ tun zu wollen, im Vordergrund. Mitleid war hier meist die treibende Kraft gewesen, und der leidende Mensch stand im Mittelpunkt vieler karitativer Einrichtungen, die zum Begriff christlicher Nächstenliebe wurden, aber kaum einen echten Beitrag zur Entwicklung der Betroffenen leisteten. Die reichen Wohltäter aus dem Norden wurden bald als solche akzeptiert und geehrt, die arme einheimische Bevölkerung dagegen wurde zu passivem autoritätsorientiertem Denken verleitet, das kaum Eigeninitiativen zuließ.

Neben dieser „karitativen Entwicklungshilfe“ behauptete sich vor allem auch ein „institutionelles Modell“, das darin bestand, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen zu fördern, was vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren populär war. Effizienz

und Erfolg standen im Vordergrund der Bemühungen, die dazu führten, daß etwa im Rahmen von Bildungsprogrammen die Elite und Begüterten eines Landes in Bildungsinstitutionen zusammengebracht wurden, auf dem Gesundheitssektor größter Wert auf kostspielige, verfeinerte Technologien und Großspitäler gelegt wurde, mit dem Ergebnis, daß diese meist nur von den Reichen beziehungsweise der Mittelklasse aufgesucht werden konnten. Obwohl, im Gegensatz zu früheren Zeiten, Reichtum und Armut als veränderbare Zustände anerkannt wurden, empfand man Entwicklung als eine technische beziehungsweise technologische Angelegenheit, bei der Geld und Investitionen eine maßgebliche Rolle spielen.

Damals wurde aber vielen auch erstmals klar, daß man Menschen nicht entwickeln kann, sondern daß diese sich selbst entwickeln müßten. Das wiederum führte ernsthaft denkende Menschen zur Überlegung, daß Entwicklung nicht nur aufgrund einer wirtschaftlichen, politischen Analyse möglich ist, sondern dabei auch kulturelle Dimensionen berück-

sichtigt werden müßten. Das bedeutete eine Betonung von Selbsterkenntnis und Selbstbewußtsein im Rahmen der Aktionsprogramme und die Aufforderung an die Menschen in Entwicklungsländern, den Versuch zu wagen, mit eigenen Strategien und Taktiken ihre Probleme selbst zu lösen. Erstmals war dadurch eine starke Beteiligung der von ent-wicklungsfördernden Maßnahmen Betroffenen gesichert.

Praktisch gesehen ergab dieses Umdenken schon damals für kirchliche Organisationen den Einstieg in die „Revolution der Barfüßigen“. Im Rahmen des Fa-milienfasttags trat nun anstelle von Bauten und technischen Hilfsmitteln vor allem außerschulische Bildung in den Vordergrund, wobei 1986 bereits die Hälfte der über 150 finanzierten Projekte zu dieser Kategorie zählten.

Als Beispiel dafür könnte ein Programm im südlichen indischen Bundesstaat Tamil Nadu angeführt werden. Dort hatten einige Frauen, hauptsächlich Lehrerinnen, aber mit wenig Erfahrung auf dem Gebiet der informellen Bildung, beschlossen, eine Gruppe zu gründen, die sich „Liberation Movement for Women“ (Befreiungsbewegung für Frauen) nannte und bestrebt war, mit den Frauen in den Dörfern gemeinsam für deren Besserstellung und Entwicklung einzutreten. Der Einstieg erfolgte über einen Gesundheitsdienst, der darin

bestand, Frauen rudimentäre Begriffe von Gesundheit, Hygiene, richtiger Ernährung, mit Verwendung einheimischer Lebensmittel als Schwerpunkt, vorbeugender Medizin im Dorf etc. näherzubringen.

Die Frauen, die oft weder lesen noch schreiben konnten, wurden animiert, ihre eigene Situation zu überdenken, untereinander solidarisch zu handeln und ihr neuerworbenes Wissen auch weiterzugeben. Die Programme verbreiteten sich nicht nur von Dorf zu Dorf, sondern sie nahmen auch sozialpolitische Dimensionen an, die dazu führten, daß in einigen Dörfern Frauen sich bereit erklärten, für den Gemeinderat zu kandidieren, etwas, was noch vor kurzem völlig undenkbar gewesen wäre. Bemerkenswert aus unserer Sicht ist auch der bescheidene finanzielle Rahmen, der diese „friedliche Revolution“ ermöglichte. Für ein Jahresprogramm in 20 Dörfern, mit fünf Intensivprogrammen, kulturellen Veranstaltungen und einer Frauenkonferenz wurden vom Famihenf asttag 54.240 österreichische Schilling erbeten.

Ein Programm unter vielen, die bereits seit Jahren durch den Familienfasttag gefördert werden. Kein Wunder, daß ich meinen Ohren kaum trauen konnte, als Programme dieser Art als etwas völlig Neues vorgestellt wurden beziehungsweise auf ihre politische Relevanz hingewiesen wurde.

Es scheint tatsächlich so, als würden die kirchlichen Entwick-lungsförderungsorganisationen ihr Licht unter einen Scheffel stellen. Wer holt es hervor?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung