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Balance gegen die Pest

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Das übers Murtal blickende Kirchlein des Weilers St. Benedikten unweit der Stadt Knittelfeld bewahrt in seinem Inneren neben vielen kunsthistorisch bedeutenden Werken auch noch ein volkskundlich hochinteressantes Relikt, das seit Jahrhunderten immer zu Sommerbeginn im Mittelpunkt einer nicht alltäglichen Brauchtumsveranstaltung steht: die Pestkerze.

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Das übers Murtal blickende Kirchlein des Weilers St. Benedikten unweit der Stadt Knittelfeld bewahrt in seinem Inneren neben vielen kunsthistorisch bedeutenden Werken auch noch ein volkskundlich hochinteressantes Relikt, das seit Jahrhunderten immer zu Sommerbeginn im Mittelpunkt einer nicht alltäglichen Brauchtumsveranstaltung steht: die Pestkerze.

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Die kleine Kirche von St Benedikten fällt dem Besucher schon durch ihre etwas ungewöhnliche Bauweise, nämlich durch ihre zwei Chöre (Presbyterien) auf. Der ältere Chor stammt noch aus der Gotik, der andere, südliche, aus der Zeit des Barocks. Auch der Dachreiter der Kirche mit seinem dicken Zwiebelhelm sowie ein Teil der Inneneinrichtung mit der flachen Langhaus-deCke und dem schmiedeeisernen Kronleuchter von 1644 gehören der Barockepoche an. Im nördlichen Chor dieser Kirche, wo noch gotische Fresken, darunter .die seltene Darstellung der heiligen Kümmernis, die Wände zieren, steht ein gotischer Flügelaltar aus dam Jahre 1518, während im südlichen Chor ein Altar ta reinsten Barockstil aus der Judenbunger Schnitzerwerkstätte des Balthasar Brandstätter dominiert.

Neben weiteren drei Seitenaltären aus dem 17. Jahrhundert und sonstigen volkstümlichen Einriohtungs-gegenständen fällt hier aber beson-ders eine riesige und 'höchst seltsame über 14 Meter lange Stange auf, die,— etwa zwei Meter über dem Boden aufgehängt —, dicht mit einer dünnen Kerze spiralig umwickelt ist, und fast die ganze Länge des nördlichen Kirchenschiffes einnimmt. Dies ist die berühmte Pestkerze, mit der alljährlich am Herz-Jesu-Sonntag (der dritte nach Pfingsten) das sogenannte Pestkerzentragen veranstaltet wird.

Der Brauch des Herumtragens dieser riesigen Pestkerze über Felder und Fluren soll angeblich auf ein Gelübde der Bewohner von St. Benedikten anläßlich einer in früheren Zeiten in dieser Gegend schrecklich wütenden Pest zurückgehen. Aus welchem Pestjahr genau der Brauch stammen könnte (historisch bezeugte Pestdaten in dieser Gegend gibt es je zwei im 15., 16. und 17. Jahrhundert, und es gab die besonders bösartige Pest des Jahres 1713), läßt sich heute kaum mehr eruieren. Feststeht, daß dieser Pestkerzenumgang bereits in der Barockzeit in St. Benedikten schon in der gegenwärtigen Form geübt wurde.

Die Vorbereitungen zu diesem alljährlich stattfindenden Umgang beginnen jeweils am Abend vor dem Henz-Jesu-Fest. Auf der großen Wiese hinter der Kirche werden drei weit voneinander entfernte einfache' Altäre aufgebaut, die mit Birken-bäurnehen und Blumen geschmückt werden. Am frühen Morgen des Feiertags holen mehrere Männer die 14 Meter lange Pestkerze aus der Kirche und tragen sie auf die Wiese vor der Kirche, wo sie auf die dort bereitstehenden Holzböcke gelegt wird. Nun beginnen die Frauen des Ortes die obere Hälfte der Pestkerze mit Girlanden aus Reisig zu umwik-keln und mit Blumen aufzuputzen. Währenddessen befestigen die Männer am unteren Ende der Kerzenstange ein kreuzförmiges Tragge-steli und am oberen Ende eine Laterne. Zuletzt zünden sie eine in der Laterne befindliche Kerze an, welche den Oberen Abschluß der Pestkerze darstellt.

Inzwischen sind auch schon die Träger, sowie die acht Burschen, welche die Pestkerze beim Umgang mit Stangen zu stützen haben werden, eingetroffen. Diese Stangenträger konnte man bereits von weitem kommen sehen, wie sie aus den entlegenen Gehöften mit ihren etwa sechs Meter langen hölzernen Stangen, aufgeputzt mit Kunstblumen und frei flatternden bunten Bändern, die Wiese vor der Kirche ansteuerten Diese Stützstangen gehören bestimmten Bauernhöfen zu, die seit altersher das Pestkerzentragen besorgen, und werden auch dort das ganze Jahr über aufbewahrt.

Gewöhnlich zwischen 8 und 9 Uhr nimmt das „Pestamt“ in der Kirche seinen Anfang. Zur gleichen Zeit wird die Pestkerze von den Holz-böoken gehoben und mittels der acht Tragstangen, die in den Laschen auf halber Höhe der Kerzenstange verankert wunden, von den Männern und Burschen mit gekonnter Fertigkeit aufgestellt. Bald danach strömen auch schon die Gläubigen aus der Kirche heraus — Ortsfremde sieht man hier nur sehr selten —, die sich jetzt zu einer Prozession zu formieren beginnen. An der Spitze gehen die Ministranten mit Kreuz und Kirchenfahnen. Nach ihnen trippeln die festlich gekleideten Kinder. Dann kommt die Blasmusikkapelle und hinter dieser reihen sich die Träger mit ihrer gewaltigen, gerade zum Himmel weisenden Pestkerze in die Prozession ein. Die bei jedem Schritt mächtig schwankende Pestkerze gerade und aufrecht zu tragen, verlangt von den bäuerlichen Trägern neben gewaltiger Anstrengung auch viel Kraft und Geschicklichkeit. Anschließend schreitet der Pfarrer mit der Monstranz unter dem Baldachin.

So wälzt sich die seltsame Prozession über die Weite Wiese von Altar zu Altar, wo dann jeweils zum Klang der Kirchenglocken und den Böllerschüssen der Segen gespendet wird.

Nach beendetem Umgang wird auch die Pestkerze wieder von den Männern behutsam auf die Hoiz-böcke gelegt — das Tragkreuz und die Tragstangen werden abmontiert, die Laterne abgenommen —, und anschließend in die Kirche getragen, wo sie an ihrem angestammten Platz im nördlichen Schiff bis zum .nächsten Jahr hängend aufbewahrt wird

Dieser Pesitkerzenumgang steht in unserem ganzen heimischen Brauchtum allein und einzigartig da. Nur in Niedeibayem wird noch ein ähnlicher „Umgang“ gepflegt. Dort bringen die Bauern aus Holzkirchen bei Vilshofen der Muttergottes in der Wallfahrtskirche am Bogenberg an der Donau alljährlich am Pfingst-sonntag eine zwölf Meter lange Votivkerze dar, die ebenfalls aus einer mit rotem Wachs umwickelten Stange besteht Allerdings wird die Opferkerze den langen Weg dorthin auf den Schultern, also waagrecht, getragen; und erst auf dem letzten Stück des Weges wird sie aufrecht balanciert. In der Wallfahrtskirche angekommen, stellt man sie vor den Hochaltar, wo immer zwei Pfingst-kenzen stehen, wobei stets die vorletzte beim Gottesdienst in kleine Stücke zersägt und an die Wallfahrer verteilt wird.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem österlichen Brauch zeigt auch die Mitte Mai in Gubbio, Mittelitalien, geübte Sitte des Kerzenlaufens: „Corsa dei Ceri“, wo drei etwa fünf Meter große „Wachskerzen“ im Laufschritt durch den Ort zur Kirche des Schutzpatrons der Stadt getragen werden.

Zweifelsohne haben die langen, überdimensionalen Kerzen auch mit unseren Prangstangen und Mai-bäomen mehr Gemeinsames, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten würde. Sie zählen eben zu den vielen uralten Symbolen des Lebens und der Fruchtbarkeit, zu den bildhaften Segenspendern des Hochsommers.

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