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Bald verteidigen wir hohle Götzen

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Bis vor wenigen Jahren war Tür mich die Frage, ob Landesverteidigung sinnvoll sei, kein bedenkenswertes Problem. Seit vielen Generationen sind meine Vorfahren Offiziere gewesen. Daher bin.auch ich mit dem Verständnis, daß militärische Verteidigung sinnvoll sei, herangewachsen und Reserveoffizier geworden.

In den letzten Jahren habe ich mich jedoch eingehend mit den Fragen unserer gesellschaftlichen.Entwicklung auseinandergesetzt. Das hat dazu geführt, daß vieles, was ich früher als selbstverständlich und richtig angesehen hatte, nunmehr fragwürdig oder zweifelhaft geworden ist - etwa die Frage der Landesverteidigung.

Die bisherigen Beiträge dieser FURCHE-Serie haben auf viele Aspekte, die für verteidigenswert gehalten werden, hingewiesen: der Friede in Freiheit, die pluralistische Gesellschaftsordnung, unser materieller Wohlstand und unsere Lebensqualität, das Bewußtsein in eine historische Tradition eingebettet zu sein oder die Freude daran, in der Heimat leben zu dürfen.

All das sind sicherlich hohe Werte, für die es sich grundsätzlich lohnt, einzutreten. Das will ich gar nicht in Frage stellen.

Was insbesondere die Freiheit bedeutet, die unser System bietet, kann jeder ermessen, der das Schicksal der Dissidenten im Ostblock mitverfolgt: Sacharow, Dudko, Jakunin und viele andere . . .

Dürfen wir aber andererseits die Augen vor den vielen Argumenten und Überlegungen, die unser bisheriges Verständnis von Verteidigung infrage stellen, verschließen?

Da habe ich etwa vor kurzem in einer militärischen Zeitschrift die Abbildung eines Flugangriffs mit Napalm auf Infanteriestellungen gesehen. Wie erschütternd! Napalm . . .

Welche verheerende Wirkung ist allein mit dem Einsatz dieses Kampfmittels verbunden!

Oder die überaus unmenschliche Wirkung von Mitteln der chemischen und biologischen Kriegführung! Und schließlich der ganze Wahnsinn der Atomrüstung, deren Einsatz zu ganz unvorstellbarem Horror führen würde!

Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß die Methoden, mit denen heute Krieg geführt werden kann, einen solchen Grad an Unmenschlichkeit erreicht haben und voraussichtlich so viele Opfer fordern würden, daß unter diesem Blickwinkel alles neu in Frage zu stellen ist!

Wenn wir wirklich zu solchen Opfern bereit sind, wenn wir in Kauf nehmen, daß Hunderttausende ihr Leben einzusetzen haben, ist doch wohl die Frage berechtigt, welche hohen Ideale solche Opfer rechtfertigen.

Die Bereitschaft, das eigene Leben für ein Ideal einzusetzen, soll dabei nicht in Frage gestellt werden. Wohl aber muß gefragt werden, ob wir die Werte, für die wir angeblich bereit sind, unser und fremdes Leben einzusetzen, auch in unserem Alltag so hoch achten, daß sich der hohe Einsatz im Ernstfall lohnen würde.

Dabei kommen wir zwangsläufig darauf zu sprechen, wie sehr uns unsere Ideale bei der Gestaltung unseres täglichen Lebens tatsächlich bewegen. Da wird so manche Doppeibödigkeit offenkundig, vieles wird als reine Theorie entlarvt.

Wir geben vor, den Wert der Freiheit hoch zu schätzen und bauen an einer Welt, in der die Sachzwänge laufend zunehmen. Immer mehr Bereiche werden von Gesetzen und Regulierung erfaßt, die Lebensgestaltung normiert und standardisiert.

Die Entscheidungsfreiheit des einzelnen wird fortwährend eingeengt. Fühlen sich nicht sehr viele in einen Lebenstrott gezwängt, der sie bedrückt, aus dem sie aber keinen Ausweg sehen? . Wir halten uns viel auf unsere hohe Lebensqualität zugute und bauen an einer Welt, in der die einen einer immer monotoneren Arbeit ohne persönliche Herausforderung nachgehen müssen, die anderen unter Streß und Leistungsdruck ächzen.

Wir erkennen die wachsende Gefährdung unserer Umwelt und dennoch fordert unsere Regierung die Atomtechnologie mit ihren unabsehbaren Folgen für unsere Biosphäre, statt endlich auf eine Technik nach dem Maß des Menschen zu setzen.

Und wie steht es schließlich um unsere demokratischen Institutionen? Das Uberhandnehmen von Korruption und Skandalen sollte uns hellhörig machen: Machtmißbrauch und Egoismus gefährden unser System, das grundsätzlich auf Vertrauen aufbaut.

Wer in unserem parlamentarischen System die absolute Mehrheit hat, regiert weitgehend, ohne einer effektiven Kontrolle unterworfen zu sein. Seine Macht reicht aus, um frei zu bestimmen, was Leben ist und was nicht.

Damit sind wir bei jenem Punkt angelangt, der für mich am schwersten wiegt: bei der Abtreibung. Unsere Gesellschaft tritt angeblich für den Schutz jedes einzelnen Mitbürgers ein und läßt zu, daß jährlich zehntausenden dieses Grundrecht einfach entzogen wird.

Ist da die folgende Frage nicht mehr als berechtigt: Gehen wir nicht allzu leichtfertig mit den Idealen, die wir angeblich gegen Aggression von außen verteidigen wollen, um? Dürfen wir Leben opfern für etwas, wofür wir uns mit friedlichen Mitteln kaum einsetzen? Reden wir nicht oft nur mehr aus Tradition von der Verteidigung von Idealen, die uns gar nicht mehr recht bewegen?

Um nicht demagogisch zu wirken, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß mir das Schicksal der Dissidenten im Ostblock nach wie vor in Erinnerung ist. In unserer Gesellschaft bleibt immerhin die Möglichkeit, sich auf die Basis der eigenen Ideale zu besinnen und ernsthaft den Versuch zu unternehmen, das, was in Staatsfeiertagsreden gern hervorgekehrt wird, auch zu tun.

Das bedeutet aber, daß wir mit der Verteidigung unserer Werte zuerst im Inneren ernst machen müssen. Wir müssen Frieden, Freiheit, Solidarität, Lebensqualität heute gegen unsere Trägheit und gegen ein überwucherndes System verteidigen.

Wenn wir nicht bald im Inneren damit ernst machen, wird es in absehbarer Zeit soweit sein, daß wir auch nach außen einfach nichts mehr zu verteidigen haben.

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