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Balken sind morsch, der Stein ist feucht

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Hiobsbotschaften über den Zustand der kürzlich restaurierten Stiftsbauten von Melk und Göttweig, der Ruf nach notwendigen Generalsanierungen an fast 7000 Sakral-und 2000 Profanbauten des Barock werden noch immer nicht ernst genommen.

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Hiobsbotschaften über den Zustand der kürzlich restaurierten Stiftsbauten von Melk und Göttweig, der Ruf nach notwendigen Generalsanierungen an fast 7000 Sakral-und 2000 Profanbauten des Barock werden noch immer nicht ernst genommen.

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Österreichs Barockbauten sind vom Verfall bedroht, nicht nur das Stift Melk, dessen triste Situation Schlagzeilen gemacht hat, als vor Monaten sein schlechter Erhaltungszustand bekannt geworden ist: In Wahrheit ist schon seit Jahren eine Reihe barocker Kirchen wegen Einsturzgefahr gesperrt wie die Pfarrkirche von Frauenhofen bei Tulln und jene von Groissenbrunn bei Gänsern-dorf. Auch weitere nicht betreute Gebäude wie die ehemalige Stiftskirche von Pernegg bei Geras und das Kärntner Schloß Höhenbergen gelten seit längerem als Todeskandidaten.

Ob und wie dem von Donato Feiice d'Allio barockisierten Schloß Ladendorf bei Mistelbach geholfen werden kann, ist fraglich, obwohl sein mit reichem Stuck verzierter Festsaal als Musterbeispiel barocker Eleganz apostrophiert wird. Ähnlich ungewiß bleibt das Schicksal der gigantischen Schloßanlage von Ebenfurth bei Wiener Neustadt, das kostbare Maulbertsch-Fresken birgt.

Besonders erschreckend häufen sich auch Hiobsbotschaften über Schäden an erst kürzlich sanierten barocken Bauten. Zu ihnen zählt eben das nach Plänen von Jakob Prandtauer sich unvergleichlich in die Stromlandschaft einfügende Stift Melk. Und dazu gehört Stift Göttweig, das Johannes Lukas von Hildebrandt ba-rockisiert hat, und bei dem, so lautete die Meldung, die Feststiege einsturzgefährdet ist. Im Stift Seitenstetten bei Amstetten zeigt das Fresko von Paul Troger in der Bibliothek Sprünge, die auf Feuchtigkeit im Gewölbe und „ermüdete“ statische Verhältnisse zurückzuführen sind. Im Schloß Petronell gibt es Probleme mit dem Dachstuhl.

Der Bund und das Land Niederösterreich haben eben erst Prinz Eugens Marchfeld-Schloß Schloßhof, ein Werk Hildebrandts, instand gesetzt. Das weiten Bevölkerungskreisen als Sitz eines Schigymnasiums bekannte Tiroler Stift Stams sowie St. Peter in Salzburg wurden aus Mitteln des Bundes, der Länder Tirol bzw. Salzburg und der Kirche restauriert. Auch in den niederösterreichischen Stiften Lilienfeld und Altenburg sind die Sanierungsmaßnahmen abgeschlossen, in dem nach dem Vorbild von St. Peter in Rom von Carlone konzipierten Stiftskomplex Pöllau in der Steiermark sind Renovierungsarbeiten angelaufen. In Dürnstein verursachte das schadhafte Entwässerungssystem das Abbrök-keln der Malerei — die Sanierung hat ebenfalls begonnen; desgleichen ist man in Seitenstetten und in der Franziskanerkirche Salzburgs am Restaurieren.

Letzten Endes aber bedeuten diese Restaurierungen kaum mehr als die sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein. Denn Österreichs sakrale und profane Barockbauten — durchwegs Werke genialer Architekten, unter denen das Dreigestirn eines Fischer von Erlach, Johannes Lukas von Hildebrandt und Jakob Prandtauer hervorragt — leiden an einer gemeinsamen Krankheit: dem Alter. Und Umwelteinflüsse beschleunigen den Alterungsprozeß. Die Diagnose lautet im einzelnen: Ermüdung der Ziegel, Vermorschung der

Holzbalken im tragenden Bereich und der Dachstühle, Feuchtigkeit im Stein und im Verputz.

Im österreichischen Bundes-denkmalamt, mit jährlich 90 Millionen völlig unterdotiert, meint man folglich, Barockbauten könnten durch Teilsanierungen allein nicht mehr gerettet werden, notwendig wären Generalsanierungen. Diese würden innerhalb der nächsten zwanzig Jahre an den meisten Barockbauwerken fällig, weil alle ungefähr gleich alt seien und nicht nur im gleichen Geist, sondern auch von denselben Architekten ausgeführt worden wären (neben den bereits Genannten von den Italienern Carlone, Lurago, Galli-Bibiena, d'Allio und Mattielli sowie den Österreichern Munggenast und Steinl), von denselben Malern (Rottmayr, Weißenkirchner, Reselfeldt, Gran, Troger, Kremser-Schmidt und Maulbertsch), von denselben Stukkateuren und Arbeitern, aus dem gleichen Material. Dadurch unterliege die gesamte Barockarchitektur, die zu den bedeutendsten Leistungen der Menschheit zählt und Österreichs vollendetster Beitrag zur Kunstgeschichte Europas ist, der gleichen Verfallszeit. Und die hat jetzt begonnen.

Wieviele barocke Bauwerke es hierzulande gibt, weiß man selbst im Bundesdenkmalamt nicht genau. Schließlich führen viele Werke dieser im 16. Jahrhundert aus Italien in den Norden vorgedrungenen Stilrichtung, die im 17. Jahrhundert in den österreichischen Landen weit verbreitet war und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre absolute künstlerische Höhe erreicht hatte, bereits begonnene Bauten mit romanischem und gotischem Kern fort.

Insgesamt besitzt die Alpenrepublik jedenfalls 7.000 Kirchen, Klöster und Kapellen, mehr als 2.000 Burgen, Schlösser, Herrensitze und Stadtpaläste sowie Zehntausende Monumentalbauten, darunter Theater, Bürgerhäuser und Museen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Die meisten davon sind vom Barock geprägt, weil in jener Epoche nach Bee^jdigung des Dreißigjährigen Krieges wie nie zuvor und nie mehr danach Hof, Kirche und Adel ihr gesteigertes Selbstbewußtsein in zahlreichen Bauten pompösen Ausmaßes verwirklicht haben.

Bedenkt man, daß allein die Restaurierung einer barocken Kanzel, wie beispielsweise der vom Holzwurm befallenen in Kirchberg am Walde bei Gmünd, eine halbe Million und die der Prunksäle, des Festsaales und Stiegenaufganges von Schloßhof mehr als 35 Millionen Schilling kostet, erhebt sich die Frage, wie unsere Gesellschaft die auf sie zukommende Aufgabe finanziell lösen kann.

Denn die öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden) fühlt sich ebenso überfordert wie die Kirche. Privatpersonen, in deren Eigentum sich infolge sozialer Umstrukturierungen nur noch wenige Adelssitze befinden, sind es in der Regel erst recht. Arbeitslose Bauarbeiter einzusetzen, hält man im Denkmalamt für sinnlos, weil man zur Sanierung alter Kunstdenkmale qualifizierte Fachkräfte braucht. Zielführend auswirken könnten sich dagegen die immer wieder geforderte steuerliche Begünstigung von Sponsoren und eine ähnlich schlagkräftige Einrichtung, wie sie England im National Trust hat, der aus Spenden, Legaten und Erbschaften das Kulturgut erhält.

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