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Banales, Phantastisches

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„Magie des Banalen“ nannte der bekannte Kölner Photograph Heinz Held, Jahrgang 1918, sein bibliophiles Hauptwerk, ein Buch, in dem er Bilder des Alltags, aber auch Abstruses, Kurioses, Schreckliches vereinigte; gemäß seinem Leitsatz „Die elementare Realität äußert sich im Banalen“. Nun stellt Held, der früher Journalist und Geschäftsführer der Kölner Galerie „Der Spiegel“ war, in der Wiener Photogalerie, Bäckerstraße 5, einige seiner originellen Photomontagen aus. Held will damit — wie er sagt — zwar keine Bildergeschichten erzählen, sondern alltägliche Situationen erzeugen. Aber Held ist natürlich Journalist genug, um vor allem dem Sensationellen, Aufregenden, Aparten auf die Spur zu kommen: Neger, Wolkenkratzer, Explosionen, trostlose Hinterhöfe, aufgescheuchte Kinder, pralles Leben und unvorhergesehener Tod, in die Bildausschnitte gebahnt, geraten da aneinander, erzeugen ein phantastisches Konglomerat ... Man erinnert sich unwillkürlich Andre Bretons Leitsatzes von der Schönheit, die durch die Begegnung nicht zusammengehöriger Dinge, zum Beispiel eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Operationstisch, entsteht. Keine Frage: hübsche, geschmackvoll arrangierte Assemblagen, die freilich die literarische Note nicht verleugnen können.

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In der Szene .österreichischer Avantgardekunst, die von der Galerie nächst Sankt Stephan immer wieder eindrucksvoll dokumentiert wird, hat sich der junge Wiener Designer, Graphiker und Objektmacher Mario Terzic, 27, durch seine neue Ausstellung bei Monsignore Mauer einen guten Platz errungen. Terzic appelliert an die Aktivierung der Sinne. Er will Aufmerksamkeit erwecken, zum Nachdenken anregen: Etwa mit einer repräsentativen Photoserie, mit seinen janusköpfigen Figuren, mit Masken (Selbstporträts mit Rehnase, Hirschohr, Reißzäh-neh), mit 90 Aquarellen einer 90tägi-gen Himmelsbeobachtung, also mit Arbeiten, die von allen traditionellen Kunstmedien wie Malerei, Plastik, Graphik, ja selbst vom Objektemachen wegführen ... Terzic ist ein kritischer und selbstkritischer Künstler, vor allem ein Gestalter von „Situationen“. Auf seine Umwelt und ihre Vorstellungen reagiert er kritisch, dem glatten Porträt eines Kopfes setzt er auf der Gegenseite ein Porträt von barbarischer Wildheit, Brutalität, tierischer Triebhaftigkeit entgegen. Und er ist zugleich auch Ästhet: Seine Photoserie „Der Künstler in weißem Seidengewand vor dem Baptisterium in Florenz“, eine kritische Paraphrase auf die Bildprinzipien der Renaissancemalerei, zeigt deutlich den Willen, zu klassischer Harmonie und klassischen Proportionen zu finden und darauf kritisch zu reflektieren.

„Räumliche Graphik als imaginäre Architektur“ nannte der 29jährige Wiener Hans Praetterhoffer seine 1970 erschienene theoretische Schrift über dreidimensionale Graphik. Und „Stereographiken“ zeigt er auch jetzt in der Künstlerhausgalerie: Durchsichtige Kugelbauten, eigenartige Turmgebilde, schwebende Architekturen erheben sich über Gartenlandschaften ; alles dreidimensional, räumlich konzipiert, rein visuellsinnlich komponiert. Dabei geht es ihm kaum um die Realität einer Aktion, sondern um das Darstellen von Größenverhältnissen, gleichzeitigen Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln dieser „Bauten“. Prät-terhoffer, der als Künstler sehr eigenwillige Wege beschreitet, kann auch als Techniker für sich einige interessante Ergebnisse verbuchen: So sind seine Druckgraphiken als „Kaseinkopien“ rasterfrei, das Papier ist während des Arbeitsvorgangs zeitweise lichtempfindlich, woraus sich interessante phototechnische Effekte ergeben ... Was prominente Amerikaner wie Rauschenberg in Experimenten immer wieder zu erzielen versuchten, dann aber aufgegeben haben, weil's mit der Siebdrucktechnik ohnedies rascher ging, ist Prätterhoffer sehr überzeugend gelungen. Insofern schon vom technischen Aspekt her interessante Arbeiten.

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Die Aufmerksamkeit des Publikums verdient übrigens auch eine Ausstellung polnischer Malerei und Graphik der Gegenwart in der „Wert“-Galerie (Prinz-Eugen-Straße 3), wo alle stilistischen Spielarten vom Realismus bis zur surrealen Phantastik in buntem Nebeneinander vertreten sind.

• Die Österreichische Gesellschaft für Literatur kündigt für die nächsten Wochen folgende Veranstaltungen an: am Dienstag, 10. Oktober, liest H. C. Artmann aus seinem neuen Buch „Der aeronautische Sindtbart“; Elias Canetti spricht am 12. Oktober über „Hitler nach Speer“ (beide im Palais Palffy); György Se-bestyen wird am 12. Oktober in den Räumen der Gesellschaft für Literatur den ersten Band aus der Reihe „Bücher aus der Schatztruhe“, „Der Faun im Park“ vorstellen. Am Freitag, 20. Oktober, liest der Lyriker Erich Fried; Rudolf Hagelstange trägt am 24. Oktober aus seinen Werken vor; Herbert Rosendorfer präsentiert am 31. Oktober einige Kapitel seines neuen Romans „Deutsche Suite“ (alle Palais Palffy).

• Seit 25 Jahren arbeiten Herbert von Karajan und der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde zusammen. Dieses Jubiläum wurde mit zwei Aufführungen des „Deutschen Requiems“ von Brahms in Berlin gefeiert.

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