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Bankier kontra Bischof

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Der Generalsekretär der Oester-ireichlsdhen Nationalbank hat dem Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Österreich einen Protestbrief geschrieben. Der Bischof hat die Legalisierung der Abtreibung in Österreich, die Auegabe einer staatlichen Lizenz zur Tötung des Kindes im Mutterleib mit den Nürnberger Rassengesetzen des Dritten Reiches verglichen. Das war dem Herrn Generalsekretär der Oesterreichischen Naitionalbank zuviel. Denn es handelt sich in seinem Fall nicht nur um einen Christen evangelischer Konfession, sondern um einen engagierten Sozialisten, um den früheren Ideologen sozialistischer Gewerkschafter und um einen engagierten Parteigänger der sozialistischen Regierung Kreisky. Und im sozialistischen Österreich ist auch punkto Menschenreoht das Recht und Gesetz, was eine momentane Mehrheit im Nationalrat dazu macht. Auch wenn diese Mehrheit sehr flach (zuletzt 92 : 89 Stimmen) und ihre kompakte Mehrheit nach jüngsten Gemeinderats- und Landtagswahlen ein wenig wackelig ist.

Nach dem normativen Rechtsposi-tivismus, den Hans Kelsen bei der Schaffung der österreichischen Bundesverfassung 1920 unserer Verfassung eingegeben hat, ist Recht das, was die Mehrheit dazu macht. Dieser wertlose Positivismus wurde schon in den zwanziger Jahren angegriffen. Kelsen antwortete angesichts der damaligen Terrormethoden in der Sowjetunion: Wo die Glieder eines Staates nichts anderes kennen als geschlossene Unterwürfigkeit unter den Diktator, geschieht ihnen mit autoritären Maßnahmen recht, selbst dann, wenn die Staatsautorität die freiheitlich Denkenden kalt niederschlägt. Nach 1945 wurde Kelsen betreffs dieses Grundsatzes auf einer Juristentagung in Salzburg neuerdings gefragt, ob er angesichts der Judengesetze im Dritten Reich bei seiner Unbedingtheit bleibe. Zumal Kelsen selbst als nachmaliger deutscher Staatsbürger von den Nürnberger Gesetzen betroffen wurde. Kelsen antwortete: Wenn Hitler verfassungsgemäß durch eine Mehrheit an die Regierungsmacht gekommen sei, dann seien die von derselben Mehrheit beschlossenen Gesetze, auch die Nürnberger Rassengesetze, rechtens. Genauer befragt, pointierte Kelsen seine Ansicht: Die Nürnberger Gesetze entsprachen dem normativen Reohtspositivismus. Auch die Legalisierung der Abtreibung in Österreich entspricht dem normativen Rechtspositivismus. Und deswegen ist ein sozialistischer Bankier empört, wenn ein Bisehof an diesem Gesetzeswerk rüttelt. An einem Gesetzeswerk, in dem es ton Gegensatz zu den Nürnberger Rassengesetzen nicht um schwerste Diskriminierung geht, sondern um die Tötung von Leben. Aber Recht ist derzeit in Österreich, was eine momentane Mehrheit im Parlament dazu macht. Gleichgültig, ob es sich um die Erlaubnis handelt, als Fleischhauer Semmeln zu verkaufen, oder um die Tötung von Leben. Hier fließt der Rubikon, und er ist schon überschritten.

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