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Bankrotterklärung

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„Zur Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an hat die Landesgesetzgebung zu bestimmen, daß die Landesregierung für eine besondere Befürsorgung von Schwangeren, Wöchnerinnen, Säuglingen und Kleinkindern zu deren Gesunderhaltung sowie für die kostenlose Bereitstellung von Einrichtungen zur Beratung der Schwangeren und Mütter von Säuglingen und Kleinkindern vorzusorgen hat..."

Unmißverständlich ergreift der erste Paragraph des geltenden Jugendwohlfahrtsgesetzes aus dem Jahr 1954 für das werdende Leben, für die Sicherung seiner körperlichen Entwicklung, Partei.

Das soll sich, so sieht es der Entwurf für ein Jugendwohlfahrtsgesetz 1986 vor, ändern. Und zwar grundsätzlich:

„Die ^Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge hat", steht am Beginn des jüngst vom Ministerrat — also von SPÖ wie FPÖ - gebilligten Entwurfes, „für die Betreuung werdender Mütter sowie von Säuglingen und deren Eltern vorzusorgen."

Was als genereller Hintergrund für die Neuordnung des Jugendwohlfahrtsrechtes in den Erläuterungen angeführt wird, gilt hier wohl im besonderen Maße: Ziel ist es, das Gesetz „den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen, der geänderten Rechtslage... anzupassen".

So begrüßenswert eine Anglei-chung an die Reform des Familienrechtes, besonders an die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes und die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, ist, so unklar bleibt, welchem Gesetz das Jugendwohlfahrtsrecht durch Ausklammerung der „Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an" angepaßt werden soll.

Ein Verdacht drängt sich frei-

lich auf: Hier soll das Jugendwohlfahrtsrecht im Sinne der Fristenregelung des Strafgesetzbuches adaptiert werden.

Das aber wäre weder zwingend noch notwendig, schon gar nicht schlüssig, sondern kurzschlüssig.

Grundsätzlich ist nämlich nach wie vor der Schwangerschaftsabbruch gemäß Paragraph 96 des Strafgesetzbuches strafbar. Der nachfolgende Paragraph 97, die sogenannte Fristenregelung, schafft lediglich einen Strafausschließungsgrund.

Noch dazu hat der Gesetzgeber ausdrücklich in seiner Ent-

Schließung vom 29. November 1973 betont, daß der Schwangerschaftsabbruch weder als gesellschaftlich wünschenswert noch medizinisch empfehlenswert betrachtet wird. Vielmehr sollte der Schutz des werdenden Lebens durch positive flankierende Maßnahmen erreicht werden.

Und dem widerspricht der Entwurf für das neue Jugendwohlfahrtsgesetz im Grundsatz.

Konkret handelt es sich bei dieser Materie um ein Sozialgesetz, das die öffentliche Hand verpflichtet, für soziale Dienste vorzusorgen, das sogar ausdrücklich „allgemeine und besondere Beratungsdienste für werdende Eltern" vorsieht.

Wird hier die „Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an" ausgespart, ist das eine Bankrotterklärung: Der Staat deklariert sich als unfähig und unwillig, ein soziales Problem mit sozialen Mitteln zu bewältigen.

Kurzschlüssig wäre eine Anpassung des Jugendwohlfahrtsrechtes an die Fristenregelung des Strafgesetzes auch noch aus einem anderen Grund: Davon unberührt und unverändert hält das Allgemeine Bürgerliche Gesetz-

buch an einer klaren Rechtsnorm fest.

In jenem Abschnitt, der die „Personenrechte der Minderjährigen und der sonst in ihrer Handlungsfähigkeit Beeinträchtigten" regelt, heißt es unter Paragraph 22: „Selbst ungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkt ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze. Insoweit es um ihre und nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden sie als Geborene angesehen ..."

Eine Anpassung des Jugendwohlfahrtsrechtes an eine Ausnahmeregelung des Strafgesetzes, die den Rechtsschutz durch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch ignoriert, wäre auch rechtspolitisch problematisch: handelt es sich doch um gleichrangige Gesetze derselben Rechtsordnung.

Noch dazu widerspricht das Ubergehen des Paragraphen 22 der Logik des Entwurfes für ein neues Jugendwohlfahrtsgesetz, das sich in unzähligen anderen Zusammenhängen — etwa bei den begrüßenswerten Verbesserungen, die die Rechtsstellung der Pflegeeltern und Pflegekinder betreffen — ausdrücklich auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch beruft.

Alle, die im Entwurf für das neue Jugendwohlfahrtsrecht eine Bejahung der Abtreibung erblik-ken — der Bogen spannt sich vom Katholischen Familienverband über den Mittelschüler-Kartell-Verband bis hin zur „Aktion Leben" und der Plattform „Geborene für Ungeborene" —, haben die Absicht erkannt, die das Familienministerium Elfriede Karls mit der Novelle verbindet. Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt.

Stimmte der Gesetzgeber dem zu, hieße dies, die Abtreibung zu billigen — allen anderslautenden Entschließungen und Beteuerungen zum Trotz.

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