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Bannstrahl aus der roten Machtzentrale

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Schmerzlicher Bruch oder zorniger Abschied? Seit Anfang dieser Woche gibt es jedenfalls zwischen den römischen Kommunisten und den russisch-rechtgläubigen Beherrschern des Sowjetimperiums nur noch eine einzige Gemeinsamkeit: Beide werfen einander Verleumdung und Verfälschung eines „Sozialismus" vor, dessen jüngste und schwerste Niederlage weit über den Schauplatz Polen hinauswirkt.

Am 24. Jänner gipfelte der Streit im Vorwurf der Sowjetführung, formuliert von der Prawda, daß die KPI zur „direkten Hilfe des Imperialismus" geworden sei. Zwei Tage später antwortete die italienische Parteileitung, es sei „seltsam und besorgniserregend", daß Moskau keine Lehren aus dem Bruch mit Jugoslawien (1948) und mit China (1965) gezogen habe, sich vielmehr mit Intoleranz jeder Faktenanalyse und vor allem der Grundfrage entziehe.

„Woher entstehen die Krisen, die periodisch in diesem oder jenem Land sozialistischer Ausrichtung explodieren?"

Italiens KP-Führung hatte die Antwort immer schon geahnt und manchmal auch halblaut ausgesprochen. Ihr Altvater Palmiro Togliatti beklagte schon in seinem Testament von 1964 — acht Jahre nach Chruschtschows Ent-stalinisierungsversuch - „die Langsamkeit und die Widerstände", die in der Sowjetunion von ihrem Block eine „Uberwindung des Regimes der Begrenzung und Unterdrückung demokratischer und persönlicher Freiheiten" behindern.

Immer wieder hatten die italienischen Kommunisten aber auch ihre Hoffnungen auf die Refor-mierbarkeit jenes Sowjetsystems gesetzt, mit dem sie eine historische Nabelschnur verband, freilich oft mehr würgend als nährend.

1968 war es der „Prager Frühling" gewesen, der ihre Erwartung beflügelte — bis sie erkennen mußten, daß sogar einem durchaus sowjetfreundlichen Land wie der Tschechoslowakei jede Abweichung vom Moskauer Modell mit Panzern ausgetrieben wurde. Afghanistans bitteres Schicksal brachte die römische KP-Zentrale dann der Erkenntnis noch näher, daß hinter dem „Mythos Sowjetunion" nur eine „normale", wenn nicht gar eine imperialistische Großmacht steckt.

Als jedoch im August 1980 die polnische Krise, die dritte in zehn Jahren, zum Aufbruch einer echten Arbeiterbewegung führte, die siebzehn Monate lang ohne direkte Störung von außen wirken konnte, da erwachten bei den italienischen Kommunisten neue Hoffnungen, aber auch Illusionen: Konnte Polen etwa ein entscheidender, sogar nach Westen ausstrahlender Bezugspunkt für jenen „dritten Weg" werden-jenseits von Kapitalismus und Sowjetsystem —, den sie selbst seit langem suchen?

Der „stürmische Auftritt der Arbeiterklasse auf der politischen Szene" sei erfolgreich gewesen dank der „Millionen kommunistischen Arbeiter" in der So-lidarnosc (als ob es in Polen je mehr als einige tausend wirkliche Kommunisten gegeben hätte!): So hieß es doch am 30. Dezember 1981 in einer umfassenden Polen-Analyse der KPI, drei Wochen nach dem Schock des Militärputsches. Seine Wirkungen auf diese größte kommunistische Partei des Westens mußten nun, da ein Versuch zur Systemreform von der Arbeiterbasis her wiederum gescheitert war, um so einschneidender sein.

Die KPI machte jetzt dafür nicht nur „das negative Gewicht" der Sowjetunion, ihre „schweren Pressionen und unzulässigen Einmischungen" verantwortlich. Sie zog einen grundsätzlichen, für sowjetische Ohren unerhörten Schluß: „Die Entwicklungsphase des Sozialismus, die mit der Oktoberrevolution 1917 begann, hat ihre Antriebskraft erschöpft."

Damit war die revolutionäre Wurzel der eigenen Herkunft zwar nicht ausgerissen, aber sie wurde auf einen Rest wehmütiger historischer Erinnerung reduziert — und dies nicht nur in kurzer Aufwallung der Gefühle. Vor dem Zentralkomitee der Partei untermauerte Enrico Berlinguer am 11.

Jänner diesen Befund, ohne noch ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Sklerose, bürokratische Präpotenz, ideologische Versteinerung.

Obwohl durchaus gefaßt auf eine rüde Entgegnung aus Moskau, war man in der römischen KP-Zentrale doch von Ton und Inhalt der Prawda-Antwort verblüfft. Da wird nicht einmal mehr der Versuch unternommen, sich ideologisch-dialektisch oder gar in der Sache mit den Argumenten der Italiener auseinanderzusetzen; Ursache und Anlaß ihrer R_e-bellion, das polnische Drama, werden nur mit einem Satz gestreift: Es liege wohl an ihrer „Sympathie mit den Rechtsextremisten von Solidarnosc".

Außer dürren Beschuldigungen, wie Antisowjetismus, Abkehr vom Marxismus-Leninismus, ja vom „Weltsozialismus", findet sich kein Ansatz zu jener Art von Diskussion und Polemik, die in früheren Auseinandersetzungen, auch etwa mit den Chinesen, noch bescheidene Geistesblitze erzeugte. Jetzt scheint nur noch der Bannstrahl ängstlichanmaßender Glaubens.hüter zur Hand zu sein.

Ist es nur einfach die Staatsräson der Supermacht, die da allmählich alle Debatten hinter sich läßt? Sie kann einen Ideologen wie den am Dienstag letzter Woche verstorbenen Suslow (der, schon todkrank, an diesem Text nicht mehr mitwirkte), durchaus entbehren. Sie braucht auch die Ursprünge der periodischen Blockkrisen nicht mehr zu untersuchen, solange sie das Krisenmanagement militärisch beherrscht. Sie kann es sich zwar nicht leisten, die Argumente der italienischen Kommunisten in Moskau zu drucken (wie es die römische Unitä mit dem Prawda-Artikel tat), aber sie kann ihre Schwäche in Stärke ummünzen, die sich mit Brachialgewalt legitimiert.

Nicht nur nach Rom, mehr noch an Warschau adressiert, war deshalb der Prawda-Artikel, der nicht die geringste Möglichkeit eines autonomen, nationalgetönten Kommunismus mehr offen läßt, wie er noch bei der Konferenz der Kömmunistischen Parteien 1978 beschworen worden war.

Die KPI zieht daraus jetzt den alarmierenden Schluß: „Wir befinden uns vor der sowjetischen Entschlossenheit, um die KPdSU herum ein einziges Weltdirektionszentrum aller kommunistischen Parteien, ja aller Befreiungsbewegungen zu schaffen und dies auf der Basis einer simplizi-stischen Vision, die jede Kritik, ja jede selbständige Analyse als feindlich betrachtet, nach dem Motto: ,Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns.'"

Rückkehr also zu den Zeiten von Stalins Komintern und Kominform? Oder nur „Zeichen der Verkrampfung" einer Weltmacht, die sich — wie das KPI-Dokument feststellt — in einer rückläufigen Phase befindet, unfähig, „sich an die Spitze eines Erneuerungsprozesses zu setzen"? Nachdenklich meinte dieser Tage der alte Pajet-ta, der wochenlang in der KPI-Zentrale in Rom aufdringlich mahnende Sowjetdiplomaten abzuwimmeln hatte: „Vielleicht steht es in Moskau schlimmer, als wir dachten und sagten."

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