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Barbaren als Prüfstein

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Chinas Verhältnis zur nichtchinesischen Welt beruhte von den frühen Anfängen an auf einem ethischen Ordnungsmuster. Die Übertragung familienbezogener hierarchischer Vorstellungen auf das Zusammenleben der Völker ließ zwischenstaatliche Beziehungen nach dem Gleichheitsprinzip nicht zu.

Die weit über den abendländischen Begriff des Gottesgnadentums hinausgehende Idee von der kosmischen Mittlerstellung des durch himmlischen Auftrag legitimierten Kaisers und die konfuzianische Staatsethik waren die Säulen eines paternalistischen Weltbildes. Das Reich der Mitte hatte innerhalb der Völkerfamilie die Rolle des Familienoberhauptes wahrzunehmen, der Anspruch des Himmelssohnes auf Oberhoheit erstreckte sich auf ein universales Gemeinwesen.

Chinas Überlegenheit ergab sich dabei nicht aus politisch-militärischer Stärke, sondern aus moralischer Vorbildlichkeit und kultureller Höherwertigkeit.

Das Weltwunder, das China hervorgebracht hat, die in über zwei Jahrtausenden zum Sinnbild des Reiches gewordene Große Mauer, scheint eine Botschaft zu verkünden: „die Botschaft von dem Willen, die eigene Welt vor allem Fremden zu schützen, weil diese eigene Welt bereits vollendet ist und ein jegliches Mehr sie nicht mehr bereichern, sondern nur gefährden würde“, schreibt der deutsche Sinologe Wolfgang Bauer, Professor an der Universität München, in der Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen bemerkenswert fundierten Band „China und die Fremden“.

Ein allen Hochkulturen anhaftendes Phänomen, nämlich daß sich ihre zivilisierten Träger von den sie umgebenden Barbaren abzugrenzen trachten, kommt bereits in frühen chinesischen Quellen zum Vorschein.

Die „Barbaren der vier Himmelsrichtungen“ am Rande des Reiches waren nicht Ausländer im westlichen Sinn, sondern Völker, die noch nicht in den chinesischen Lebenskreis einbezogen waren. Ihr Verhalten wurde gewissermaßen als Reaktion auf den politischen und moralischen Zustand des Reiches aufgefaßt. Für den Herrscher stellten sie eine Art Prüfung dar.

Die konfuzianischen Ideale schrieben dem Himmelssohn eine vorbildliche Regierungsweise vor, die die Barbaren zur spontanen Anerkennung der chinesischen Weltordnung veranlassen sollte. Die nominelle Subordination durch Eingliederung in das Tributsystem machte die Randvölker ganz von selbst zu Verteidigern der chinesischen Kultur und erhöhte deren Strahlungskraft nach außen.

Eine morsche Dynastie, die moralisch nicht mehr beispielgebend war, mußte an dieser Aufgabe scheitern, wie zuletzt 1644 die Ming, die den Thron an die von ihnen gerufenen Mandschu verloren. Allein mit der Gründung von Dynastien erwiesen die Eroberer aus dem Norden der chinesischen Lebensform bereits ihre Reverenz.

Sobald sie nennenswerte Teile Chinas unterworfen hatten - unter der mongolischen Yüan-Dynastie

(1260-1368) war erstmals das Gesamtreich unter fremde Oberherrschaft geraten -, begann jener Aufsaugungsprozeß, der „in letzter Konsequenz jeden Sieg in einen Pyrrhussieg verkehrte, weil er stets mit dem Verschwinden oder zumindest mit der Schwächung des eigenen Stammes oder Volkes endete“.

Von ganz anderer Art war die Auseinandersetzung mit den Fremden der „Außenwelt“, die im vorigen Jahrhundert in China einbrachen: Mit den Opiumkriegen begann eine rund hundert Jahre währende Periode, in der China den westlichen Nationen wehrlos ausgeliefert war. Auf ihre Abwehr war das Reich der Mitte geistig nicht vorbereitet.

Die unausweichbare Entscheidung zwischen der Bewahrung des angestammt Chinesischen bei gleichzeitigem Verharren in Schwäche und der Gewinnung neuer Stärke auf Kosten der eigenen Identität fiel in der „4.-Mai-Bewegung“ von 1919. Sie fiel gegen die Tradition und damit auch - so Bauer - „wenn man ehrlich ist, im Grunde gegen China und für den Westen“ aus.

Die Chance der Kommunisten lag darin, daß sie als einzige in der Lage waren, mit ihrer Ideologie das dadurch entstehende Vakuum zu füllen.

Die vorliegende Arbeit ist eine Orientierungshilfe, die aus der immer umfangreicher werdenden China-Literatur höchst unterschiedlicher Qualität herausragt. Zu bedauern wäre lediglich eine etwas stiefmütterliche Behandlung des Tributsystems, seiner Grundlagen und Funktionen.

CHINA UND DIE FREMDEN. 3000 Jahre Auseinandersetzung in Krieg und Frieden. Herausgegeben von Wolfgang Bauer. C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1980. 274 Seiten mit Zeittafeln, Abbildungen und Karten, öS 304,20

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