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Barock am Ende?

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Österreich ist stolz auf seine barok-ken Baudenkmäler. Der Gedanke, es könnte den vertrauten Anblick weltbekannter Stifte, Kirchen, Deckenfresken eines Tages nicht mehr geben, muß den heute lebenden Generationen absurd erscheinen. Gerade diese trügerische Sicherheit könnte dazu führen, daß es ohne Kriegszerstörung zu einem Aderlaß an unersetzlicher österreichischer Kultursubstanz kommt. 4

Die Bauämter der Erzdiözese Wien und der Diözese St. Pölten, die österreichische Superiorenkonferenz sowie die Äbtekonferenz der niederösterreichischen Stifte veranstalteten einen Lokalaugenschein für Journalisten, der ihr gemeinsames Memorandum über die Denkmalpflege kirchlicher Baudenkmäler illustrieren sollte. Dabei wurde deutlich, daß es sich nicht um ein Thema handelt, das durch die Auseinandersetzung um das Denkmalschutzgesetz und die hohen Kosten für die in Melk notwendig gewordenen Arbeiten mehr oder weniger zufällig aktuell wurde, sondern daß ein Kulturland als Ganzes vor einem Problem steht, das es noch nicht zur Kenntnis genommen hat.

Die Kirche von St. Andrä an der Traisen mit ihren herrlichen Troger-Fresken ist ein besonders alarmierendes Beispiel. Verrottete Dächer, verfallene Dachstühle, als Folge davon (und der fehlenden Dachrinnen!) durchnäßte Mauern, haben bereits zur Zerstörung von Altarpfeilern in den Seitenschiffen geführt, deren künstlicher Marmor (Stukkolustro) in der Entste-

hungszeit billiger war als echter, heute aber (Arbeitskosten!) teurer ist. Diese Schäden kündigen einen Verfallsprozeß an, der in wenigen Jahren dazu führen kann, daß die Kirche nur noch mit einem Vielfachen der heute nötigen Mittel gerettet werden kann. Oder gar nicht mehr.

Das Wissenschaftsministerium verweigerte mit einem brüsken Brief die Beteiligung an den Kosten. Ohne Bundesbeteiligung sind die Mittel nicht aufzubringen. Einer der Gründe für die Weigerung ist die Häufung derartiger Ansuchen, wird im erwähnten Brief offen ausgesprochen.

Diese Häufung hat aber ernste Gründe. Es war nicht zuletzt der Verfall gotischer Bausubstanz, der im Barock zu hektischer Neubautätigkeit führte - heute ist die barocke Substanz im Begriff, ihre von Material, Baustil und Bautechnik der damaligen Zeit gegebene Lebenszeit zu erschöpfen. So kannte das Barock - vor allem aus stilistischen Gründen - keine Dachrinnen. Rund 200 Jahre widerstanden die Mauern der Feuchtigkeit - heute kommt es zu Aussinterungen, gegen die es einst kein Mittel gegeben hätte, deren man auch heute nur mit hohem Aufwand, im Zuge von Generalsanierungen, Herr werden kann. Welche Kosten dabei entstehen, wurde deutlich, als sich in Melk (wo vor rund einem Jahrzehnt die übliche „kosmetische“ Fassadenreparatur stattfand) Schäden zeigten, deren Behebung nun 90 Millionen Schilling kostet.

Die Fassaden in Stift Göttweig sind besser dran - laut Gutachten des Bun-

desdenkmalamtes könnten sie heute noch mit einem Teil des in Melk nötigen Aufwandes dauerhaft saniert werden, aber in zehn Jahren wird auch in Göttweig unweigerlich eine „Melker Situation“ entstehen.

Während die Ablehnungen von Subventionsansuchen zur Sanierung kirchlicher Baudenkmäler neuerdings bereits hektographiert versandt werden, zugesagte Mittel auf sich warten lassen (Beispiel: Seitenstetten) und in Gang befindliche Restaurierungen für Jahre ins Stocken geraten (Beispiel: die Dorfkirche von Murstetten, die der Verbindung mit dem Kaiserhaus eine besonders qualitätsvolle barocke Innenausstattung verdankt), und auch in Herzogenburg nach der Restaurierung der Stiftskirche kein Geld für zügiges Weiterarbeiten vorhanden ist, (auch die Fischer-von-Erlach-Fassade zeigt schon Verfallserscheinungen), geraten die in relativ kurzer Zeit entstandenen Bauwerke folgerichtig nun auch gleichzeitig in eine bautechnische Existenzkrise.

Eine solche Situation ähnelt zwar nicht quantitativ, aber doch qualitativ der Nachkriegssituation mit ihren umfassenden Zerstörungen. Auch die Generalsanierung der barocken Baü-substanz Österreichs nimmt heute die Konturen einer Herausforderung an einen Staat an, entpuppt sich als Aufgabe, die über laufende Erhaltungsarbeiten weit hinausgeht und von den Eigentümern nicht allein getragen werden kann.

Es geht nur darum, dieses Problem -rechtzeitg! - zu erkennen.

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