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Barocke Krücke?

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In der amerikanischen Fachliteratur wird die Frage nach Österreichs Identität ernst genommen, aber nur teilweise verstanden, wie zwei neulich erschienene Publikationen klar beweisen.

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In der amerikanischen Fachliteratur wird die Frage nach Österreichs Identität ernst genommen, aber nur teilweise verstanden, wie zwei neulich erschienene Publikationen klar beweisen.

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„In Österreich mußt du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein, alles andere wird nicht geduldet, alles andere wird vernichtet" meint Thomas Bernhard in seinem Stück „Heldenplatz", indem die österreichische Identität einer massiven Kritik unterzogen wird. In seinem Aufsatz zum „Heldenplatz" zeigt der amerikanische Germanist Egon Schwarz, daß in Österreich Theaterskandale Staatssache sind. In Österreich wird nämlich Literatur ernst genommen, eine Literatur, die die Fähigkeit entwickelt, „unter die Oberfläche zu dringen, im Verborgenen zu schürfen, Geheimes und Wider-

sprüchliches aufzudecken, zu geißeln, zu höhnen und zu mahnen".

Der Aufsatz erschien in der Essay-Sammlung „Austria: Standort '90" in der Zeitschrift „German Politics & Society", die vom „Center for European Studies" der Harvard-Universität herausgegeben wird. Dies ist unter anderem deswegen beachtenswert, weil amerikanische Zeitschriften selten ganze Nummern der Situation Österreichs widmen.

Literatur und Literaten können in Österreich sogar staatstragend wirken. Nach dem Ersten Weltkrieg formulierten Menschen wie Hugo J/on, Hofmannsthal mit den Salzburger Festspielen eine Österreich-Ideologie und halfen damit nach dem Zusammenbruch der Monarchie bei der Schaffung einer neuen österreichischen Identität.

Die theatralische Repräsentation und Totalität der Salzburger Festspiele unterzieht der amerikanische Ideengeschichtler Michael Steinberg - er entstammt der für die österreichische Kulturgeschichte der Jahrhundertwende so einflußreichen Princeton-Schule Carl Schorskes - in seinem neuen Buch „The Meaning of the Salzburg Festival" einer faszinierenden - und in vielem bedrückenden - Analyse.

Nach dem Zusammenbruch des Habsburger-Reiches befand sich das kleine Österreich in einer Lage der „wirtschaftlichen und kulturellen Verzweiflung". Österreichs kulturelles Erbe mußte wiederentdeckt und neu konstituiert werden. Der Kreis um Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss rief 1920 die Salzburger Festspiele ins Leben. Hauptaugenmerk wurde auf eine spezifische Österreich-Ideologie gelegt.

Steinberg zeigt, daß die Ursprünge des Salzburger Großen Welttheaters im katholischen Barock des 17. Jahrhunderts liegen. Das „theatrum mundi" des Barocktheaters wird in seiner ganzen Totalität im Salzburg der zwanziger und dreißiger Jahre auf die Bühne gebracht und

bestimmend für die Ideologie der Salzburger Festspiele. Hofmannsthals konservative Katholizität verhilft der theatralischen Welt des österreichischen Barock bei der Definition einer neuen österreichischen Identität, die das Alte konservativ bewahrt, zum Sieg.

Die Kategorie Österreich bedeutete eine heroische Vergangenheit. Die Intellektuellen der kritischen Moderne, die zur Jahrhundertwende diesem bewahrenden Konservativismus noch Paroli geboten hatten, wurden ins Abseits gedrängt. Viele Juden verließen Österreich schon vor 1938, als der Austrofa-schismus immer mehr in den Antisemitismus abglitt. Ambiguität und Meinungsvielfalt im österreichi-

schen Geistesleben, so Steinberg, wurden der Homogenität und Totalität geopfert. Damit wurden dem Totalitarismus und Barbarismus der Nazis Tür und Tor geöffnet.

Steinberg besteht darauf, daß zwischen der Salzburger Österreich-Ideologie und dem in der Alpenrepublik heimischen Faschismus eine Kontinuität besteht. Den Salzburger Festspielen lag eine österreichische nationalistische Ideologie zugrunde, nach der die österreichische kosmopolitische Kultur der deutschen Kultur überlegen war. Österreich hatte eine deutsche Mission in Europa, vor allem vis ä vis den slawischen Völkern Osteuropas. Salzburg erhob den Anspruch, in der Tradition des Habsburger-Reiches Brücke zwischen Ost und West zu sein. Die Salzburger Festspiele, mit Mozart im Zentrum, sollten Bayreuth und Wagner Konkurrenz machen. Salzburg wollte dabei kosmopolitischeuropäisch, nicht wie Bayreuth kleinkariert germanisch-preußisch sein.

Steinberg streicht mit Recht das Problematische heraus, nämlich, daß der Kontext, in dem das spezi-

fisch Österreichische definiert wurde, immer noch ein deutscher war. Auch die „österreichische Idee" Hofmannsthals ging von der deutschen kulturellen Überlegenheit aus. Aber die Salzburger Festspiele waren von Anfang an eine elitäre Angelegenheit. Die Eintrittspreise machten den Zutritt nur Wohlhabenden möglich (daran hat sich bis heute wenig geändert).

Dieser deutsche Kultur-Elitaris-mus und die Ergebnisse der verschiedenen Volksabstimmungen im Jahre 1920, bei denen 70 bis 90 Prozent der österreichischen Bevölkerung für den Anschluß votierten, sprechen eine klare Sprache, meint Steinberg: Österreichs Tendenz zum Faschismus wuchs auf

heimischem Boden und war nicht fremdverschuldet. (Anmerkung der Redaktion: Die Anschluß wünsche der Jahre nach 1918 waren allerdings nicht unbedingt faschistisch, auch die Sozialdemokratie war für den Anschluß!)

Steinbergs Verdienst besteht darin, mit seinen komplexen psy-chohistorischen sowie text- und

ideologiekritischen Methoden die verborgenen und paradoxen Schichten des Hofmannsthalschen Österreichertums aufzudecken. Literatur kann, wie Schwarz eingangs vermerkt, unter die Oberfläche einer Gesellschaft dringen und Verborgenes aufdecken.

Hofmannsthal als der „konservative Revolutionär", welcher die den Salzburger Festspielen zugrunde liegende österreichische Ideologie konstruierte, der im Wiener Burgtheater die Traumwelt des

Barock kennenlernte und als zum Katholizismus bekehrter Jude - wie viele seiner Zeitgenossen - der Illusion frönte, mittels der deutschen Sprache und Kultur sich voll in der österreichischen Gesellschaft assimilieren zu können, steht im Mittelpunkt von Steinbergs Betrachtungen.

Steinberg ist fasziniert vom Paradox des Österreichers Hof manns-thal, der Salzburg sein europäisches Festival und Weitruhm gab, dessen „Jedermann" (in Reinhardts Inszenierung von 1920) aber von Anfang an von der heimischen antisemitischen Presse angegriffen wurde. In der „Reichspost" etwa wurde die erste „ Jedermann"-Aufführung auf dem Salzburger Domplatz 1920 als Entweihung des Domes gesehen. Die Besprechung endete mit einer Anstiftung gegen die Juden: „Katholisches Volk, wo bleibst du?" Thomas Bernhards eingangs zitiertes Diktum scheint das intellektuelle Klima der Zwischenkriegszeit einigermaßen zutreffend zu charakterisieren. Im erzkatholischen Salzburg (und Österreich) wollte man sich nicht von Juden das Österreichertum konstruieren lassen.

Mußten sich die assimilierten Juden Hofmannsthal und Reinhardt in den zwanziger Jahren ihre jüdische Abstammung vorhalten lassen, wirft ihnen nun Steinberg „Naivität" vor - haben sie doch mit ihrem Programm für konservative katholische Salzburger Festspiele „der Ideologie und der brutalen Einfachheit zum Sieg verholfen". Die kritische Kultur und die intellektuelle Freiheit seien die Opfer gewesen. Dieser Drang zur kulturellen Totalität stellt in der Sicht Steinbergs „den gemeinsamen Nenner" zwischen Barock und Faschismus, Salzburger Festspielen und Nürnberger Parteitagen dar!

Mit dieser überspitzten These wird man sich in den Diskussionen zur österreichischen Identität in Zukunft auf jeden Fall auseinandersetzenmüssen. Steinberg betont das Element der Konstruktion einer österreichischen Identität, das nach dem Ersten Weltkrieg ein künstliches war, solange man sich nur als „bessere Deutsche" sah. In seiner Analyse versteift sich Steinberg auf die Intellektuellen um die Salzburger Festspiele und übergeht dabei die Ansätze von katholischen und kommunistischen Wiener Intellektuellen in den dreißiger Jahren, ein von Deutschland distanziertes alternatives Österreicher tum zu entwickeln.

Auf diesen Grundlagen ging nach dem Zweiten Weltkrieg das Ringen um die österreichische Identität weiter. Die Sache wurde dadurch erleichtert, daß den Österreichern während des Krieges an der Seite Deutschlands jegliches Verlangen nach Anschluß ausgetrieben wurde. Nach dem Krieg wurde wieder eine österreichische Identität konstruiert, die sich vor allem am Mythos orientierte, das „erste Opfer Hitlets" gewesen zu sein. Es war also eine österreichische Identität,

die sich endlich vom deutschen Kontext befreite. Nach der nazistischen Barbarei wollte sich niemand mehr an deutscher Kultur orientieren. War damit Österreichs Identität weniger künstlich als nach dem Ersten Weltkrieg?

Mit Staatsvertrag und Neutralität erlangte Österreichl955 wieder volle Freiheit. Seither ist die österreichische Identität stark an Neutralitätsstatus, Blockfreiheit und Ost-West-Brückenfunktion orientiert. Infolge der Veränderungen in Europa in den Jahren 1989und 1990 wird die österreichische Neutralität - und damit ein Stück Identität - neuerlich in Frage gestellt. In der Aufsatzsammlung „Austria: Standort '90" gehen Gerhard Botz und Anton Pelinka der Frage nach, inwieweit die osteuropäischen Revolutionen und die deutsche Vereinigung Österreichs internationale Stellung beeinflußt und verändert haben.

Die Österreicher sind wieder einmal an einem historischen Wendepunkt, der auch ihre Identität beeinflussen wird. Wird Österreich mit dem möglichen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum dritten Mal in diesem Jahrhundert seine Identität (re)konstruieren müssen? Wird das neutrale Österreich in einem von Deutschland beherrschten Europa aufgehen, nachdem der stille wirtschaftliche Anschluß längst stattgefunden hat?

THE MEAN1NGOFTHESALZBURG FESTIVAL: AUSTRIA AS THEATER AND IDEOLOGY, 1890-1938. Von Michael P. Steinberg. Cornell University Press, Ithaca-London 1990. 253 Seiten, US-S 24,95.

„AUSTRIA: STANDORT '90", German Politics and Society, Fall 1990. Herausgegeben vom Center for European Studies, Harvard University (mit Aufsätzen von Gerhard Botz, Anton Pelinka, Egon Schwarz, Herbert Gottweis, Brigitte Unger).

Der Autor unterrichtet Geschichte an der Universität von New Orleans.

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