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„Barocke“ Religiosität als Ansatzpunkt

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„Uber das Spezifische des religiösen Lebens in der Großstadt Wien gibt es so gut wie keine umfassende Auskunft.“ Der Bischofsvikar des Vikariates Wien-Stadt der Erzdiözese Wien, Pater Josef Zeininger, weist daraufhin, daß das Standardwerk auf diesem Gebiet - „Die Großstadtseelsorge“ des Pastoraltheologen Heinrich Swoboda - noch aus dem Jahr 1906 stammt. Hier neues Material zusammenzutragen und, darauf aufbauend, pastorale Leitlinien für die achtziger Jahre zu erarbeiten, wird ja Hauptaufgabe des laufenden Sym-

posions „Christ sein in der Großstadt Wien“ sein.

Dennoch läßt sich für Wien eine interessante Aussage bereits machen: Zum Unterschied von vergleichbaren Großstädten Deutschlands werden in Wien noch fast alle Kinder getauft (in Münchener Pfarren werden oft nur mehr 50 Prozent der Kinder zur Taufe gebracht), und auch zu den anderen Sakramenten zu Lebenswenden kommen die Wiener: „Sie kommen, auch wenn sie vielfach gar nicht wissen, was ein Sakrament ist“, meint Zeininger.

Der Bischofsvikar empfindet diesen Zustand zugleich als Chance und Belastung. Natürlich ist es belastend, wenn anscheinend vielen Wienern nur an mit Äußerlichkeiten verbundenen Sakramenten liegt, sonst aber keine Beziehung zur Kirche greifbar ist. Nichtwiener werfen den Bewohnern der Bundeshauptstadt daher nicht ungern eine „barocke“ oder „folkloristische“ Religiosität vor.

Die Chance liegt anderseits darin, daß immer wieder Kontakte zu sogenannten „Fernstehenden“ Zustandekommen, etwa bei Taufe und Erstkommunion auch zu den Eltern der betroffenen Kinder. „Keine Kinderseelsorge ohne Elternseelsorge!“ formuliert Zeininger ein Hauptanliegen der Verantwortlichen für die Pastoral in Wien.

So versucht man nun, mit den Eltern immer ein längeres Taufgespräch zu führen und Kinder und Eltern zwischen Taufe und Schuleintritt nicht mehr ganz aus den Augen zu verlieren. Auch das Sakrament der Firmung wird viel ernster als früher genommen, was schon in der verlängerten Vorbereitungszeit von einem halben Jahr ab Advent zum Ausdruck kommt.

Es geht im Grunde darum, den Leuten, die das Sakrament haben wollen, klarzumachen, daß sie willkommen

sind, daß aber ihre Beweggründe oft mangelhaft sind, daß sie nicht mit der richtigen Motivation kommen. Zeininger weiß, daß dies sehr mühevoll ist. Soll man mitunter ein Sakrament verweigern? Hier plädiert der Bischofsvikar für Geduld: In den seltenen Fällen; wo die Verweigerung eines Sakramentes angebracht scheint, sollte nicht abgewiesen, sondern aufgeschoben werden.

Ganz heikel ist das Problem der Geschiedenenpastoral, das vor allem in der Großstadt immer stärkere Dimensionen annimmt, denn bei

gleichbleibender Entwicklung werden - so Zeininger - in ein bis zwei Jahrzehnten 60 bis 70 Prozent aller Ehen geschieden sein, also nicht mehr eine Minderheit, sondern eine Mehrheit.

Die Kriterien, die für eine Wiederzulassung zu den Sakramenten Voraussetzung sind, sind bekannt: „Eine echte eucharistische Bezogenheit, eine nicht mehr mögliche Umkehr oder Rückkehr in die Erstehe, daß möglichst alles soziale Unrecht gutgemacht wird, und daß - und daran nagen wir jetzt besonders - jedes Ärgernis vermieden wird.“

Die Beziehungslosigkeit in der Großstadt, das Untergehen in einer anonymen Masse, ist in Wien ein weiteres - durch die Größe mancher Pfarren noch verstärktes - Problem. Das Bemühen, zu kleinen, überschaubaren Einheiten zu kommen, ist vorhanden, scheitert aber oft an den engen personalen Rahmenbedingungen. Ende dieses Jahres soll ein - notwendigerweise flexibles -Personalkonzept vorliegen.

Die Hoffnungen auf vermehrten Nachwuchs an Priestern werden sich frühestens in einigen Jahren erfüllen. Nach wie vor steigt der Anteil ausländischer Priester - besonders aus Polen. Zeininger sieht einen „sehr vorsehentlichen Zusammenhang“ zwischen dem Priestermangel und dem zunehmendem Einsatz und Verantwortungsbewußtsein der Laien. Diese werde man auch nicht wieder zurückdrängen dürfen, sollte es wieder mehr Priester geben.

Beim Aufbau lebendiger Pfarrgemeinden mit einem guten Meldewesen, das den raschen Kontakt zu neu Hinzugesiedelten ermöglichen soll, das verhindern soll, daß jemand in seiner Wohnung stirbt und erst Tage oder Wochen später gefunden wird, steht man erst am Anfang. Zeininger weist daraufhin, daß der Wiener zwar

Gemeinschaft und Geborgenheit sucht - aber unter Wahrung einer gewissen Anonymität. Deshalb stoßen auch die Sekten, die dem Bedürfnis nach Gemeinschaft sehr gut entsprechen, bei den Wienern, die sich nicht vereinnahmen lassen wollen, oft auf Ablehnung.

Ein Hauptanliegen des Symposions wird sein, nicht nur die kleine Pfarrgemeinschaft hervorzuheben, sondern auch das Gemeinsame der Kirche in Wien, die ja mehr als die Summe von 150 Pfarren sein soll. Zu viele Pfarren arbeiten noch isoliert voneinander, ja richten mitunter -durch zu große Unterschiede in der Gestaltung des pfarrlichen Lebens -sogar Verwirrung und Schaden an.

Zeininger bestätigt, daß die Aufbruchsstimmung, die bereits in etlichen Pfarren spürbar ist, vor allem

von der jüngeren Generation und hier wieder vielfach von Angehörigen engagierter Gruppen getragen wird. Er zollt aber auch der älteren Generation Respekt, für die es sicher nicht immer leicht sei, den Wechsel zum nachkonziliaren Kirchenbild mitzuvollziehen, die vor politischen Entscheidungen noch die Steuerung von oben erwartet und fragt: „Warum reden denn die Bischöfe nicht? Warum geben sie uns keine Anweisungen?“

Daß das Hauptaugenmerk der älteren Generation gilt, ist in Wien, der

Stadt vieler alter und einsamer Menschen, kein Wunder. Daß in der Großstadt von der Seelsorge auch die Betreuung Strafentlassener, Drogenabhängiger, Verzweifelter und Lebensmüder in noch größerem Ausmaß als auf dem Land erwartet wird, ist ebenfalls selbstverständlich. Und trotz all dieser Tatsachen ist die Stadt das größte Hoffnungsgebiet der katholischen Kirche - denn die Urkirche hat gezeigt, daß Städte Zentren wahren religiösen Lebens sein können.

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