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Barzel wartet

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In der Bundesrepublik spricht man jetzt gelegentlich von den Landtagswahlen in Lippe, die im Jänner 1933 Weltgeschichte gemacht haben. Wer erinnert sich noch jener Wahl in dem damals kleinsten Lande des Deutschen Reiches? Die Nationalsozialisten hatten eben, in den Wahlen am 6, November, zum erstenmal nach einem langen Siegeslauf eine Schlappe erlitten und rund zwei Millionen Stimmen verloren. Auf der liberalen Linken wie auf der konservativen Rechten begann man das Fell des braunen Bären zu verteilen. Schleicher bastelte an seiner phantasievollen Koalition zwischen Reichswehr, Gewerkschaften und gemäßigten Nationalsozialisten, Zentrum und SPD forderten die Einberufung des Reichstages, um Schleicher stürzen und Hitler zu Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum nötigen zu können. Hitler befand sich mit 12 Millionen RM Schulden der Partei in einer schwierigen Lage. Da schlug Goebbels vor, die letzten Reserven in den Wahlkampf in Lippe zu werfen. Die Gegner der NSDAP lachten über den geradezu hysterischen Betrieb, den sich die Nationalsozialisten in dem winzigen Lippe leisteten. Die Landtagswahl brachte Hitler einen eindeutigen Sieg. Aber was bedeutete er schon? Nun, er bedeutete sehr viel. Er hat Hinden-burg und Hindenburgs Camarilla entscheidend in dem Entschluß bestärkt, es nun doch mit Hitler zu versuchen, da — wie der Generalfeldmarschall noch auf dem Sterbebett versicherte — das Volk nun einmal den „böhmischen Gefreiten'“ wolle.

Am 23. April finden Landtagswahlen in Baden-Württemberg statt, dem einzigen Bundesland, wo bis jetzt noch eine schwarz-rote, eine „Große Koalition“ regiert. Daß sie nicht erneuert wird, haben zuerst die Sozialdemokraten versichert, dann hat sich die CDU damit abgefunden. Es geht um eine einfache Entscheidung: Mehrheit und Alleinregierung der CDU oder Mehrheit der sozialistisch-liberalen Koalition nach Bonner Muster. Geht man von den Prozentsätzen der letzten Landtagswahl und dem Ergebnis der Bundestagswahl von 1969 aus, so scheint die Mehrheit der CDU gesichert zu sein. Daß sie 1968 nicht die Mehrheit im Landtag erhielt und auf eine Koalition angewiesen war, zu der sich die SPD bereitfand, nachdem die FDP abgelehnt hatte und es keine Partei riskieren wollte, mit der NPD zu regieren, hing damit zusammen, daß diese Partei, damals auf dem Höhepunkt ihrer Erfolge, mit neun Mandaten in das schwäbisch-alemannische Landesparlament eingezogen war. Die NDP hatte diesmal keine Aussichten, die 5-Pro-zent-Hürde zu nehmen. Sie hat jetzt auch noch sämtliche Kandidaten zurückgezogen, da sie zu jedem Opfer bereit sei, um der Regierung Brandt-Scheel die ostpolitische Suppe zu versalzen. Eine Wahlempfehlung für die CDU hat sie nicht ausgesprochen und es offengelassen, ob sie ihren Wählern zur Stimmenthaltung rät. Möglicherweise sind die Stimmen der NPD aber ohnehin bereits verteilt, und es ist nicht gesagt, daß sie wirklich der CDU zufallen.

In Bremen ist der Großteil der NPD-Wähler zur SPD abgewandert, weil die CDU, um sich ein Wohlverhaltungszeugnis von den linken Meinungsmonopolen zu verschaffen, ihren Wahlkampf so gut wie ausschließlich gegen die NPD führte, was deren Wählerveteranen als eine persönliche Kränkung auffaßten. Die CDU braucht jedenfalls in Baden-Württemberg nur um rund 5 Prozent zuzunehmen, um die absolute Mehrheit zu erreichen, die Linke müßte mindestens doppelt soviel gewinnen, um dies zu verhindern. Nun rechnet man wohl mit Gewinnen der SPD, aber auch mit Verlusten der in sich zerstrittenen FDP. Die Gewinne der SPD werden vielleicht zu Lasten ihrer Koalitdons-freundin gehen.

Welche Folgen könnte nun ein :Sieg der CDU haben, wo liegt die Vergleichsmöglichkeit mit Lippe? Zunächst einmal hängt es vom Ausgang der Landtagswahl ab, ob sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ändern, wo die CDU über 21, die SPD/FDP über 20 Sitze verfügt. Brandt setzt alles daran, diese Mehrheit der CDU zu brechen. Gelingt das aber nicht, dann gilt es als sicher, daß der Bundesrat Einspruch gegen die Ratifizierung der Ostverträge einlegt. Diesen Einspruch kann der Bundestag zurückweisen, aber nur mit der absoluten Mehrheit aller Stimmen. Einerlei ob die Unionsparteien dann durch Absenzen geschwächt wären — wie sie es bisher bei allen Abstimmungen waren — müßte die Regierungskoalition 249 Stimmen aufbringen, was zur Zeit fraglich ist, da Cirge --Ahejordnete der FDP

„wackeln“ und vielleicht auch noch der eine oder andere SPD-Mandatar den Absprung riskiert, weil er weiß, daß er angesichts der fortschreitenden Radikalisierung der SPD nicht mehr aufgestellt wird.

Aber noch in anderer Hinsicht ist der 23. April ein Schicksalstag für die Bundesrepublik. Die SPD führt den Wahlkampf in Baden-Württemberg ausschließlich mit bundespolitischen, ja man darf sagen, ausschließlich mit außenpolitischen Argumenten, als Kampf um die Ostpolitik, die „Friedenspolitik“, wie sie das nennt. Sie hat sich linkskatholische Wählerinitiativen organisiert, etwa den bekannten Walter Dirks. Sie erfreut sich selbstverständlich der Unterstützung durch die Massenmedien und sie hat — nicht zuletzt — mehr Geld. Daß die CDU die besseren landespolitischen Argumente hat und ganz offensichtlich auch die bessere Mannschaft, wird unter diesen Voraussetzungen vielleicht nicht den Ausschlag geben. An der CDU rächt es sich, daß sie ihren Kampf gegen die Ostverträge nicht mit einer einfachen und klaren Parole geführt hat, sondern mit einem Dutzend von Argumenten, von denen jedes einzelne^ stichhaUig sein mag, die* äfoer j^nile \ti 'ihrer Bündelung dem Wähler vielleicht einen verwirrenden Eindruck machen.

Gelingt es der SPD, ihren „Frie-denskanziler“, der sich nicht scheut, die groben Drohungen Breschnjews als Wahlkampfhilfe für die SPD in Anspruch zu nehmen, durchzuboxen (nicht als Kandidaten, denn das ist er bei dieser Wahl nicht, wohl aber als Leitbild), dann wird sie im Falle einer Niederlage im Bundestag Neuwahlen riskieren, sie kann dann aber sogar ziemlich sicher sein, daß es dieser nicht mehr bedarf, sondern daß sich der Trend im Parlament verändert und einige Hinterbänkler der CDU, die ohnehin nicht gerade kampfesmutig sind, für die Verträge stimmen. Unterliegt die SPD, dann muß Brandt wohl oder übel zurücktreten oder es darauf ankommen lassen, daß die Opposition ihn mit einem „konstruktiven Mißtrauensvotum“ stürzt. Die CDU würde die zweite Lösung vorziehen, doch sind die Meinungen darüber geteilt, wie man sich eine Mehrheit für Barzel schaffen soll. Ein Teil der Fraktion möchte die immer zu einem kleinen Frontwechsel bereite FDP oder Teile der FDP gewinnen, die andern — vermutlich die Mehrheit, mindestens aber das, was man dm Mittelalter die Sanior pars nannte, die vernünftigere Partei, denken an eine Große Koalition, in der Barzel Kanzler, Helmut Schmidt Vizekanzler, Schröder Außenminister und Strauß selbstverständlich Finanzminister würde. Das könnte aber zur Spaltung der SPD führen. Risse ^zeichnen sich ab. Ein Prozeß zwischen dem bayerischen Staatssekretär Kiesl und dem Münchner Oberbürgermeister Vogel wird demnächst darüber entscheiden, ob Kiesls Behauptung beweisbar ist, daß verschiedene SPD-Politiker bereits über die Gründung einer neuen, solid-demokratischen SPD verhandelt haben. Man sieht, nicht nur die Ostverträge bilden den Einsatz bei den Landtagswahlen am 23. April.

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