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Basis nicht zerstören!

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Selbst bei emotionsloser Betrachtung des derzeitigen innenpolitischen Klimas muß man erschrek-ken. Haben wir aus den Fehlern der Ersten Republik nichts gelernt?

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Selbst bei emotionsloser Betrachtung des derzeitigen innenpolitischen Klimas muß man erschrek-ken. Haben wir aus den Fehlern der Ersten Republik nichts gelernt?

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Die politische Auseinandersetzung stand in Österreich seit 1945 bereits auf keinem besonders hohen Niveau. Die Argumente waren oft armselig und wenig intelligent. Der „andere“ durfte ja nie recht haben. Und gelobt wurde der politische Widerpart erst nach seinem Tod.

Es wäre auch völlig falsch, die ersten Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft zu idealisieren und die Große Koalition zu heroisieren. Die „große Liebe“ zwischen den beiden Großparteien unserer Republik fand niemals statt.

Die Große Koalition war, abgesehen vom Zwang der Nachkriegsnot und der militärischen Besetzung, immer eine Koalition des Mißtrauens. Aber in beiden Großparteien gab es Männer und Frauen, die sich vor dem Ende dieser Koalition fürchteten. Sie waren der Meinung, daß dann die alten Gegensätze wieder mit der alten Heftigkeit wie in der Ersten Republik aufbrechen würden.

Ich war immer der Meinung, daß bei aller Gegensätzlichkeit alle aus der Vergangenheit lernen müssen. Diese Erfahrungen haben wir doch alle teuer und bitter bezahlt.

Der gemeinsame und so erfolgreiche Wiederaufbau unseres Staates und unserer Wirtschaft, der soziale Fortschritt waren doch etwas, worauf wir alle stolz sein konnten.

Natürlich hat dabei keine Seite die Vergangenheit vergessen. Die sozialistischen Arbeiter und die Gewerkschafter hatten zu lebhaft in Erinnerung, wie sie vor 1938 behandelt worden waren.

Eine österreichische Regierung, die sich patriotisch nannte, aber die Hälfte der Bevölkerung entrechtet hat und unter dem Anspruch eines christlichen Staates mit dem Galgen regierte, konnte man nicht so leicht aus einem Gedächtnis auslöschen.

Es wäre wahrscheinlich leichter gewesen, wenn sich die Uberlebenden des ständestaatlichen Regimes dazu hätten entschließen können, laut und offen zu bekennen, daß diese gotteslästerliche Anmaßung ein Irrweg war. Lendenlahme Verteidigungsphrasen hätte man sich ersparen können und sollte sie sich manchmal auch heute noch besser ersparen.

Das alles muß ausgesprochen werden, um jetzt auch die Dinge zu sehen und zu beschreiben, die heute vielen Menschen Angst machen.

Wer im öffentlichen Leben wirken und tätig sein will, darf nichts vergessen, sonst könnten wir daraus ja keine Nutzanwendung ziehen. Aber er muß vergeben können. Wer das nicht kann, soll wenigstens schweigen.

Es sind auch beide Großparteien dafür eingetreten, daß wir den bloßen Mitläufern des Nazi-Regimes vergeben - weil ein neuer Staat nicht mit altem Haß aufgebaut werden und existieren kann.

Die Sozialistische Partei und die Gewerkschaften mit ihrer großen sozialistischen Mehrheit wurden zu Trägern des Staates und in vielen kritischen Situationen in den ersten Jahren nach 1945 die verläßlichsten Stützen.

Die Tatsache, daß alle Bundespräsidenten bis 1986 auf Vorschlag der SPÖ vom Volk gewählt wurden, hat diese „Reichshälfte“ endgültig mit diesem Staat versöhnt. Diese Entwicklung war nur möglich durch die „präfaschistische“ (Bruno Kreisky) Verfassung von 1929, mit der die Volkswahl des Bundespräsidenten eingeführt wurde.

Wahrscheinlich wäre ab 1950 in der Bundesversammlung immer ein Staatsoberhaupt gewählt worden, das dem bürgerlichen Lager angehört. Zumindest bis 1970. Das sollte nicht vergessen werden in den Tagen, in denen es manche leichtfertige Aussagen gibt, die noch verheerende Folgen haben können.

„Leichtfertige Aussagen können noch verheerende Folgen zeitigen“

Bundeswappen, Bundeshymne, Bundesflagge und Bundespräsident sind durch diese Entwicklung für alle politischen Lager in Österreich unantastbar geworden, mit dem gemeinsamen Bekenntnis zur österreichischen Eigenstaatlichkeit und militärischen Neutralität. Wer diese gemeinsame Basis zu zerstören beginnt oder in Frage stellt, gefährdet den Grundkonsens der Zweiten Republik!

Wahlen haben die Eigenschaft, daß sie immer ein Risiko sind für alle diejenigen, die sich daran beteiligen. Das Wesentliche einer Demokratie ist, Wahlergebnisse zu respektieren, auch wenn sie einem nicht passen.

Der Demokrat hat zu akzeptieren, daß man Wahlen und Positionen nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren kann. Es gibt keine Erbpacht für politische Positionen. Eine radikale Ablehnung eines ungünstigen Wahlergebnisses bringt die Gefahr einer Radikalisierung auch der anderen Seite!

So war die Entwicklung in der Ersten Republik: die Angst des Bürgertums, die parlamentarische Mehrheit und damit die Regierungsgewalt zu verlieren, auf der einen Seite, die Erbitterung der Sozialdemokraten, aus der Staatspolitik hinausgedrängt zu werden, auf der anderen Seite.

Gewiß darf argumentiert, protestiert und auch demonstriert werden, aber dann nicht mehr, wenn die Wahl, wenn die Entscheidung der Wähler auf dem Tisch liegt!

Heute sind wir Herr in unserem eigenen Haus. Das aber ist, bitte, kein Freibrief für Ausgeflippte, Frustrierte und sonstige politisch Abartige, diese Republik, unseren Staat, auch den Staat der arbeitenden Menschen wieder zu gefährden, ihn als Spielwiese für infantile politische Schauspiele zu benützen!

Ein dringender Appell an die Männer und Frauen an der Spitze der politischen Entscheidungsträger: Hören wir auf mit dem Ton und den Methoden der letzten Wochen und Monate! Ein Appell auch an die Medien: Heizen Sie die Stimmung nicht noch weiter an!

Wir haben Sorgen genug. Das Ringen um den besseren Weg, sachliche Argumente werden gebraucht. Die Politik in der Demokratie ist für die Menschen da. Für die Bürger dieses Staates muß gearbeitet werden. Mit und ohne Koalitionen. Egal, wer auf welchem Posten sitzt, wer welches Amt bekleidet.

Politik ist nicht Selbstzweck, sondern bedeutet Verantwortung.,

Der Autor ist Innenminister a. D. und war Präsident des Osterreichischen Gewerkschaftsbundes (OGB).

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