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Baufälliges Europa

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Am 3. Mai ist es zwanzig Jahre her, daß die Europäische Freihandelsvereinigung (European Free Trade Association/ EFTA )als Vertragswerk in Kraft trat. Das Abkommen selbst wurde am 20. November 1959 in Stockholm unterzeichnet. Am 17. November 1972 wurde in Wien das Weiterbestehen des Vertrages beschlossen. Österreich, auch heute noch mit von der EFTA -Partie, war eines der Gründungsmitglieder des die meiste Zeit ungeliebten Kindes der europäischen Integrationspolitik.

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Am 3. Mai ist es zwanzig Jahre her, daß die Europäische Freihandelsvereinigung (European Free Trade Association/ EFTA )als Vertragswerk in Kraft trat. Das Abkommen selbst wurde am 20. November 1959 in Stockholm unterzeichnet. Am 17. November 1972 wurde in Wien das Weiterbestehen des Vertrages beschlossen. Österreich, auch heute noch mit von der EFTA -Partie, war eines der Gründungsmitglieder des die meiste Zeit ungeliebten Kindes der europäischen Integrationspolitik.

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Ursprünglich war die EFTA als eine erste Stufe der Integration, als eine Art „Übung in Integrationspolitik” gedacht. Als integrationspolitisch weniger anspruchsvolle Freihandelszone umfaßte sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung das um eine „Sonderstellung” ringende Großbritannien und in dessen Sog Dänemark, das infolge eines Vetos der Sowjetunion von der EWG (heute EG) ausgeschlossene Finnland, Norwegen und die drei neutralen Staaten Österreich, die Schweiz und Schweden. Später schloß sich noch Portugal der EFTA an.

Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens rückten Großbritannien und Dänemark von der Europäischen Freihandelsassoziation ab, im zweiten Jahrzehnt bemühten sich die einzelnen EFTA-Staaten mit Erfolg um zweiseitige Freihandelsabkommen mit der EG.

Anfang 1980 bestanden zwischen den EFTA-Staaten und der EG insgesamt 73 Verträge, die sehr wesentliche 'Probleme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Verkehrs- und Umweltschutzpolitik, im Patent-, Marken- und Versicherungsrecht, bei gemeinsamen Forschungsprojekten sowie im Währungsbereich betreffen.

Während sich die EFTA-Staaten heute als die „natürlichen Alliierten der Europäischen Gemeinschaft” fühlen dürfen, beklagen sie zugleich die Süderweiterung der EG (Griechenland, Portugal) in der nicht unbegründeten Sorge um eine gebührende Berücksichtigung ihrer Wünsche um Mitwirkung bei den Gesetzesinitiativen der EG.

Denn bislang ist die gestaltende Mitwirkung von EFTA-Staaten an sie betreffende Maßnahmen der EG (etwa die derzeit diskutierte Produkthaftung) durch die sogenannte „Entwicklungsklausel” nur höchst unzureichend gedeckt.

Weder besteht beispielsweise für den EFTA-Staat Österreich ein Anspruch auf Verhandlungen über Probleme, die im beiderseitigen wirtschaftlichen Interesse liegen, noch wird Österreich die darüber hinausgehende Teilnahme an den EG-internen Beratungen zugestanden. Meist gelingt es Österreich erst (und oft im letzten Augenblick) im Vorfeld der EG-Verhandlungen eigene Auffassungen in EG-Abkommen unterzubringen.

Allerlei Projekte werden unter europäischem Namen vorgetragen, um guten Willen zur Integration zu demonstrieren. Geht es freilich konkret um Bier, Wein, Schuhe und Textilien, so werden nationale Interessen mit Klauen und Zähnen verteidigt.

Mit 1. August 1980 werden erst die Zollschranken für die meisten von der EG gegenüber Österreich „sensibel” erklärten Waren wie beispielsweise Ferrolegierungen, verschiedene Edelstahle und künstliche Spinnfasern fallen. Die Zollbelastung bei Papier und Papierwaren wird erst 1984 völlig abgebaut.

Dieser äußerst langsame Zollabbau zwischen dem EFTA-Land Österreich und der EG behindert den Warenverkehr erheblich, doch die EG erhebt auch bei Uberschreiten bestimmter Liefermengen, sogenannter „Plafonds”, auf Antrag nur eines Mitgliedsstaates den vollen Drittzoll.

„Nach österreichischer Ansicht”, so Friedrich Gleissner von der Außenhandelsorganisation der Bundeskammer, „entspricht weder die Höhe des Richtplafonds dem tatsächlichen Warenverkehr unter Freihandelspartnern noch ist mit dem Geist des Freihandelsabkommens vereinbar, daß solche Anträge meist von EG-Mitgliedsstaaten gestellt werden, die durch die österreichischen Lieferungen gar nicht berührt werden.”

Es knistert und kracht heute im düsteren Europa bau. Die Europabegeisterung der fünfziger Jahre ist einer gewissen Agonie gewichen. Frankreichs Staatspräsident Giscard d'Estaing meint tröstend: „Die Ungeduld ist die Feindin der Zukunft.”

Das wirtschaftliche Beziehungsgeflecht zwischen den (west-)europäi-schen Staaten hat sich dennoch in den Dezennien seit der Gründung der EG und der EFTA außerordentlich verdichtet.

Dichte Außenhandelsbeziehungen allein sind freilich kein Ausdruck einer harmonischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Hinter diesem Tatbestand können sich auch recht einseitige nationale Vorteile verbergen.

Bei ihrer Gründung mußte sich auch die EFTA diesem Vorwurf aussetzen. Dafür wurde der Begriff „Rosinentheorie” geprägt. Danach sei eine Assoziierung entwickelter europäischer Industriestaaten für die E(W)G von Nachteil, weil sie den Assoziierten die gleichen ökonomischen Vorteile wie den EG-Mitgliedern verschaffen würde, ohne ihnen auch die entsprechenden Verpflichtungen aufzuerlegen.

Diese „Rosinentheorie” wurde nicht bestätigt. Dafür sprechen zahlreiche autonome EFTA-Integrationserfolge:

• Die Gründung und das Wirken der EFTA führte zu keiner Abkapselung der EG-Länder, sondern förderte im Gegenteil die Zusammenarbeit in einem Europa der Vielfalt.

• Der „nordische Markt” (Schweden, Norwegen, Finnland und auch Dänemark) wurde innerhalb der EFTA verwirklicht.

• Finnland wurde durch die EFTA die Möglichkeit einer Verbindung mit West- und Mitteleuropa eröffnet.

• Für Portugal wurde ein Industrieentwicklungsfonds geschaffen, aus dessen Mitteln die Errichtung und Modernisierung vor allem kleinerer und mittlerer Betriebe des privaten und öffentlichen Sektors finanziert werden.

• Schließlich hat das heute erreichte Freihandelssystem wirtschaftliche Normen und Realitäten geschaffen, die planwirtschaftlichen Tendenzen gewisse Grenzen setzen.

Zwanzig Jahre alt und ein wenig müde geworden zieht sich die EFTA heute immer mehr auf die Verwaltung und Kontrolle des Freihandels zurück. Ihre souveränen und autonomen Mitgliedsstaaten wollen insbesondere aus neutralitätspolitischen Gründen keine „gemeinsamen” integrationspolitischen Schritte setzen. Dementsprechend gering mußte der EFTA-Beitrag zur Einigung Europas bleiben, zumal er sich fast ausschließlich auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkte.

Zum ersten Mal anläßlich des Wiener EFTA-Gipfels vom Mai 1977 äußerten die EFTA-Politiker eine gewisse Bereitschaft, über den engen Freihandelshorizont hinauszudenken, sich zur Ausweitung der Zusammenarbeit zwischen den EFTA-Staaten und der EG zu bekennen.

Dieser Blick über ein „Europa der Schrebergärten” hinaus ist heute eine der Voraussetzungen für den Fortbestand der EFTA als Gestalterin des Freihandels. Dazu ist es notwendig, daß die Mitgliedsstaaten das Prinzip der eigenen Souveränität nicht opportunistisch je nach Bedarfsfall auslegen, sondern auf eine grundsätzlich dem Freihandel und der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verpflichteten Souveränität ausweiten.

Die europäische Einigung besteht nicht in irgendeinem „in sich geschlossenen Gedankengebäude” (Robert Schuman) oder in einer „Formel, um die festgegründeten Einheitender Staaten und Völker miteinander zu verschmelzen” (Charles de Gaulle), sondern in den konkreten Ergebnissen europäischer Zusammenarbeit auf der Grundlage der Freiwilligkeit und der Gleichberechtigung.

„Europäische Einigung”, so einer ihrer geistigen Väter, Robert Schuman, „läßt sich nicht auf einmal schaffen”, sondern wächst langsam mit jeder gemeinsamen Tat. Zwanzig Jahre nach ihrer Gründung wird die EFTA und ihre sieben Mitgliedsstaaten partnerschaftliche Aktionen im Rahmen und im Dienste der europäischen Einigung setzen müssen.

Falls die EFTA-Staaten das Freihandelsabkommen als den Abschluß einer Politik betrachten und der weiteren Entwicklung der EG mit Interesse, aber untätig zusehen, im übrigen aber - auf Kosten anderer - den „Sonderfall” Schweiz, Schweden, Österreich, Finnland, Portugal, Norwegen und Island zelebrieren, so dürfte sich die Position der EFTA und die ihrer Mitgliedsstaaten bedeutend schwächen.

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