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Baumim Blätterwald

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„Ich bin wie Sie für eine freie Presse. Nur die Zeitungen kann ich nicht ausstehen."

Ein Dialog in Tom Stoppards Drama „Night and Day". Wie viele haben an dieser Stelle schon gelacht! Aber es handelt sich um ein ernstes Dilemma. Ein Grundsatz ist immer hübscher als seine Konkretisierung.

Freiheit ist süß. Freie Zeitungen können scharf, bitter, ätzend sein. Erst im (zugelassenen) Mißbrauch wird bisweilen die Größe der Medienfreiheit sichtbar. Noch einmal Stoppard:

„Drecksjournalismus ist der beste Beweis für eine Gesellschaft, in der wenigstens eines in Ordnung ist - daß es niemanden gibt, der die Macht hat, zu bestimmen, wo der verantwortliche Journalismus beginnt."

Wo beginnt er wirklich? Viele rufen uns zu: „Wo ihr der Wahrheit dient!"

Wahrheit ist ein großer Anspruch. Von Egon Erwin Kisch schrieb Alfred

Kantorowicz: „Er spürte der Wahrheit nach, und er fand sie nicht an der Oberfläche."

Wahrheit ist etwas Objektives, Unwiderlegbares, Endgültiges. Zeitungen werden für den Tag, für die Woche, für das Argumentieren, für das Bewiesenwerden und für das Widerlegtwerden geschrieben.

Wahrheit besteht aus tausend Aspekten. In der Zeitung ist bestenfalls für hundert oder auch nur ein Dutzend davon Platz. Das bedingt Auswahl, Lichtung, Sichtung.

Auswahl ist subjektiv. Wahrhaftigkeit ist, zum Unterschied von Wahrheit, auch subjektiv: Bemühen um das, was nach bestem Wissen und Gewissen des Auswählenden dem hier und heute als wahr Erkannten am nächsten kommt.

Kardinal König hat die katholischen Journalisten schon 1968 auf dem Weltkongreß der katholischen Presse in Berlin auf die Wahrhaftigkeit, nicht auf die Wahrheit, verpflichtet. Wir werden es ihm immer danken.

„Wenige Berufe erfordern so viel Energie, Hingabe, Lauterkeit und Verantwortungsbewußtsein wie dieser, und es gibt wenige Berufe, die einen ähnlich großen Einfluß auf die Geschicke der Menschheit haben," erklärte Papst Johannes Paul II. zum 14. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel vor sieben Monaten.

Kommen die Journalisten der FURCHE diesem hohen Moralerfordernis nach? Mehrere Zeitungen haben heuer den 35. Jahrestag ihrer Gründung gefeiert. Da und dort hat eine die Gelegenheit zu absatz-, spalten- und seitenlangen Selbstbeweihräucherungen wahrgenommen.

Viele haben die Nase davon voll. Wir gestehen lieber: Nein, es mangelt uns, wohin man schaut. Vieles müßte besser, überzeugender, glaubhafter noch sein.

Deshalb wollten wir diese Jubiläumsausgabe auch nicht zu eitler Nabelschau mißbrauchen. Sie ist einem Thema gewidmet, das in die Zukunft des Zeitalters der Massenkommunikation weist. Eine Zukunft freilich, die rund um uns bereits begonnen hat.

Vielen von. uns sind Fernsehprogramme auch der Nachbarstaaten schon zur Gewohnheit geworden. Kommunikationssatelliten werden uns in wenigen Jahren die große Welt in die gute Stube bringen.

Zuvor noch vermutlich wird Fernsehen mehr Nahsehen bedeuten: Kultur, Wirtschaft, Politik und Sport, wie sie gleich um die Ecke passieren. 30 TV-Kanäle zur Auswahl pro Abend sind technisch möglich geworden.

Dazu kommt die Schriftinformation via Fernsehschirm: Teletext und Bildschirmtext zunächst noch als eine Art Versuchsprogramm, bald schon alltägliche Selbstverständlichkeit.

Die Bildplatte, oftmals angekündigt, schickt sich ernsthaft an, den Markt zu erobern. Die Bildkassette geht ihr, anders als im bloßen Tonbereich, diesmal voraus. Der Videorekorder, heute noch Privilegbesitz in jedem 100. Haushalt Österreichs, wird zum Gemeingut und zum Wegbereiter werden.

Naheliegende Frage: Ist die Jubiläumsbeilage der FURCHE ihrer tödlichen Konkurrenz gewidmet?

Alle Experten prophezeien: nein! Die elektronischen Kommunikationsmittel haben die gedruckten bisher nicht vertrieben - sie werden es auch in Zukunft nicht tun.

Weder das Radio noch die Schallplatte sind an die Stelle der Zeitung getreten. Schon gar nicht das Fernsehen: seit es dieses gibt, sind die Auflagen der Zeitungen gewachsen (in Österreich von 1,2 Millionen Tageszeitungsexemplaren 1957 auf 2,5 Millionen 20 Jahre danach)! Und auch das Kino wurde vom Fernsehen nicht verdrängt.

Freilich: Kinos müssen heute anders aussehen als vor 20 Jahren, wenn sie bestehen wollen. Zeitungen auch. Die erste Welle der Fernsehexplosion hat Bilder und Farbe (im mehrfachen Sinn) in die Zeitungen gebracht und vor allem auch die Lokal- und Regionalpresse blühen lassen. Die zweite Phase, das regionale und lokale Fernsehen, wird auch diese Zeitungen zur Umstellung zwingen.

Die gedruckten Medien werden bleiben. Aber nicht jede Zeitung wird bleiben. Wie in der Vergangenheit, wird es auch in der Zukunft darauf ankommen, die richtige Zeitung für das richtige Publikum zu machen.

Ist die FURCHE die richtige Zeitung? Das müssen die Leser beurteilen. Aber eins glauben auch Herausgeber und Redaktion zu wissen: daß vom Konzept her gerade eine Zeitung wie die unsere eine gute, eine im Vergleich zu heute sogar noch bessere Chance haben müßte.

Denn die Informationsflut, die uns schon heute zudeckt und deren Wogen morgen schon um ein Vielfaches noch höherschlagen werden, verwirrt und ängstigt viele Leser. Wer hat recht? Was steckt dahinter? Wohin geht die Reise?

Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Die FURCHE möchte der Baum im Blätterwalde sein.

Die FURCHE möchte helfen, die tausend Informationssteinchen, die Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und neue Medien liefern, zum Mosaik zusammenzubauen. Damit erkennbar wird, was sich hinter vordergründigen Ereignissen tendenziell ereignet. Damit man erahnt, wie Geschichten zu Geschichte werden.

Ein Vorhaben, das zur Demut zwingt, will man nicht dem Größenwahn verfallen. Deshalb legen wir auf kritische Wegbegleitung durch die Leser großen Wert. Wir müssen nicht immer recht haben. Leserbriefschreiber auch nicht. Aber im gemeinsamen Dialog eröffnet sich die Chance zum gemeinsamen Weiterschreiten.

Ob wir diesen Dialog im Geist des unvergessenen FURCHE-Gründers Friedrich Funder gestalten, müssen wieder Freunde und Leser selbst entscheiden. Deshalb haben wir sein FUR-CHE-Testament auf dieser Seite wieder einmal abgedruckt. Was verlangt es von uns?

Eine „klare katholische Gesinnung". Wir bemühen uns darum. Wir tarnen nicht den weltanschaulichen Boden, aus dem die Zeitung wächst. Aber auch nicht dessen Unebenheiten, Steine, Dornen und Gestrüpp. Wir sind ein Teil davon.

„Zusammenarbeit aller gläubigen Christen": wieder so ein Kolossalvorhaben - leicht verkündet, mühsam nur getan. Vielleicht hilft ein Wort, das Robert Masson, Chefredakteur von „France catholique", heuer beim Rom-Kongreß der Katholischen Weltunion der Presse sagte:

„Der Gläubige ist kein Gerechter, sondern ein Gerechtfertigter; ein Mensch wie jeder andere, der nicht die Berufung zur Unschuld, jedoch die Berufung zum Verzeihen hat."

„Strenge Unabhängigkeit von jeder politischen Partei": Funder hat gewußt, was er schon als „Reichspost"-Chefredakteur dieser von ihm schon damals erkämpften Unabhängigkeit zu danken hatte. Sie ist uns soviel wert wie ihm.

Aber Unabhängigkeit heißt nicht

Abstandsgleichheit. Unsere Freunde in der Politik sollen sich von uns nicht verlassen fühlen, wo immer sie stehen.

Nicht in allen Parteien stehen ihrer gleich viele. Alle können sie auf unsere Unterstützung zählen. Manchmal ist Kritik, im brüderlichen Ton geäußert, der beste Freundesdienst. Wenn der Ton mißlingt, sind wir darauf nicht stolz, sondern bedauern es.

Und dann hat uns der Gründer angehalten, „mutig stets zu einem freien Wort bereitzustehen, wo es gilt, Träge, Kurzsichtige in den eigenen Reihen zu

Aktivität und Vorwärtsschreiten anzuspornen."

Das ist besonders schwer, weil es besonders leicht mißverstanden wird. Wer ist träge, wer kurzsichtig? Einmal die anderen, einmal wir. Da heißt es häufig, sich zusammenzustreiten.

Wichtig ist, daß dies in versöhnlichem Geist geschieht. Und in dem Bewußtsein, daß Leben „Vorwärtsschreiten", niemals Stillstand ist. Daß es aber mehr auf die Richtung ankommt als etwa auf das Tempo.

Wohin der Weg geht? Ja, gewiß, in die Fülle der Zeit für einen jeden von uns, die wir gerufen sind, ob wir hören wollen oder nicht.

Aber auch und nicht zuletzt auf ein gesellschaftliches Ziel (genauer: auf noch und noch ein Zwischenziel) hin, von dem der Chefredakteur gerne einräumt, daß diesem ein sehr persönliches, überzeugt vertretenes, aber nicht von allen geteiltes Bekenntnis gilt:

Es gibt nicht nur eine Vollendung des einzelnen. Auch die Menschheit als ganzes hat den Auftrag, die Möglichkeit, die Chance (nicht die Gewißheit), besser, gerechter, menschlicher, gottnäher zu werden: auf dieser „schmerzerfüllten, dramatischen, großartigen Erde", auf die Paul VI. in seinem Testament noch einmal die Güte Gottes herabgerufen hat.

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