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Baumschützer als „nützliche Idioten“

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Jahrelang haben Wiens Naturschützer mehr Schonung für den immer ärger dezimierten Baumbestand gefordert. Jetzt gibt ihnen der neue Bürgermeister Leopold Gratz mehr, als sie zu hoffen wagte.

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Jahrelang haben Wiens Naturschützer mehr Schonung für den immer ärger dezimierten Baumbestand gefordert. Jetzt gibt ihnen der neue Bürgermeister Leopold Gratz mehr, als sie zu hoffen wagte.

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Ein eigenes Baumschutzgesetz soll künftig Wiens grüne Lungen schützen. Bis zu 500.000 S Strafe droht von nun an den Baummördern. Muß da nicht jeder, dem die Erhaltung der Grünflächen am Herzen liegt, begeistert zustimmen? Dennoch will sich nach all dem, was bisher über den neuen Gesetzesentwurf bekannt wurde, die Freude nicht recht einstellen. Es enthält allzu viele Ausnahmebestimmungen; gewiß sind solche in einem gewissen Umfang notwendig, denn selbst der fanatischeste Naturschützer muß einsehen, daß Bäume nur dann gefällt werden müssen, wenn diese die physiologische Altersgrenze erreicht haben oder wenn die körperliche Sicherheit oder fremdes Eigentum gefährdet sind. Nur: Wer befindet darüber? Die „zuständige“ Magistratsabteilung? Verfügt sie wirklich über unabhängige und unbefangene Experten, um zu objektiven Feststellungen zu gelangen?

Sicherlich müssen Bäume auf gesetzmäßig geschaffenen Bauplätzen gefällt werden, wenn deren Bebauung sonst ausgeschlossen wäre, gewiß auch gibt es Projekte, an denen das öffentliche Interesse größer ist als an der Baumerhaltung. Nur: Wenn Baaplätze wie bisher geschaffen werden und das öffentliche Interesse gleichfalls nicht anders als bisher definiert wird, was hilft uns dann das ganze Baumschutzgesetz?

Die Cottage-Baugesellschaft hätte mit der Massenexekution von Bäumen auf dem Sternwarteplatz ruhig noch warten können, das neue Gesetz hätte sie nicht daran gehindert: Die Bäume standen auf einem gesetzmäßig geschaffenen Bauplatz, dessen Bebauung im vorgesehenen und behördlich genehmigten Rahmen ohne ihre Beseitigung nicht möglich ist. Wozu also die ganze Aufregung und Empörung?

Auch die Errichtung eines Universitätsinstituts im Stemwartepark würde das Gesetz nicht verhindern. Denn dieses ist ein Projekt von öffentlichem Interesse, das das Interesse an der Baumerhaltung zweifellos überwiegt. Es kommt eben immer nur darauf an, Projekte im öffentlichen Interesse dort zu planen, wo Bäume stehen, die man auf gute Art loswerden will.

Doch halt, ein Unterschied ist doch: Wer immer einen'Baum fällt, ist zur Vornahme einer Ersatzpflanzung im Umkreis von 300 m verpflichtet, oder er muß, wenn dies nicht möglich ist, eine Ausgleichsabgabe an den Magistrat entrichten, der dann eine Ersatzpflanzung anderswo vornehmen wird.

Wer aber kontrolliert diese Pflanzung, wer garantiert, daß nicht zehn Ausgleichsabgabenzahlern auf Verlangen immer der gleiche, neu gepflanzte Baum gezeigt wird, wie stellt man fest, ob es sich nicht um Baumpflanzungen handelt, die der Magistrat auf alle Fälle durchgeführt hätte? Das einzig wirklich Neue ist: Für den kommunalen Fiskus wird eine neue Einnahmequelle erschlossen. Alles andere bleibt vage. Es fragt sich, wer da eigentlich gepflanzt wird. Wirklich nur die Bäume?

Wird das Ganze nicht darauf hinauslaufen, daß man den Schrebergärtner, der sein Stückchen Land umgestalten und dabei ein oder zwei Bäume fällen will, Prügel in den Weg wirft, und dieser sein Vorhaben sogar dann, wenn er die Genehmigung erwirkt, fallenlassen muß, weil ihm die Ausgleichsabgabe für Neupflanzungen zu hoch ist, während die großen Baugesellschaften als eigentliche Baumvernichter weiterhin tun können, was sie wollen? Für sie ist die Abgabe, gemessen an den gesamten Kosten eines Projekts, eine Bagatelle, die man in der Endabrechnung kaum noch bemerkt.

Fazit: Es bleibt, abgesehen von ein paar Schikanen für den kleinen Privaten und einigen zusätzlichen Einnahmen für den Fiskus, alles beim alten. Auf die Gefahr hin, zum Nörgler gestempelt zu werden, muß es ausgesprochen werden: Das Baumschutzgesetz ist Augenauswiseherei, eine charmante gewiß, deshalb aber nicht weniger nutzlos.

Was nützt das strengste Baumschutzgesetz, wenn gesetzmäßige Bauplätze mitten hinein in die schönsten Baumbestände geschaffen und Verbauungspläne bewilligt werden, die ohne radikale Baumbeseitigung nicht durchführbar sind? Derlei hätte sich aber schon mit Hilfe der bestehenden Gesetze verhindern lassen, wenn es jene Behörden gewollt hätten, deren Ermessen der Baumschutz anheimgestellt werden soll. Bei deren sattsam erwiesener Einstellung zu diesem Problem sind daher nur Alibihandhingen in nebensächlichen Fällen zu erwarten.

Wäre der Baumschutz ernst gemeint, so müßte in erster Linie die Entscheidungskompetenz dem Magistrat, der nur allzuoft Partei ist, weil es sich um ein eigenes Bauvorhaben oder um eines einer nahestehenden Organisation handelt, entzogen und einem unabhängigen Gremium überantwortet werden. Weniger wäre mehr gewesen. Eine neue Mentalität der Behörden wäre effizienter als alle Baumschutzgesetze.

Was aber an dem Gesetzentwurf besonders verstimmt, ist nicht nur seine Wirkungslosigkeit, sondern daß sein deklarierter Zweck ganz offenkundig nur ein Deckmantel für ganz andere Ziele ist: Unter dem Vorwand des Baumschutzes werden dem Magistrat neue, massive Interventionsmöglichkeiten auf dem Bauland zugeschanzt. Projekte mißliebiger Bauwerber können ad absurdum geführt werden, indem man ihnen durch Auflagen hinsichtlich der Baumerhaltung jede sinnvolle Verbauung unmöglich macht. Sobald sie aber notgedrungen an einen den Behörden genehmen Bauwerber verkauft haben, überwiegt bei dessen Plänen plötzlich das öffentliche Interesse, und die bisher unnachsichtig verteidigten Bäume und Baumgruppen dürfen auf einmal wegrasiert werden. Wem dieser Fall unwahrscheinlich erscheint, der informiere sich einmal, was sich schon bisher gelegentlich bei Baugenehmigungen und Flächenwidmungsänderungen abgespielt hat.

Die Naturschützer werden, indem man ihre berechtigten Forderungen mit einem verbal effektvollen, aber praktisch — was den Naturschutz anlangt — wirkungslosen Gesetz abgespeist, das de facto ganz anderen Zwecken dient, in die Rolle von „nützlichen Idioten“ — um mit Lenin zu sprechen — gedrängt, die sich brav vor den Karren der Parteipolitik spannen lassen, ohne zu erkennen, wofür ihre wohlgemeinten Absichten mißbraucht werden. Von einem Baumschutz, der unter solchen Auspizien steht, ist wenig zu erwarten.

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