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Bayern im Wahlkampf

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Wer dieser Tage in Bayern zum morgendlichen Kaffee sein Radio aufdrehte, wurde Zeuge folgender Plauderei: Ein Familienvater — wohltemperierter Baß in oberbayrischer Mundart — stellt kategorisch fest: „Wir lassen uns unser weiß- blaues Paradies nicht von den Roten in Gefahr bringen”. Die Tochter — zungenfertiges Hochdeutsch mit fränkischem Akzent — entkräftet eine Drohung von links: „Was die über Frauenemanzipation erzählen, ist sowieso alles leere Versprechung”. Und die Mutter — unverkennbar aus Schwaben stammende Hüterin der Penaten — blockt rundum ab: „Ich will gar keinen Fortschritt.” Darauf ihr Mann: „Weil wir den eh schon harn.”

Diese Wablsendung der CSU in ihrem Gemisch aus ungetrübtem Selbstbewußtsein, augenzwinkem- dem Schmunzeln über die eigenen Schwächen und kämpferischer Pau- schal-Erledigung der Gegner ist kennzeichnend für den Propagandastil, ln dem die mit 120.000 Mitgliedern stärkste Partei Bayerns die Landtagswahlen vom 2. Oktober vorbereitet. Daß die absolute Mehrheit wieder erreicht wird, darüber bestehen nicht nur bei der CSU, sondern auch bei den anderen Parteien kaum ernsthafte Zweifell Fraglich ist nur der Grad der Abweichung des 56,4prozentigen Anteils, der 1970 zustande kam. Die im Laufe von 17 Regierungsjahren allmählich fortschrittlicher gewordene CSU-Politik, die anerkannte Integrations- und Repräsentationsfähigkeit des 69jährigen Ministerpräsi denten Goppel und die insgesamt recht populäre Schul- und. Umweltpolitik der beiden Minister Maier und Streiibl schaffen einen Regierungs-Bonus, den die Wähler instinktiv berücksichtigen werden. Affären wie die um den Staatssekretär im Kultusministerium Lauerbach, der seine Beraterfunktion bei einigen pleitegegangenen Touristikinvestment-Gesellschaften schlicht „vergessen” hatte, dürften dagegen nicht stark ins Gewicht fallen. Ernster zu nehmen sind Reaktionen auf die nicht überall glimpflich verlaufene Landkreis-Reform, örtliche Rankünen und interne Streitigkeiten, wie etwa im Bezirksverband Mittelfranken.

Überlagert werden jedoch diese regionalen Belange von Motiven aus der Bundespolitik, mit denen der Landesvorsitzende seine Landsleute programmiert. Das Plakat „Strauß spricht” ist Garant für überfüllte Säle. Und wer den — nach Meinung des SPD-Landesvorsitzenden — „alt und böse gewordenen Elefanten” nicht hören kann oder will, der liest wenigstens an den Litfassäulen seinen Merksatz: Bei den Landtagswahlen geht es „um mehr als um die Zusammensetzung eines Parlamentes. Es geht um das Schicksal Deutschlands und Europas”.

Dieser massiven Selbstdarstellung der CSU gegenüber hat die SPD, die 1970 in Bayern einen Wähleranteil von 33,3 Prozent erreichte, einen harten Stand. Ausgerüstet mit einer mittelprächtigen Propagandamaschinerie, unternimmt sie den Versuch, der Staatsregierung wachsende Arbeitslosigkeit in den Grenzgebieten, überfüllte Schulklassen und das Fehlen eines Landesentwicklungsprogramms anzulasten und demgegenüber ihr lOOseitiges Altemativ- Programm herauszustreichen. Trotz des erwarteten schlechten Abschneidens in München, wo erst kürzlich wieder die dubiose Vergabepraxis von Aufträgen im Stadten’twick- lungsreferat und Äußerungen des „Linksaußen” Geiselberger Wellen geschlagen haben, rechnen die Sozialdemokraten mit einem Zuwachs in Niederbayern, der Oberpfalz und in gewissen fränkischen Gebieten. Bürgermeisterwahlen im nördlichen Bayern haben kürzlich gezeigt, daß die SPD nicht überall mit der schlechten Münchner Elle gemessen werden kann. Aber die bayrischen Sozialdemokraten haben sich in ihrer Wahlstrategie insgesamt doch wohl selbst zu stark von München beeinflussen lassen. Es ist nämlich nicht zu verkennen, daß auch ihr Matador Vogel in den Parteiquerelen der Landeshauptstadt Federn gelassen hat. Und trotzdem hat man — wohl auch im Hinblick auf das per sonell wenig überzeugende Schattenkabinett — die Propaganda einseitig auf den von Strauß als „Gastarbeiter und Blitzer aus Bonn” apostrophierten Landesvorsitzenden ausgerichtet. Das in allen Variationen wiederholte Leitthema: „Bayern braucht Dr. Vogel, den Mann, der zupackt und entscheidet” zündet nur mäßig.

Die FDP schließlich hat sich aus Paritätsgründen propagandistisch ebenfalls am Tierreich orientiert. Unter dem Motto „Bayerns Löwenherz” sind der Landesvorsi’tzende Erti und die Fraktionsvorsitzende Hildegard Hamm-Brücher angetreten, um die absolute Mehrheit der CSU zu brechen. Wegen des Wegfalls der 10-Prozent-Hürde, die sie in früheren Wahlen in mindestens einem Regierungsbezirk überspringen mußten, ist ihr Wahlkampf zwar etwas leichter geworden. Aber das in Bayern höchst unpopuläre Kirchenpapier des Hamburger Parteitags, die wachsenden Bauernunruhen und auch die zwielichtige Position zur SPD, die von fester Koalitionszusage bis zu Androhungen des „Ledigbleibens” reicht, sind Elemente, die einen stärkeren Zuwachs über die 1970 erreichten 5,5 Prozent unsicher machen.

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