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Bayern verbrüdert

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Die Bayern haben schon vor tausend Jahren begonnen, Österreich zu kolonisieren und richtig zu gründen. Und die Österreicher versuchen seither umgekehrt, Bayern zu erobern und zu kultivieren — kurzum: gegenseitige Bemühungen, die jeweils auf der anderen Seite mit Volksaufständen gedankt wurden. Darum gehen Bayern und Österreicher erst recht von der Uberzeugung aus „die kenn ich!“ und halten es für völlig überflüssig, noch auf die anderen hinzuhören oder gar Bildungsreisen zueinander zu veranstalten.

Solange sich Bayern und Österreicher nur bei jeder Gelegenheit privat angerempelt haben, was letztlich oft bei bier- oder weinseligen Versöhnungsorgien oder noch öfter in Mischehen geendet hat, solange war grenzüberschreitende Aufklärungsarbeit überflüssig. Schließlich lagen sich ja die Regierungen Bayerns und der angrenzenden österreichischen Bundesländer in schönster CSU-ÖVP-Verbundenheit jahrzehntelang innig in den Armen — gleichgültig, was die jeweiligen Landsleute voneinander hielten. Erst seit die Rivalitäten auf die RegierUngsebene übergegriffen haben, müssen auch die Untertanen systematisch auf Konflikte vorbereitet werden, die ihnen seit Jahrhunderten bestens vertraut sind.

Erschwerend kommt aber noch hinzu, daß die Bayern auch ihre deutschen Nachbarn im Norden und Westen viel besser kennen als jeder Österreicher. Darum wollen sie auch von denen möglichst wenig wissen — ist ja auch selten was Neues dabei. Der Bayer kann im Prinzip weder Österreicher noch Preußen ausstehen, eher noch Österreicher. Aber der Bayer kennt keine Vorurteile. Er kennt nur aufrichtiges Mitleid mit sich selber, weil er unter allen Fehlern und Schwächen der Deutschen und der Österreicher gleichermaßen zu leiden hat. Wenn Bayern jetzt selbst auch noch Fehler und Schwächen hätten, wäre es fast nicht mehr auszuhalten.

Dafür verbindet der Bayer in sich viele gute Eigenschaften, die es ja bei Deutschen wie Österreichern auch gibt. Er aber bringt sie zur vollen Entfaltung. Völkerkundler haben mit Recht längst festgestellt: Der Bayer ist die geglückte Mischung aus preußischem Charme und österreichischer Disziplin. Das ließe sich beliebig ausweiten. Bayern drücken sich so präzise aus wie Österreicher, erreichen aber in der Aussprache ohne weiteres auch die Schärfe von Preußen. Bayern sind so konfliktfreudig wie Preußen, aber nach dem Krach auch wieder so kompromißfähig wie Österreicher. Die Enttäuschung darüber, daß einem ausgerechnet deutschsprachige Verwandte oft unversehens in den Rücken fallen, muß der Bayer sogar nach zwei Richtungen verkraften. Ja, in manchen Situationen fallen den Bayern die Österreicher und die Preußen gleichzeitig in den Rük-ken. Das schmerzt!

Kritisiert, angeschnauzt und von oben herab behandelt fühlt sich Bayern meist von Wien geradeso wie von Bonn. Nur von Bonn öfter. Vor allem, wenn ein Bayer gescheiter ist als ein Deutscher oder ein Österreicher, wird ihm dies als ungeheuerliche Unverfrorenheit ausgelegt und verübelt. Dabei kommt das praktisch täglich vor. Während es richtig ist, daß Deutsche und Österreicher sich gegenseitig verwirren, wenn sie sich nicht streng ans gegenseitige Klischee halten, sondern untypisch auftreten, reagiert der Bayer sofort positiv: Dankbar verbrüdert er sich mit allen, die nicht so schlimm sind, wie er es eigentlich erwarten mußte.

Verlorene Kriege können einen Bayern nicht mehr aufregen, geschweige denn von seinen Verbündeten enttäuschen. Schließlich hat Bayern schon jahrhundertelang keinen Krieg mehr für sich allein geführt, sondern ist abwechselnd von den Franzosen, Österreichern und Preußen mit in den Krieg gezogen worden.

Trotz unglaublicher Tapferkeit waren die Bayern wegen mangelnder Ausstattung mit Kriegsmaterial und Verpflegung zufällig fast immer gerade bei denen, die am Schluß verloren haben. Aber daran kann man sich gewöhnen, es macht einen auch irgendwie beliebt, wenn man nicht dauernd gewinnen will. Ihr Sieg von 1866 bei Königgrätz über Bayern und Österreich hängt den Preußen heute noch nach. Andererseits war Bayern 1870/71 einmal bei den Siegern — ohne Österreicher, mit den Preußen —, gegen die Franzosen nämlich. Aber das war fürchterlich: Bayern hat dabei mitten im Jubel weitgehend seine Souveränität verloren, während Deutschland einen preußischen Kaiser gewonnen hat.

Der Verlust der Souveränität hat nämlich für die Bayern auch noch eine andere verheerende Folge: Sie können die Preußen im Ernstfall nicht einfach rausschmeißen wie die Österreicher, weil Bayern staatsrechtlich irgendwie zu Deutschland gehört. Um dieses Privileg beneidet Bayern die Österreicher besonders, was in der Praxis viele bissige Bemerkungen über die Souveränität des um drei Millionen Einwohner „kleineren“ Österreich erklärt.

Bayern ist wegen all dieser genauen Erkenntnisse über die geographische, politische und seelische Lage von Deutschen und Österreichern der einzige authentische Dolmetscher und Interpret dieser beiden Nachbarländer. Schließlich hätten diese ohne Bayern überhaupt keine gemeinsamen Grenzen — allenfalls noch mitten im Bodensee.

Der grundsätzlichen Feststellung der vorliegenden Studie, daß man durch klare Grenzen getrennt viel friedlicher zusammenleben kann, ist aus bayerischer Sicht vorbehaltlos zuzustimmen. Leider ist diese Voraussetzung für gute Nachbarschaft aber mit der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben, und gegenüber Österreich muß sie mit größter Wachsamkeit ständig verteidigt werden.

Aus „Brüder im Alpenglühn — Das große Versöhnungsbuch für Bayern und Österreicher“, das — von den drei Autoren gemeinsam verfaßt — in diesen Tagen im Verlag Droe-mer-Knaur, München, erscheint.

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