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Bedingt erkannt, falsch geliebt

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Die bemerkenswerteste Eigenheit Hugo von Hofmannsthals ist merkwürdigerweise seine Legende. Schon Hermann Bahr sprach von einer sagenhaften Figur, als er in „Zur Kritik der Moderne“ den mysteriösen Loris („es konnte nur ein Franzose sein“) vorstellte. Genauso unbestimmt ist das erste französische Porträt Hofmannsthal, der bei Edmond Jaloux ein „clubman aristocra- tique“ wird. Und gibt nicht heute noch die Vaterschaft eines „Rosenkavalier“, eines „Jedermann“ unserem Dichter einen konventionellen Anstrich? Trügerisch also diese allzu brillante Ausstrahlung Hofmannsthals….

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Die bemerkenswerteste Eigenheit Hugo von Hofmannsthals ist merkwürdigerweise seine Legende. Schon Hermann Bahr sprach von einer sagenhaften Figur, als er in „Zur Kritik der Moderne“ den mysteriösen Loris („es konnte nur ein Franzose sein“) vorstellte. Genauso unbestimmt ist das erste französische Porträt Hofmannsthal, der bei Edmond Jaloux ein „clubman aristocra- tique“ wird. Und gibt nicht heute noch die Vaterschaft eines „Rosenkavalier“, eines „Jedermann“ unserem Dichter einen konventionellen Anstrich? Trügerisch also diese allzu brillante Ausstrahlung Hofmannsthals….

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Beobachtet man die gesamte wissenschaftliche Kritik zu Hofmannsthal, so gruppiert sie sich um zwei Pole. In erster Linie bemühen sich die Kritiker, die Vielfältigkeit und den Reichtum des Werkes Hof- mamnsthals der Öffentlichkeit besser bekannt zu machen. Denn nur allmählich entdeckte das kultivierte Publikum (besonders in Frankreich) den wahren Hofmannsthal, den eigenständigen, österreichischen Dichter, den politischen Denker, und nicht mehr nur den Loris, den „Clubmann“, den Lieblingssekundus von Richard Strauss.

Es ist noch nicht so lange her, daß diese „erzklassische“ Hofmannsthal- Kritik angefangen hat. Das begann 1928 — ein Jahr vor dem Tod des Dichters — in Frankreich; Charles du Bos ließ einige erlesene Prosatexte Hofmannsthals (z. B. den „Brief des Lord Chandos“) übersetzen und schrieb selbst eine gleichrangige, il- lumierende Einleitung dazu. Bald nach dem Tod des Dichters kamen von deutscher Seite die Gedenkschriften M. Rychners, E. R. Curtius’, C. J. Burckhardts u. a. Aber nur der Französin Geneviėve Bianquis (in ihrer Doktorarbeit: „österreichische Dichtung von Hofmannsthal bis Rilke“) gelang es, die wahre Eigenheit der Dichtkunst Hofmannsthals .Juqa„ersten Mal wissenschaftlich zu enalsen. ‘

Neuere Publikationen wie die Bücher von G. Wunberg („Hofmannsthal im Urteil seiner Kritiker: Dokumente zur Wirkungsgeschichte“) und von Professor Dr. H. A. Fiechtner („H. v. Hofmannsthal: Der Dichter im Spiegel der Freunde“) verfeinern noch diese herkömmliche Perspektive. Beide Kritiker haben interessante Stellungnahmen wieder aufgenommen und an ihren Platz gestellt. Sie machen aus Hofmannsthals Werk ein Monument der Geistesgeschichte (z. B. was die Entstehung der europäischen Idee nach dem Ersten Weltkrieg betrifft), indem sie den politischen und kulturellen Hintergrund beleuchten. Solche Studien sollten durch Hofmanns th als Biographien vervollständigt werden. Es gibt aber nur wenige, wie z. B. das kleine Buch von Dr. W. Volke; um so bedenklicher ist es, daß es noch immer keine umfangreichere, vollständige Biographie gibt.

Die zweite Aufgabe der Kritik betrifft das Werk, als ein einzigartiges, eigenständiges Schönheitsobjekt. Tatsächlich schreibt jeder Dichter, auch wenn er nach historischer Größe und Würdigung strebt, nicht nur auf eine historische Problematik gerichtet. Er will vielmehr eine ewige Schönheit aufzeigen; er begründet seine persönliche Rhetorik: „Le style c’est l’homme“! In dieser Beziehung sind für die Kritik besonders die Briefwechsel und die Aufzeichnungen wichtig.

Von Hofmannsthal können wir bis jetzt nur einen geringen Teil des enormen Nachlasses (ca. 10.000 Briefe) lesen. Dieses Wenige hilft trotzdem, von seiner dichterischen Arbeit und Entwicklung eine bessere Kenntnis zu bekommen. Die neuesten, interessantesten Ausgaben sind die von H. Burger (Briefwechsel mit Harry Graf Kessler und Richard Beer-Hofmann). Auch die „Hof- mannsthal-Gesellschaft“ wurde zur Betreuung und Vervollständigung der Gesamtausgabe gegründet.

Die Übersetzungen sollten nicht unterschätzt werden. Leider herrscht auf dem französischen Sprachgebiet die ärgste Not. Außer den schon veralteten Übersetzungen des „Schwierigen“ („Lirrėsolu“ von P. Gėraldy),

des „Rosenkavalier“ und anderer der berühmten Opembücher (von J. Cantavoine), einiger ausgewählter Gedichte (von E. Couche de la Fert’ė) swurde nur „Andreas“ („Andreas et quelques autres nouvelles“) 1970 herausgegeben. Es ist natürlich erfreulich, daß dieser iso wichtige Romain den Nicht-Germanisten zugänglich ist. Aber im Vergleich zu Musil und Rilke (beide in französischen Gesamtausgaben erhältlich) leidet

Der dreißigjährige Hofmannsthal als Reserveleutnant bei den Ulanen

Hofmannsthal unter einer unbegreiflichen Vernachlässigung.

Die Sekundärliteratur über Hofmannsthal ist äußerst reichhaltig. Trotz dem konnte nie von einer „Hofmannstbal-Mode“ gesprochen werden, wie man etwa von der Kafka- oder (in Frankreich enthusiastischen) Musil-Entdeckung gesprochen hat. Auch nicht zu seiner Lebenszeit hat Hofmannsthal europäische Begeisterung entfesselt, wie man es bei Rilke beobachtet hat. Im Vergleich mit der deutschen Forschung bezeichnet sich die französische als genauere, unmittelbarere und meisterhaft ausgeprägte. Nie sieht, bei Brion oder bei David, Hofmannsthal „zerstückelt“ oder nebulös, wie bei manchen deutschen Kritikern, aus. Anderseits hat man selten so glücklich wie E. Kobel („Hugo von Hofmannsthal“) versucht, das Werk des Dichters von einem Standpunkt zu umfassen. Das ist: das Zeitmotiv, das Kobel als das Hauptthema des Hofmannsthalschen Schrifttums ansieht. Neben Kobel behandeln die meisten Kritiker entweder einzelnes Ausdrucksgebiet (z. B. das Theater in K. G. Esselboms „Hofmannsthal und der antike Mythos“ oder in M. E. Schmidts „Symbol und Funktion der Musik im Werk H. v. Hofmannsthals“) oder besondere Zeitperioden (am meisten die sogenannte „Präexistenz“ 1891-

1900 oder die Nachkriegsjahre 1920- 1929). Manchmal wird ein schwieriges psychologisch/dichterisches Problem angestrebt und… gelöst. Manfred Hoppe in seiner meisterhaften Studie „Literatentum, Magie und Mystik im Frühwerk Hofmannstbals“ rechtfertigt die von Hofmannsthal selbst genannte, typische „Stilverdrehung“ (siehe die ganze Problematik des Briefes des Lord Chandos): also die Haltung des überaus kultivierten Literaten, der unfähig wird, die Welt, die Natur und das Ich, ohne den verdächtigen Schutz der kulturellen „Anspielungen“ und einer gesamten ästhetischen Erziehung, zu fassen und in Verse zu setzen. Man weiß, wie dieser Umstand für die Schöpfung des Barocks so wie für die Hofmannsthals maßgebend ist. Man fragt sich dann, ob dieser Umstand nicht eine Bedingung für eine „österreichische“ Kunst im allgemeinen ist…

Gleichrangig ist das Buch P. C. Kerns („Zur Gedankenwelt des späten Hofmannsthals. — Die Idee einer schöpferischen Restauration“). Es analysiert die „österreichische Idee“, der letzlich Hofmannsthal all seine Kräfte, sein Genie gewidmet hat. Allerdings bleiben so großartige Werke wie „Der Turm“ oder „Andreas“ und die meisten Novellen von jeder Forschungsart sozusagen unangetastet. Doch würde z. B. eine Analyse des Verkleidungsproblems in den Novellen „Lucidor“ und „Die Frau ohne Schatten“ zusätzliche Aufklä rungen zum Verständnis der Opern geben.

Im Grunde genommen steht eine zweifache Frage in der Hofmanns- thal-Forschung offeh: Weshalb hat Hofmannsthal zu bestimmten Zeiten die eine oder andere literarische Form am liebsten verwendet? Was sollte das für Hofmannsthal heißen? Wie situierte er sich selbst in den Jahren der künstlerischen Wandlung 1913-1920?

Man hat die ausländischen schöpferischen Einflüsse auf den jungen Hofmannsthal registriert. Aber hat Hofmannsthal gleichseitig keine Schriftsteller (aus Österreich oder aus dem Ausland) beeinflußt? Welche sind die formalen öder philosophischen Beziehungen zwischen Hofmannsthal und anderen europäischen Vertretern der modernen Kunst? Hofmannsthal war Zeitgenosse Glaudeis, Pirandellos, Girau- doux’, Alban Bergs u. a. Blieb das ohne Folgen? Welches ist der eigentliche Platz Hofmannsthals unter den Romanautoren Proust, Joyce, Th. Mann, Svevo, Musil? Und unter den Lyrikern George, Rilke, Valėry, D’Annunzio, Eliot?

Daraus schließen wir: Hofmannsthal ist immer noch nur bedingt erkannt und falsch geliebt. Einer der feinsten und anmutigsten Beiträge zu Hofmannsthal, aber auch einer der zweideutigsten, ist H. Brochs „Hofmannsthal und seine Zeit“: es wäre schade, Hofmannsthal nur als den Dichter einer Welt von gestern zu betrachten: Hofmannsthal verdient mehr: er ist einer Aktualisierung, nach dem Sinn der modernsten liiteraturwissenschaftlichen Forschungstheorien, würdig! Wir warten weiter auf neue Auslegungen seines Werkes und neue wissenschaftliche Forschungen über seine Biographie.

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