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BEDROHTE EXISTENZ VON URVÖLKERN

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Die Chinesen sind in vielen Staaten Hinterindiens die Juden des Ostens. Wie beim Antisemitis- . mus richtet sich das Vorurteil nicht selten gegen imaginäre Chinesen.

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Die Chinesen sind in vielen Staaten Hinterindiens die Juden des Ostens. Wie beim Antisemitis- . mus richtet sich das Vorurteil nicht selten gegen imaginäre Chinesen.

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Die ethnische Vielfalt in Hinterindien und am malayischen Archipel ist selbst für Fachleute bisweilen verwirrend. Anders wäre die erfolgreiche Erfindung einer steinzeitlichen Gruppe wie der „Tasaday" auf den Philippinen gar nicht erklärbar. Die Weltsensation der Entdeckung von 24 Personen, die in einer abgelegenen Region der Insel Mindanao leben, fand selbst in der wissenschaftlichen Literatur ihren Niederschlag: Verhaltensforscher beschrieben ihre hastigen Eindrücke, eilig wurden die Höhlenbewohner in ethnographische Werke aufgenommen, rasch Monografien geschrieben. Heute zählt die „Entdek-kung" der „Tasaday" unter der Regierung von Ferdinand Marcos zu den größten Politschwindeln eines Diktators, die nur eines wirklich beweisen können: Mit Minderheiten läßt sich rasch politisches Kleingeld schlagen.

In den Staaten Südostasiens und dem malayischen Archipel leben neben den „staatstragenden" Völkern zahlreiche kleinere ethnische Gruppierungen, wobei deutlich unterschieden werden muß zwischen jenen Ethnien, die in unzugänglichen Regionen wie Bergen, Inseln oder im Regenwald leben, und jenen, die verstreut in Städten und Dörfern ihre Heimat gefunden haben.

Bekanntestes Beispiel für solch ein Bevölkerungssubstrat sind die Chinesen, deren Bevölkerungsanteil auf den Philippinen mit zwischen ein und zwei Prozent angenommen wird, die in Thailand zwischen sechs und zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen und in Vietnam mit ungefähr drei Prozent anzugeben sind.

Als Substrat in die Bevölkerung eingegliedert sind in einer Vielzahl asiatischer Staaten indische Gruppierungen, Nachfahren arabischer Einwanderer sowie Pakistani und Bengali.

Die meistens als Händlerund Handwerker tätigen Chinesen haben in vielen asiatischen Staaten nicht die Staatsbürgerschaft des Aufenthaltslandes. Sie sind gleichsam Fremde in ihrem eigenen Geburtsland und müssen stets damit rechnen, daß die antichinesische Einstellung der Bevölkerung so stark wird, daß sie das Land verlassen müssen. Die Pogrome in Indonesien sind deutlicher Ausdruck über das labile Beziehungsgeflecht, das noch zusätzlich belastet wurde, da die Chinesen als Kommunisten galten, die im Auftrag ihres Mutterlandes gegen die indonesische Regierung als fünfte Kolonne aktiv waren. Das Vorurteil gegen die Chinesen ist mancherorts derartig stark, daß die Menschen auch dann jede Gelegenheit nutzen, um über die ungeliebte Minderheit zu schimpfen, wenn im Ort selbst gar kein chinesischer Händler wohnt.

Eine der Ursachen für den Konflikt dürfte in unterschiedlichen Wertvorstellungen zu suchen sein: Gilt für den Malayen das glückliche Leben als hohes Ziel, so ist für den Chinesen der berufliche Erfolg wichtig. Das führt dazu, daß selbst in Städten, wo Chinesen ihre ursprünglichen Namen abgelegt haben, ihre Geschäfte reichhaltiger ausgestattet sind. Das größere Warenangebot zieht mehr Käufer an, was zum Unmut der anderen Händler führt.

In Java erhöhte ein chinesischer Automechaniker die Entlohnung seines angestellten Mechanikers. Sofort arbeitete der Mechaniker langsamer und schlechter als zuvor. Für den Chinesen ein unverständliches Verhalten. Mehr Geld als Anerkennung muß die Fortsetzung der Leistung bedeuten. Für den Malaien war durch die Lohnerhöhung klar geworden: Bis jetzt war er zu schlecht bezahlt worden, nun mußte er sich seine Mehrleistung zurückholen.

Über die in den Rückzugsgebieten lebenden Minderheiten wirklich Verbindliches zu sagen, ist unmöglich. Zu unterschiedlich sind die Lebensbedingungen. Gemeinsam ist ihnen allen, daß sie von den Zentralregierungen mit mehr oder weniger großem Mißtrauen betrachtet werden. Sie fügen sich nicht ein, sie entziehen sich staatlicher Kontrolle und sie sind vor allem wirtschaftlich uninteressant. Sie kaufen nichts von außen zu und wollen nichts verkaufen. So läßt sich grob gesagt behaupten: Leben Minderheiten in Gebieten, in denen es keine Bodenschätze gibt, nichts touristisch Interessantes erschlossen werden kann, keine Edelhölzer zu gewinnen sind, dann leben diese Menschen in relativer Ruhe. Zeigt sich jedoch, daß eines der traditionellen Siedlungsgebiete für den Zentralstaat nutzbar ist, dann wird der Druck von außen existenzbedrohend.

Mit dem Regenwald sterben die traditionellen Bewohner, das gilt für alle Staaten Südostasiens und des malayischen Archipels. So sind die Tage der Orang Kubu in Sumatra gezählt, das Überleben in Tradition der Bontoc und Igorots auf den Philippinen gefährdet; doch auch das Leben der Karen und der anderen Bergvölker in Birma und Thailand verläuft alles andere als gesichert: Teilweise sind die Ethnien derartig märginalisiert innerwirtschaftlichen Entwicklung, daß kein Ausweg gesehen wird, als in die Opiumproduktion einzusteigen. Außerdem verläuft in dieser Region Südostasiens der politische Grabenbruch zwischen den westlichen Interessen und der chinesischen Politik: Diese Spannungen haben sich für die Entwicklung eines friedvollen Miteinanders nicht als förderlich erwiesen. Leicht verdächtigt eine Gruppe die andere der politischen Kooperation mit dem Feind.

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