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Befremden über Vatikan-Entscheid

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In der Frage der Gesetzgebung der Unbeschuhten Karmelitinnen wurde der Wunsch der Mehrheit des Ordens übergangen, was 20 Jahre nach dem Konzil verwundert.

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In der Frage der Gesetzgebung der Unbeschuhten Karmelitinnen wurde der Wunsch der Mehrheit des Ordens übergangen, was 20 Jahre nach dem Konzil verwundert.

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Am 20. Oktober 1984 ist ein von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli am 15. Oktober 1984, dem Fest der hl. Teresa von Avila, der Gründerin des reformierten Kar-mel, unterzeichneter Brief in der Casa Generalizia Carmelitani Scalzi am Corso d'Italia 38 in Rom eingelangt. Aus dem Schreiben geht hervor, daß Papst Johannes Paul II. die Frage der zukünftigen und endgültigen Gesetzgebung der Unbeschuhten Karmelitinnen entschieden hat. P. General Felipe

Säinz de Baranda hat in einem Brief vom 27. Oktober 1984 an die Unbeschuhten Karmelitinnen den Orden davon in Kenntnis gesetzt.

Wie schaut der Weg der Gesetzesbildung der Unbeschuhten Karmelitinnen seit dem letzten Konzil aus? Ein kurzer zeitlicher Uberblick:

Die Kirche hat auf dem II. Vati-kanum die Ordensgemeinschaften zum „aggiornamento”, zur „zeitgemäßen Erneuerung”, aufgerufen. Im Sinn des Konzils heißt das: „ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse” (Konzilsdekret „Perfectae caritatis” über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Nr. 2).

In diesem Sinn wurden vom Ge-neraldefinitorium OCD (Ordo Carmelitarum Discalceatorum = Orden der Unbeschuhten Karme-liten) mit Auftrag und Zusammenarbeit des Heiligen Stuhles bzw. der Religionskongregation und im steten dialogischen Austausch mit den (davon betroffenen) Unbeschuhten Karmelitinnen konkrete Schritte in Richtung zeitgemäße Erneuerung und endgültige Gesetzgebung getan.

1976: Auf dieser Basis und nach Einholen der Meinungen jeder einzelnen Kommunität — die erhaltenen Antworten wiesen eine fast vollkommene Ubereinstimmung auf — verfaßte der General den Text der „Erklärungen”, welcher vom Generaldefinitorium OCD und von der Religiosenkon-gregation geprüft wurde.

1977: Am 12. März wurde der Text der „Erklärungen” von der Kongregation für die Ordensleute für die Zeit von fünf Jahren als Gesetzestext „ad experimentum” approbiert.

1982: Im Auftrag des Papstes und in Ubereinstimmung mit den Richtlinien, die der Heilige Stuhl bereits 1977 bei der Approbation der „Erklärungen” gegeben hatte, verfaßte P. General Felipe Säinz de Baranda ein Rundschreiben, um die Schwestemkommunitäten aufzufordern, ihre Meinung bezüglich der Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen — nach fünf Jahren Erfahrung mit den „Erklärungen”.

1983: Am 24. April begann eine Kommission von Patres OCD aus verschiedenen Ländern in Rom die Antworten der Schwestern auszuwerten. Am 11. Juli wurde das Ergebnis der Religiosenkon-gregation unter ihrem damaligen Präfekten Kardinal Edoardo Pi-ronio übergeben.

Eine Splittergruppe Teresiani-scher Karmelitinnen — im Verhältnis zu den insgesamt über 800 Klöstern eine verschwindende Minderheit - hat die von höchster kirchlicher Autorität approbierten „Erklärungen” (1977) nicht angenommen, sondern einen „authentischeren” Alternativtext erarbeitet. Diese „Konstitutionen der Unbeschuhten Karmelitinnen des Ordens der Allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Kar-mel, von unserer hl. Mutter Teresa von Jesus verfaßt, auf dem Kapitel von Alcalä 1581 in Kraft gesetzt und an'das II. Vatikanische Konzil angepaßt” haben Teresa-Spezialisten als sehr eigenwilliges unteresianisches Opus dargestellt.

Der Orden der Teresianischen Karmelitinnen stand vor einer Spaltung. „Kurz gesagt, ging es um folgendes: Sollten die Unbeschuhten Karmelitinnen von jetzt an einen oder mehrere, vom Hl. Stuhl autorisierte Gesetzestexte haben?... Seit diesem Augenblick lag es am Papst selbst, diese wirklich grundsätzliche Frage zu beantworten und damit auch das überaus ernste Problem — Einheit oder Spaltung des Ordens — zu lösen” (Brief des Generals vom 27. Oktober 1984).

1984: Am 15. Oktober hat der Papst bestimmt, daß der zukünftige und definitive Gesetzesentwurf der Unbeschuhten Karmelitinnen aus folgenden Teilen bestehen wird:

# „Ursprüngliche Regel” des hl. Albert (1247) - im Casaroli-Brief fälschlich „Regel des hl. Adalbert” genannt, was nicht übermäßig verwundert, denn im besagten Schreiben wird der gegenwärtige General mit Feiice statt Felipe angeredet.

Noch Dialog möglich?

# Konstitutionen von Alcalä (1581), die nicht, wie die ursprünglichen Konstitutionen von 1567-1568 von der hl. Kirchenlehrerin und Gründerin des reformierten Karmel, Teresa von Avila, stammen, sondern bereits Opfer unteresianischer Folgen sind.

# „Präzisierungen”, die im Text der Konstitutionen oder in den Fußnoten eingefügt werden.

• Dem Text von Alcalä sollen einige Kapitel hinzugefügt werden, „die von der Heiligen nicht vorgesehen, aber von der allgemeinen Gesetzgebung der Kirche heute erfordert sind” (Casaroli-Brief).

• „Dem gesamten Gesetzeswerk soll ein .Vorwort' vorausgehen, das dessen evangelische und theologische Prinzipien aufzeigen und ebenso die geistlichen und kirchlichen Perspektiven des karmeli-tanischen Charismas bestätigen soll” (Casaroli-Brief).

Die hl. Kongregation für die Ordensleute hat vom Papst den ausdrücklichen Auftrag erhalten, die Anordnungen und Richtlinien des Schreibens des Staatssekretariates in die Praxis umzusetzen, d. h. die endgültigen Konstitutionen zu verfassen.

Der Ordensgeneral meint in seinem Brief an den Teresianischen Karmel: „Für die große Mehrheit des Ordens, Schwestern und Brüder, kommen diese Anordnungen des Papstes ohne Zweifel überraschend und unerwartet. Ich kann mir denken, daß für viele von Euch der Schmerz groß und die Versuchungen schwer sind.” Gründe dafür wären:

1. Die „Erklärungen” von 1977, die unter Paul VI. vom Helligen Stuhl für die Unbeschuhten Karmelitinnen als Gesetze ad experimentum approbiert wurden, sind nicht als gültig befunden worden. Die „Erklärungen” und die „Umfrage” werden im Casaroli-Brief nicht erwähnt, sondern übergangen. Werden sie zu den negativen Früchten des letzten Konzils gezählt?

2. Es muß ein vollständig neuer Text ausgearbeitet werden, in Ubereinstimmung mit den Richtlinien des Schreibens des Staatssekretariates.

3. Der endgültige Text wird von der hl. Kongregation für die Ordensleute ausgearbeitet werden, unter Mitarbeit von jenen Personen, die ihr dafür als zweckmäßig vorkommen. Also nicht vom Orden, wie es immer bisher traditionelle Praxis des Heiligen Stuhls war. Diese Vorgangsweise widerstrebt dem charismatisch-prophetischen Wesen der Orden, die immer „von unten” gewachsen sind, als Charismen dann freilich berechtigt und notwendig von der Kirche, „von oben” geprüft und approbiert oder nicht approbiert wurden.

4. Der Entwurf, der dem Wunsch der Mehrheit der Karmelitinnen der ganzen Welt in der 1982-1983 auf Anordnung des Heiligen Vaters gestellten Umfrage entsprach, wurde nicht angenommen.

Gewiß stimmt es, wenn das Schreiben Kardinal Casarolis feststellt, daß Einheit in der Kirche keine soziologische Größe ist und nicht einfach die Mehrheit schon recht hat. Aber kann Einheit auf diesem konkreten Weg begangen werden? Widerspricht dieses „Roma locuta, causa finita” in diesem konkreten Fall nicht dem Subsidiaritätsprinzip?

Es wäre zu hoffen, daß die Solidarität des Gottesvolkes und seiner Hirten mit dem Teresianischen Karmel so stark ist (werde), daß in der fast allmächtigen Kurie in Rom noch in letzter Minute ein offener, intrigenfreier Dialog möglich werde, bezüglich der endgültigen Konstitutionen der Unbeschuhten Karmelitinnen. Möge das Wirken des Heiligen Geistes eine solche Überraschung herbeiwehen.

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