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„Begabte verhungern intellektuell“

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Trotz der vielzitierten „Bildungsgesellschaft“, trotz aller Bemühungen der verschiedenen Unterrichtsminister ist Bildung noch immer Luxus, Statussymbol, Hobby für „Großkopferte“, besonders dort, wo es um die höhere Schulbildung und um den Doktorhut geht.

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Trotz der vielzitierten „Bildungsgesellschaft“, trotz aller Bemühungen der verschiedenen Unterrichtsminister ist Bildung noch immer Luxus, Statussymbol, Hobby für „Großkopferte“, besonders dort, wo es um die höhere Schulbildung und um den Doktorhut geht.

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Non gaudeamus igitur:

Denn Bildung und Chancengleichheit sind in Österreich noch immer unvereint, Matura und Hochschulbildung sind noch immer überwiegend Privilegien einer kleinen sozialen Schicht. Unter dem Druck der Nachfrage werden ohne Rücksicht auf objektiv vorhandene Begabungen die Kinder dieser Schicht durch die höheren Bildungswege gepumpt und das Niveau der Absolventen muß damit ständig sinken, während in anderen sozialen Schichten potentiell Begabte intellektuell verhungern.

„Ein Drittel der inländischen ordentlichen Hörer hat Väter mit Hochschulbildung. Ein weiteres Fünftel der Väter hat Mittelschulbildung. In der männlichen Gesamtbevölkerung im Alter der Väter der Studenten (40- bis 65jährige) gibt es hingegen nur 4,4 Prozent mit abgeschlossener Hochschulbildung, weitere 5,8 Prozent mit Mittelschulbildung. 8 Prozent der Studierenden sind Söhne und Töchter von Arbeitern. In der gesamten Bevölkerungsgruppe der Vätergeneration beträgt der Arbeiteranteil hingegen 41 Prozent. Diese wenigen Zahlen zeigen bereits sehr deutlich, daß der Großteil der Studenten (und damit auch der Mittelschüler) aus einigen wenigen sozialen Schichten .kommt.“ (Aus dem Hochschulbericht 1969 des BMfU).

Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert.

Das derzeitige vertikal gegliederte Bildungssystem, also das Modell einer Klassengesellschaft, führt aber zwangsläufig zur Nivellierung nach unten. So wie die Klassengesellschaft überwunden werden muß (nicht durch Klassenkampf, aber muß auch das Bildungssystem dei partnerschaftlichen und damit klassenlosen Gesellschaft entsprechen.

Die Krise erkannt und zu ziehend Konsequenzen angegeben haber

Diskussion schon viele, etwa der „Bildungs-bericht 70“ der Bundesrepublik.

Die ÖVP fordert in ihrem Bildungskonzept:

„Lockerung des Jahrgangsklassensystems, Differenzierung nach Leistungen und Zielen, Bildung vor Leistungs- und Fördergruppen, Vermehrung der Wahlmöglichkeiten irr Bildungsgang, individuelles Erreichen der Abschlüsse von Schulbahnen, Konzentration von Unterrichtsgebieten.“

Alles Dinge, die nur im Rahmer einer Gesamtschule realisiert werden können. Und nach der „Grundschule“ (etwa jetzige vierklassige Volksschule, die ja bereits eine Arl Gesamtschule ist) schlägt die ÖVF für die Mittelstufe folgendes vor: „Die Umwandlung der Volksschuloberstufe und der Hauptschule ir eine Mittelschule dient zur stärkerer Förderung des Übertrittes von Schülern dieser Schultypen in weiterführende höhere Schulen. Dies soll voi allem in einer Reform der Lehrerbildung zum Ausdruck kommen sowie in der verstärkten methodischer Identität des Unterrichtes in der net: zu schaffenden Mittelschule und ir der Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen.“ Das ist de facto eine Gesamtschule (... Identitäi des Unterrichtes ...), die aber unbegreiflicherweise (obwohl sich laul Grundsatzprogramm die ÖVP füi eine partnerschaftliche Gesellschafl und gegen eine Klassengesellschafl ausspricht), nicht ausdrucKlich ver langt wird.

Die der ÖVP kritisch nahestehend ÖSU hat ebenfalls ein Bildungskon zept ausgearbeitet, das von de österreichischen Hochschülerscha: übernommen worden ist. Dort kan man lesen: „Die bestehende starr Trennung in verschiedene, voneir ander . abgeschirmte Schulzweig wird weder der Vielfalt der Bega bungen noch der Mannigfaitigke der Interessen unter den Schüler gerecht. Das heutige Schulsystei führt zu verfrühten, kaum durch dachten und meist sozial vermitte! ten Laufbahnentscheidungen, d: nicht auf dem Boden gleicher Bi dungschaneen getroffen werden.

Wir fordern daher die Auflösun der verschiedenen Schultypen i Österreich zugunsten einer integrie] ten und zugleich differenzierten Ge samtschule.“

Auch die Akademikerbundstuder ten schließen sich in ihrer „Neue Plattform“ weitgehend den Vorste hingen der ÖSU an, ergänzen sie je doch um die Forderung nach Bese tigunig aller finanzieller Barriere] vom „kostenlosen Lehrbehelf b zum Heimplatz“. Gleichzeitig gebe sie als Empfehlung zur Verwirt lichung ihrer „Differenzierten Sozia! schule“ an, daß die Reform bei de Vorschule und nicht etwa bei de Sekundarstufe beginnen müsse un daß die Reform nur dann erfolgreic sein könne, wenn sie mindestens s lange wie die längst mögliche Durch laufzeit eines Schülers des neue Systems dauert.

Alle diese Zitate stellen unter Be weis, daß die Gesamtschule ein Methode der Bildungsvermittlun ist, die als einzige in eine partnei schaftliche und demokratische Ge Seilschaft paßt. Sie allein kann d drohende Nivellierung, wie s: wenig oder gar nicht differenzierl Systeme („Einheitsschule“) bedinge] verhindern. Weiters hat die Gesaml schule natürlich, wie jedes ander System auch, ihre politische Kom ponente: Sie will Modell für ein flexible, partnerschaftliche un demokratische Gesellschaft sein.

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