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Begegnung mit einem „Attentäter“

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Sieben Tote und 44 Verletzte forderte eine Explosion im Bereich der Moskauer U-Bahn am 8. Jänner 1977. Zwei Jahre darauf wurden drei Armenier in einem Prozeß hinter verschlossenen Türen zum Tode verurteilt und unmittelbar darauf hingerichtet. Lew Kwatschewsky, der Autor dieses Beitrages, schreibt über die Hintergründe des Prozesses, der keiner war. Kwatschewsky, der nach vier Jahren Straflager und wiederholten Verfolgungen 1974 die UdSSR verlassen konnte, ist im Gefängnis von Wladimir dem Hauptangeklagten des U-Bahn-Prozesses, Zatikjan, begegnet.

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Sieben Tote und 44 Verletzte forderte eine Explosion im Bereich der Moskauer U-Bahn am 8. Jänner 1977. Zwei Jahre darauf wurden drei Armenier in einem Prozeß hinter verschlossenen Türen zum Tode verurteilt und unmittelbar darauf hingerichtet. Lew Kwatschewsky, der Autor dieses Beitrages, schreibt über die Hintergründe des Prozesses, der keiner war. Kwatschewsky, der nach vier Jahren Straflager und wiederholten Verfolgungen 1974 die UdSSR verlassen konnte, ist im Gefängnis von Wladimir dem Hauptangeklagten des U-Bahn-Prozesses, Zatikjan, begegnet.

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Wir lernten uns im Jänner 1971 im Gefängnis von Wladimir kennen. Der damals 31jährige Armenier Stepan Zatikjan war aus den mordwinischen Lagern nach einem Hungerstreik dorthin überstellt worden. Zatikjan war bereits im Juli 1968 vom armenischen KGB verhaftet und wegen Betätigung in der armenischen Jugendbewegung (Herausgabe einer Untergrund-Zeitschrift „Der Leuchtturm“) als „besonders gefährlicher Staatsverbrecher“ zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt worden.

Stepan Zatikjan war von mittlerer Statur, seine schwarzen Augen verrieten ein explosives, südländisches Temperament. Er war offen wie ein Kind, seine Ansichten kennzeichneten eine gewisse Naivität. Wie die meisten politischen Häftlinge aus Armenien trug er seine Religiosität nicht zur Schau, auf seine Gefangenschaft war er geradezu stolz.

Auf der letzten Seite der sowjetischen Regierungs-Zeitung „Iswestija“ begegnete mir Stepan Zatikjan am 9. Februar 1979 zum letzten Mal: In einem Artikel unter dem Titel „Schande den Verteidigern der Mörder“. Der Artikel handelte von dem „Prozeß“ über die U-Bahn-Explosion und war von einem Arbeiter namens „D. Tjuzhin“ gezeichnet, der diesen Artikel aber entweder nur unterschrieben hat oder gar nicht existiert.

Wenn man die sowjetischen Gebräuche einigermaßen kennt, weiß man, daß ein solcher Artikel direkt von der KPdSU oder vom KGB stammt. Der Artikel über den „U-Bahn-Prozeß“ spart in der Beschreibung der den „Prozeß“ auslösenden U-Bahn-Katastrophe nicht mit emotionellen Details: Blut auf dem Asphalt, Geschrei und Gestöhn von Verwundeten und Verstümmelten, entsetzte Kinder, 44 Verletzte, sieben Tote...

Zweck dieses emotionellen Iswe-stija-Artikels ist es, das Todesurteil gegen die drei Angeklagten als das einzig gerechte Urteil hinzustellen. Beweise werden nur in sehr undurchsichtiger Weise angeboten. Während auf der einen Seite versucht wird, potentiellen Gegnern des Regimes Angst einzujagen (sowohl Sacharow als auch den nicht beim Namen genannten „Verteidigern aus dem Westen“), wird, abgesehen von der Beweis-Führung in diesem Artikel, auch gar nicht auf die wahren Hintergründe der U-Bahn-Katastrophe oder des „Prozesses“ eingegangen.

Obwohl die Zeitung immer wieder nur den Namen eines der drei Verurteilten (Zatikjan) nennt, wissen wir, daß das vom Obersten Gericht der UdSSR gefällte Todesurteil an drei Personen vollstreckt worden ist. Die „Iswestija“ spricht von „Zatikjan und seinen Handlangern“; neben ihm waren zwei seiner früheren Arbeitskollegen aus dem Uhrwerk der armenischen Hauptstadt Jerewan angeklagt: Zawen Bagdassarian und Aschot Stepanjan.

Interessant ist übrigens die Tatsache, daß wenige Stunden nach der Explosion auf der Moskauer U-Bahn der ganzen Welt erklärt worden war, die Explosion sei von Dissidenten verursacht worden. Dieser Erklärung hatte Professor Sacharow von Anfang an widersprochen. Nun ist in der „Iswestija“ mit keinem Wort von Dissidenten die Rede. Die Regierungs-Zeitung hat dafür jetzt eine einfache und emotionelle Erklärung parat: Zatikjan sei Antisemit, Faschist, Bandit und Kindermörder gewesen ...

Für Außenstehende mag diese Erklärung ausreichend sein. Für mich und meine Freunde - seien sie in Rußland, Europa, USA oder Israel -ist sie völlig unannehmbar, da wir durch langjährige Kontakte Zatikjan persönlich kannten: Zatikjan als Antisemiten und Faschisten zu bezeichnen, ist totale Lüge!

Sowohl vor als auch nach der Explosion auf der U-Bahn haben sich in Moskau mehrere Explosionen ereignet. Die Täter dieser Explosionen sind bis heute nicht bekannt. Aber es steht fest, daß bei einigen von ihnen KGB-Leute blitzartig am Tatort erschienen sind, um die Identität der Anwesenden festzustellen. Ob die

Anschläge nur jemanden in die Schuhe geschoben werden sollten?

Im November 1977, also zehn Monate nach der U-Bahn-Katastrophe, wurden die drei Armenier in Jerewan verhaftet. Von der Moskauer U-Bahn war vorerst überhaupt nicht die Rede. Man warf ihnen vielmehr vor, eine andere Explosion vorbereiten zu wollen. Beweisstücke seien in der Gepäckaufbewahrungsstelle des Kursk-Bahnhofes in Moskau gefunden worden. Die Verhafteten wurden in das Moskauer KGB-Gefängnis „Lefortowo“ gebracht, wo die Voruntersuchungen ungefähr ein Jahr in Anspruch nahmen.

Neben vielen anderen weiterhin bestehenden Ungereimtheiten scheint eines klar zu sein: Zatikjans Mitangeklagte, Bagdassarjan und Stepanjan, haben sich schuldig bekannt und eingewilligt, alles, was in der Voruntersuchung aufgezeichnet worden war, in der Gerichtsverhandlung zu wiederholen. Ihnen war fest versprochen worden, sie würden dafür am Leben bleiben.

Gleich nach der Urteilsverkündung sind jedoch alle drei Armenier überstürzt erschossen worden. Das steht in grundsätzlichem Widerspruch zur post-stalinistischen Praxis der sowjetischen Rechtsprechung: Gibt es einerseits einen „Hauptangeklagten“, der sich total in Schweigen hüllt, und anderseits Mit-, täter, die sich schuldig bekennen und ihre Tat bereuen, so wird der Rädelsführer erschossen, während die Mittäter mit zehn oder 15 Jahren Lager davonkommen.

Die Uberstürztheit, mit welcher die Todesurteile vollstreckt wurden, läßt Schlimmstes befürchten. Vielleicht hatten die Behörden den Wunsch, Gnadengesuchen aus dem Westen vorzubeugen. Auf jeden Fall ist durch die rasche Hinrichtung ein Geheimnis im Jenseits verschwunden ...

Der Gedanke, ein Unbeteiligter könnte erschossen worden sein, ruft Urangst hervor und kann als „letzte Warnung“ an Kritiker verstanden werden. Die Gerichtsverhandlung hat übrigens hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Selbst Familienangehörige der Angeklagten durften nicht dabeisein.

Entlastungszeugen, die ausgesagt hätten, daß Zatikjan zum Zeitpunkt der U-Bahn-Explosion in Jerewan war, sind gar nicht vom Zeitpunkt des „Prozesses“ benachrichtigt worden. Selbst die Mutter Zatikjans hat erst nach Prozeßende erfahren, daß ihr Sohn zum Tode verurteilt worden ist.

Der ganze Fall Zatikjan muß daher so gesehen werden: Der „Prozeß“ wurde mit dem Zweck inszeniert, die armenische nationale Jugendbewegung zu liquidieren.

Es ist sicher richtig, daß sich Zatikjan im Interesse der armenischen Nationalität als mißliebiger Regime-Kritiker betätigt hat. Denkbar wäre durchaus auch, daß er als Mitwisser in einen Anschlag gegen den KGB oder gegen das Gefängnis „Lefortowo“ in Moskau, also gegen eine „heilige Kuh“ der Kommunisten, verwickelt gewesen sein könnte. Mit einem Anschlag auf schuldlose Opfer1 in der U-Bahn hat er mit Gewißheit nichts zu tun gehabt.

Nur so sind die Furcht, die Wut und die Rachsucht der sowjetischen Justiz, die die Täter nicht fassen konnte, erklärbar. Die volle Wahrheit wird für immer verhüllt bleiben. Wahr ist aber jedenfalls, daß Sacharow täglich Drohbriefe erhält - angeblich von Arbeitern, deren Familien bei der U-Bahn-Explosion ums Leben kamen. Er hat nämlich mit einem Hungerstreik gegen das Todesurteil protestiert.

Laßt uns zum Abschluß noch einen Blick in die „Iswestija“ werfen: „Der echte Humanismus verlangt, daß Antlitz der Erde von derlei Lumpen zu räumen... Jede andere Strafe wäre eine Beleidigung für uns Menschen gewesen.“

Auf diese Art und Weise sät die Sowjetunion ihren Humanismus: Der bloße Schatten von dieser Art des Humanismus läßt die Menschen erzittern.

Ein Mann, ein Buch

UN-Generalsekretär Kurt Waldheim hält (wie Bundeskanzler Kreisky) die nunmehrige Einbeziehung der Sowjetunion in eine umfassende Nahostlösung für sinnvoll (obwohl die USA, Israel und Ägypten den Alleingang nicht zuletzt deshalb unternahmen, um eine Nahostlösung ohne Sowjetteilnahme voranzutreiben). Auf eine FURCHE-Frage, ob die abwechselnd unter US- und UdSSR-Vorsitz tagende Genfer Konferenz ein geeignetes Verhandlung sfor um abgeben könnte, meint Waldheim: „Ich würde das für sehr nützlich halten.“

Der UN-Generalsekretär weilte am Wochenende in Wien, wo ihm der „Demokratiepreis 1978“ des Österreich-Instituts verliehen, ein Exemplar des von der Mobiloil Austria AG herausgegebenen Bandes „Österreicher, die der Welt gehören“ überreicht und anschließend die UNO-City im Donaupark vorgeführt wurde, wo es auch zu einem Gespräch mit Journalisten kam.

Der ranghöchste UN-Beamte hält eine friedliche Machtübergabe in Namibia durch Südafrika trotz verschiedener Terminüberschreitungen noch immer für möglich, da sich letztlich alle beteiligten Staaten „sehr kooperativ“ verhielten. Eine Neuauflage der Zypernverhandlungen (die in früheren Jahren unter seinem Vorsitz in Wien stattfanden) sieht er im Moment nicht herannahen.

Dafür schließt Waldheim eine Reise nach Südostasien nicht aus. China hat zu verstehen gegeben, daß es seine Grenzprobleme direkt mit Vietnam ausreden, eine politische Neuordnung für das von Vietnam besetzte Kambodscha aber vor der UNO diskutiert sehen möchte.

Kurt Waldheim ist in dem erwähnten Buch einer von acht beispielhaft angeführten „Österreichern, die der Welt gehören.“ Ihm sowie der Psychologin Anna Freud, dem Volkswirtschaftler Gottfried Haberler und der Gattin des erkrankten Logotherapie-Begründers Viktor Frankl konnte Bundeskanzler Kreisky die ersten Bände persönlich überreichen.

Die weiteren „Helden“ des erwähnten Buches, das an Schulen verwendet werden wird, sind der Naturwissenschafter Hermann Mark (dessen Sohn derzeit stellvertretender Luftwaffenminister der USA ist!), der Filmproduzent und Regisseur Otto Preminger, der Dirigent Erich Leinsdorf und der Maler Friedrich Hundertwasser.

Außenminister a. D. Karl Gruber benutzte die Präsentation des Repräsentationsbandes zu einem Appell an die Festversammlung, sich nicht durch „Theoretiker einer einfachen Bauernwelt“ von der Erkenntnis abbringen zu lassen, daß eine Welt der Technik uns ins Höhlenzeitalter und in die Sklaverei brächte.

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