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Begegnung mit Frere Roger

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Diese Geste der Hände, die weg- gibt wie ein Sämann, der sät, ist typisch für Frere Roger. Ein Gegen- zeichen zum gierigen Raffen, zum stolzen Behalten, materieller oder intellektueller Errungenschaften. Symbol des Verschenkens an die Liebe Gottes und an die zahllosen Nächsten, besonders die Jugendli- chen, die sich hier ständig einfin- den. Über die fünf Jahrzehnte sind es viele Hunderttausende aus der ganzen Welt gewesen.

Mit der Gründung der Commu- naute von Taize 1940 wollte Frere Roger helfen, die Zerrissenheit der Christen und andere Konflikte der Menschheit zu überwinden. Dabei wurde er besonders von der Hoff- nunggetragen, daß die Versöhnung der Christen zu einem Ferment des Friedens werden könne.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrie- ges zog der Schweizer nach Frank- reich, dem damaligen Notstands- gebiet. Im burgundischen Dorf Taize beherbergte er politische Flücht- linge. Es waren vor allem Juden, die aus der besetzten Zone fliehen konnten. Zum Kriegsende wurden unweit von Taize Lager mit deut- schen Kriegsgefangenen eingerich- tet. Als Lagerinsassen von der fran- zösischen Bevölkerung mißhandelt wurden, erbat Frere Roger die Er- laubnis, sie in die Communaute einzuladen. Heute umfaßt die Bru- derschaft 90 Männer aus 20 Natio- nen, aus katholischem und evange- lischem Ursprung. Einige der Brü- der leben als Zeugen der Versöh- nung mitten in Elendsvierteln. Man findet sie im Nordosten Brasiliens, in Nairobi, in Seoul und Bangla- desh, aber auch in New York.

Im Gespräch blickt der Gründer von Taize sein Gegenüber in einer Weise an, daß es sich als einmaliger Mensch, als Geschöpf Gottes wahr- genommen fühlt. In seinem Lächeln spiegeln sich Einfachheit und Helle in einer Weise, die die Aufforde- rung, zu werden wie ein Kind, trans- parent werden läßt. Während des Sprechens horcht Frere Roger stän- dig nach innen, als ginge er in Gedanken einer plätschernden Quelle nach, die sich erst während des Fließens kundtut.

Tee wird gereicht, aus einer erd- farbenen Tonschale, hergestellt in der Töpferei der Bruderschaft. Der Fremdling fühlt sich als Gast. Von draußen, aus dem ländlichen Gar- ten, dringt durch die geöffnete Tür des kleinen Balkons das Geläut einer Kuhglocke. Dieses Läuten verdichtet sich hier, in dem schlich- ten Raum zu einem Lobpreis Got- tes.

Ein Foto zeigt Frere Roger in herzlicher Umarmung mit Papst Johannes Paul II. An eine Wandta- fel ist ein Zeitungsausschnitt mit der Abbildung eines Freskos von Giottozur biblischen Aufforderung geheftet: „Und wenn Du alles ver- kaufst...". Das Gebet aus dem stil- len Kämmerlein umfaßt die Welt. Zum Abschied will er etwas zum Geschenk machen, will die Besu- cher nicht unbeschenkt ziehen las- sen. Er steckt zwei Gebete, in seiner wunderbar klaren Handschrift für den heutigen Abend verfaßt, in ein Couvert. Draußen wartet bereits eine Frau mit Kindern. Das Ge- spräch hat eine halbe Stunde län- ger gedauert.

Dreimal täglich trifft man sich in der Kirche zum Gebet. Unter den Brüdern in weißen Kutten kniet Frere Roger am Boden, umgeben von einer Schar Kinder. In seiner fragilen Gestalt vereinen sich Va- ter- und Muttersein. Diese Gebets- stunden sind Zeiten des Jubels, der Freude. Gesänge die aus einer so oft in Hoffnungslosigkeit getauch- ten, geschändeten Welt aufsteigen. Klänge der Hoffnung, der Versöh- nung, der frohen Botschaft, die in die Seele dringen, tiefen Wunden Heilung schenken, abgestorbene Lebenskraft wieder erwecken.

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