6932659-1982_35_06.jpg
Digital In Arbeit

Begegnungen am 38. Breitengrad

Werbung
Werbung
Werbung

MITTWOCH: Wachsame Augen Uniformierter mustern die Passagiere beim Betreten des Flughafengebäudes. Dem Gast des Korean Overseas Information Service, der aus einem Land kommt, dessen Wappen auch Hammer und Sichel aufweist, bleiben alle etwaigen Mißverständnisse in der streng antikommunistischen Republik Korea und die sich möglicherweise aus ihnen ergebenden Peinlichkeiten erspart. Der Gastgeber, Generaldirektor Su Doc Kim, hat sich persönlich zum Flugplatz bemüht.

Die Fahrt ins Zentrum der 8-Millionen-Stadt Seoul kann beginnen. Einer der ersten Eindrük-ke in der Hauptstadt dieses 38-Millionen-Volkes, von dem sich nur ungefähr 20 Prozent als Chri-

sten bekennen: in der Abenddämmerung flammen über vielen Hausdächern immer mehr Kreuze auf. Rote, weiße, gelbe Neon-Kreuze. Sie stammen von jenen Kirchen, Kapellen oder auch nur Bethäusern, in denen protestantische Pastoren oder Sektenprediger jeweils ihre Gemeinde versammeln.

DONNERSTAG: Dieser Tag ist offiziellen Antrittsbesuchen vorbehalten. Der erste führt zu Generaldirektor Su Doc Kim, anschließend ein Höflichkeitsbesuch beim Minister für Kultur und Information. Die Gespräche kreisen um ähnliche Themen. Alle Versuche mit „dem Norden" — so nennt man allgemein hier die kommunistische Demokratische Volksrepublik Korea — in ein Gespräch einzutreten, seien bis jetzt im Sande verlaufen: „Der Norden will alles oder nichts".

„Alles" bedeutet Abzug der Amerikaner, das Verschwinden der gegenwärtigen Regierung und Ersetzung derselben durch Repräsentanten sogenannter „gesellschaftlicher" - lies: KP-freundlicher - Organisationen. „Nichts" dagegen heißt: Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zu-standes, der auch für einen Europäer, der nur wenige Kilometer von einem Land mit anderen gesellschaftlichen Verhältnissen entfernt lebt, unvorstellbaren totalen Abkapselung zwischen zwei Staaten eines Volkes.

Pseudoreligiöse Missionsideen des „Großen Führers" Kim II Sung, dem man wie einem Gottkönig zu huldigen hat, und seines Sohnes, des „teuren Führers" Kim Dzong II, auf den diese Verehrung immer mehr übertragen wird, verstärken die Gegnerschaft zweier gesellschaftlicher Systeme, machen jedes Gespräch unmöglich und jede Wiedervereinigung zur Illusion.

Das pulsierende Leben Seouls verscheucht jedoch allzu düstere Gedanken. Jenseits der an amerikanische Großstädte erinnernden Häuserschluchten sind es jedoch die Einkaufszentren des „kleinen Mannes", die das Interesse des Spaziergängers finden. Zum Un-

terschied von den Suks in den Ländern des Vorderen Orients erregt sein Erscheinen hier überhaupt keine Neugierde. Niemand starrt ihn, der seinen Fremdenpaß sozusagen im Gesicht trägt, an, keine Hand versucht, ihn in irgendeinen Laden zu ziehen.

Auch seiner Geldbörse kann er sicher sein — zumindest genau so sicher wie in einem österreichischen Supermarkt. Neben seiner Höflichkeit zeichnet Distanziert-heit das koreanische Volk aus.

Beim stellvertretenden Außenminister der Republik Korea bekommt der Österreicher freundliche Worte über die Qualität der gegenseitigen Beziehungen zu hören. Es wird ihm jedoch nicht verschwiegen, wie sehr man es schätzen würde, einen eigenen österreichischen Botschafter in Seoul als Gesprächspartner begrüßen zu können. Während die Republik Korea seit 1963 durch einen Geschäftsträger und bald darauf durch einen in Wien residierenden Botschafter in Österreich vertreten wird, muß man in Seoul mit Besuchen des in Japan lebenden österreichischen Botschafters, der auch in Korea mitakkreditiert ist, vorlieb nehmen.

FREITAG: Die Fahrt geht gegen Norden. Das Ziel der nur 40 km weiten Reise ist einem aus vielen £eitungsmeldungen nur allzu bekannt. Panmundschon ist der einzige Punkt auf der Landkarte Koreas, wo sich Süd- und Nordkoreaner begegnen, wo die noch immer unter der blauen UNO-Flagge vereinten Militärs der Vereinigten Staaten und Südkoreas den Vertretern Nordkoreas gelegentlich gegenübersitzen, sich anschweigen oder Propagandareden anhören müssen.

Die „Freundschaftsbrücke" ist scharf bewacht. Immer mehr Uniformen tauchen auf. Der Wagen stoppt. Ein Major der legendären 1. Division der Armee Südkoreas nimmt den Besucher in Empfang. In einem Schauraum bekommt er seine Erinnerungen an den blutigen Koreakrieg aufgefrischt.

Dessen Spuren sind zwar im Land längst getilgt, sie haben einem ostasiatischen Wirtschaftswunder Platz gemacht. Doch die Erinnerung an die blutigen Tage, Wochen und Monate hat sich tief im Bewußtsein des koreanischen Volkes eingegraben und auch die nachfolgende Generation zu Wachsamkeit verpflichtet, zumal es mehr als einen Beweis dafür gibt, daß man jenseits des 38. Breitengrades nicht nur Friedenstauben

züchtet.

Davon zeugt nicht wöit von hier der Besuch eines jener Tunnels, die nordkoreanische Pioniere weit in das Territorium Südkoreas hinein maulwurf artig vorgeschoben haben. Drei solcher Tunnels wurden bisher entdeckt, die Vermutung liegt nahe, daß es noch weitere gibt. Durch jeden von ihnen wäre es möglich, innerhalb weniger Stunden 10.000 Soldaten und leichtes Kriegsgerät als Stoßkeile gegen die nahe Hauptstadt durchzuschleusen.

Die Heimfahrt gibt Gelegenheit, an den mit verschiedenen koreanischen Gesprächspartnern geführten Gedankenaustausch anzuknüpfen. Wie lebt man heute als Bürger in der Republik Korea? Die Antworten sind immer äußerst zurückhaltend, aber auch aus den einzelnen entsteht ein Mosaik.

„Demokratie" im westeuropäischen Sinn ist in ganz Asien ein wenig bekannter Importartikel. Man ist aber bemüht, Freiheitsräume auszuweiten. Macht zu begrenzen und durch eine Art Habe-as-corpus-Akte den Bürger vor Behördenwillkür zu schützen.

Die Persönlichkeit des ermordeten Präsidenten Park Chung Hee wird differenziert eingeschätzt. Seine Verdienste um die Entwicklung des Landes, welches er mit immer einsameren Entschlüssen regiert hatte, werden nicht hinuntergespielt. Sein Regiment sei jedoch in den langen Jahren seiner Regierung immer mehr erstarrt. Uber die Person seines Mörders und auf die Frage, ob dieser Hintermänner gehabt habe, wird geschwiegen.

Und Präsident Chun Doo Hwan? Er sei bemüht, nicht in die Fehler seines Vorgängers zu verfallen, suche einen Ausgleich zwischen den wegen der latenten Gefahr aus dem Norden notwendig erscheinenden Sicherheitsmaßnahmen und dem Wunsch nach größerer innerer Freiheit. Eine Amnestie wurde anläßlich des ersten Jahrestages seines Amtsantrittes verkündet. Unter anderem wurde die Haft des ursprünglich zum Tode, dann zu lebenslänglich verurteilten Oppositionsführers Dae Jung—sein Schicksal machte in Europa Schlagzeilen — nunmehr auf 20 Jahre herabgesetzt. Man könne sich ausrechnen, daß dies nicht das letzte Wort sei...

SAMSTAG: Heute geht es zurück in Koreas Vergangenheit. Diese erlebt man am besten bei einem Besuch im sogenannten

, .Folk Village". Ungefähr eine Autostunde südwestlich Seouls hat man charakteristische Bauernhäuser der verschiedensten koreanischen Landschaften zu einem Dorf vereinigt. Der Gedanke an ein Freilichtmuseum liegt nahe, aber das Leben hier ist alles andere als museal. Töpfer drehen vor der eigenen Werkstatt ihre Scheibe, ein Köhler heizt seinen Meiler an, ein Bauer mahlt mit seinem Ochsen das Korn. Auf dem Dorfplatz wird vor einer Schenke öffentlich gebacken und gebraten.

Die grellen Plakate links und rechts der nach Seoul zurückführenden Schnellstraße, welche für Coca Cola, Waschmittel und andere Güter unserer modernen Weltzivilisation werben, rufen einen wieder in die koreanische Gegenwart zurück.

SONNTAG: „Sie wollen an einem katholischen Gottesdienst teilnehmen? Kardinal Stefan Kim Soo Hwan liest jeden Sonntag um 12 Uhr in der Kathedrale die Messe. Er wird Sie auch gerne nachher zu einem Gespräch empfangen."

„Koreas Kirche ist eine Kirche der Märtyrer": Bedächtig und ernst sind die Worte des Kardinals beim anschließenden Gespräch. Märtyrer standen am Ursprung des koreanischen Katholizismus, zu dem sich heute an die zwei von 38 Millionen der Bewohner der Republik Korea bekennen. Märtyrerblut floß wieder während der Invasion aus dem Norden, wo heute die Kirche so gut wie ausgelöscht erscheint.

Und die Kirche hier im Süden? „Sie wächst, vor allem unter den Jungen. Wir haben hier in der Kathedrale jeden Sonntag sechs Messen. Nach jeder wird getauft, Kinder und Erwachsene."

Und das Verhältnis Kirche — Regierung? Dieses habe sich in letzter Zeit positiv entwickelt. „Wenn man an uns in Menschenrechtsfragen herantritt, so intervenieren wir selbstverständlich. Manchmal mit Erfolg, manchmal mit weniger Erfolg." Bedauerndes Achselzucken. „Letzten Endes sitzen wir alle jedoch in einem Boot..."

MONTAG: Pünktlich verläßt der Sehnellzug den unter der japanischen Herrschaft erbauten Hauptbahnhof von Seoul. Ein Besuch in der alten historischen Hauptstadt Kyungju ist das Ziel der Reise. Hier residierte die legendäre Shilla-Dynastie, unter

deren Herrschaft die koreanische Halbinsel in dem Jahrtausend zwischen 57 v. Chr. und 925 n.Chr. ihr „goldenes Zeitalter" erlebte. Ein Besuch in diesem „Museum ohne Mauern" gehört zum Pflichtpensum jedes geistig interessierten Koreabesuchers.

Dem Mitteleuropäer wird anschaulich vor Augen geführt, wie einseitig jedes europa-zentristi-sche Weltbild ist. Während weite Gebiete unseres Kontinents noch vom Urwald überzogen waren, blühten hier bereits Architektur und Kunst, entwickelten Goldschmiede eine Filigrantechnik yon höchster Vollkommenheit ...

DIENSTAG: Die Fahrt geht diesmal per Taxi weiter. Aus dem Bereich der Tempel und Grabhügel bringt er uns in weniger als einer Stunde in die Bezirke der in einer rapiden Wachstumsrate — durchschnittlich von 1962 bis 1980 über acht Prozent im Jahr — mit den modernsten Technologien ausgestatteten koreanischen Industrie. Die Pohang Iron Steel, Company Ltd. ist das erste Tagesziel.

An der Ausstattung des Werkes war u. a. internationalen Firmen auch die VOEST beteiligt. Die nur wenige hundert Meter nahe See ermöglicht geringe Zuliefe-rungs- und Exportkosten. Die für Mitteleuropa niedrigen Löhne werden durch ein Sozialsystem kompensiert, durch das das Unternehmen die Rolle der ostasiatischen Großfamilie übernommen hat.

Nun gilt es Abschied von der Vorstellung zu nehmen, der Atlantik sei das Weltmeer schlechthin. Der schlafende Riese Pazifik, mit den Millionen Menschen seiner Uferbewohner ist erwacht. Europa, wir kommen!

Spanien: Wahlen im Oktober

Was politische Beobachter seit Wochen prophezeiten, ist nun eingetreten: In Spanien werden vorzeitige Neuwahlen stattfinden, und zwar am 28. Oktober. Der Grund dafür: der rapide Zerfall der regierenden Demokratischen Zentrumsunion (UCD). Regierungschef Calvo-Sotelo wollte dem Schrumpfprozeß seiner Partei ganz offensichtlich nicht mehr länger zuschauen und trat mit der Ankündigung von Neuwahlen die Flucht nach vorne an. In Zeitnot gerät dadurch etwa der UCD-Abtrünnige Adolfo Suarez, der gerade dabei ist, die Strukturen seiner neuen Partei aufzubauen.

Polen-Krise

Anläßlich der 600-Jahr-Feier der Schwarzen Madonna von Tschenstochau forderte Polens Primas' Erzbi-schof Jozef Glemp auf Jasna Gora am 26. August erneut die Freilassung des Gewerkschaftsführers Lech Walesa. Vor einer halben Million anwesenden Polen verlangte er von den Machthabern außerdem die Vorbereitung einer generellen Amnestie sowie die schrittweise Wiederzulassung der Gewerkschaftstätigkeit. Unterdessen wuchs bei den polnischen Behörden die Nervosität im Hinblick auf den 31. August, den zweiten Jahrestag der Unterzeichnung des Danzi-ger Abkommens. Sowohl Innenminister Kiszczak als auch Politbüromitglied Bar-cikowski warnten in schärfster Form vor Demonstrationen am 31. August.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung